Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Am Drückendsten für die Eisenbahnen, mit Folgen begleitet, die die Fracht¬
sätze bedeutend erhöhen, weil die Transportkosten erheblich zunehmen, sind die
gleichmäßig chablonistrten Lieferfristen für die Güter, die lediglich auf die Ent¬
fernungen der Orte, nicht aber auf die Gütersorten und noch weniger auf den
Umstand Rücksicht nehmen, ob zwei Orte an einer Hauptbahn oder an Neben¬
bahnen liegen. Es ist einleuchtend, daß ein Gut, welches nur Hauptbahnen
zu durchlaufen hat, viel eher am Orte seiner Bestimmung sein kann als ein
Gut, welches von einer Nebenbahn auf eine andere überzugehen hat, obgleich
vielleicht in dem ersten Fall die beiden Orte nach der kilometrischen Entfernung
viel weiter auseinanderliegen als in dem zweiten. Es hat dies denselben
Grund wie die Thatsache, daß man von Metz schneller nach Berlin kommt
als nach irgend einem kleinen Orte Thüringens, der an einer Nebenbahn liegt,
obgleich letzterer Ort einige zwanzig Meilen näher bei Metz liegt als Berlin.
Und trotzdem schreibt das Betriebsreglement ganz gleiche Lieferfristen vor.

Ebenso ist es für den Kaufmann ein sehr wesentlicher Unterschied, ob er
Güter, die dem Verderben ausgesetzt sind, wenn sie lange unterwegs sind,
erwartet, oder etwa Kohlen, Steine, Erze oder dergl. mehr. Letztere könnten
ohne den geringsten Schaden wesentlich länger unterwegs sein als Fleisch,
Butter u. s. w., nur müßten sie allerdings entsprechend früher bestellt werden,
damit sie trotz der längeren Reisedauer rechtzeitig ankommen. Aber auch hier
chablonisirt das Betriebsreglement, und dieses Chablonisiren kostet sehr viel
Geld.

Die jetzt vorgeschriebenen Lieferfristen könnten ohne irgend welchen Nach¬
theil für alle Hauptbahnen und solche Güter, die wirklich schnelle Beförderung
erheischen und als solche bezeichnet sind, wesentlich verringert werden, wenn
dafür die Lieferfristen für Nebenrouten entsprechend verlängert und ebenso
bei solchen Gütern, die dem Verderben nicht ausgesetzt sind, längere Liefer¬
fristen gestattet würden. Die Folge davon würde sein, daß die Frachten
wesentlich ermäßigt werden könnten, denn der Transport der leeren Waggons
kostet jetzt unverhältnißmäßig viel, während dann die Möglichkeit gegeben
wäre, stets ganz beladene Züge zu fahren und sogar bei einigermaßen größeren
Orten stets ganze Züge von Ort zu Ort. Der einzige Nachtheil, den eine der¬
artige Unterscheidung in den Lieferfristen nach den verschiedenen Gütersorten
und nach Haupt- und Nebenbahnen im Gefolge hätte, wäre der, daß gewisse
Sachen früher in Bestellung gegeben werden müßten, wofür eine ganz erheb¬
liche Frachtermäßigung geboten werden könnte. Wenn man berücksichtigt,
daß der Güterzug-Kilometer circa 4 Mark kostet, so würde z. B. bei 100 Kilo-
Meter Bahnlänge der Ausfall nur eines Güterzuges täglich -- und die Zahl
der Güterzüge könnte bei längeren Lieferfristen und besserer Wagenausnutzung


Grenzboten II. 1877. S6

Am Drückendsten für die Eisenbahnen, mit Folgen begleitet, die die Fracht¬
sätze bedeutend erhöhen, weil die Transportkosten erheblich zunehmen, sind die
gleichmäßig chablonistrten Lieferfristen für die Güter, die lediglich auf die Ent¬
fernungen der Orte, nicht aber auf die Gütersorten und noch weniger auf den
Umstand Rücksicht nehmen, ob zwei Orte an einer Hauptbahn oder an Neben¬
bahnen liegen. Es ist einleuchtend, daß ein Gut, welches nur Hauptbahnen
zu durchlaufen hat, viel eher am Orte seiner Bestimmung sein kann als ein
Gut, welches von einer Nebenbahn auf eine andere überzugehen hat, obgleich
vielleicht in dem ersten Fall die beiden Orte nach der kilometrischen Entfernung
viel weiter auseinanderliegen als in dem zweiten. Es hat dies denselben
Grund wie die Thatsache, daß man von Metz schneller nach Berlin kommt
als nach irgend einem kleinen Orte Thüringens, der an einer Nebenbahn liegt,
obgleich letzterer Ort einige zwanzig Meilen näher bei Metz liegt als Berlin.
Und trotzdem schreibt das Betriebsreglement ganz gleiche Lieferfristen vor.

Ebenso ist es für den Kaufmann ein sehr wesentlicher Unterschied, ob er
Güter, die dem Verderben ausgesetzt sind, wenn sie lange unterwegs sind,
erwartet, oder etwa Kohlen, Steine, Erze oder dergl. mehr. Letztere könnten
ohne den geringsten Schaden wesentlich länger unterwegs sein als Fleisch,
Butter u. s. w., nur müßten sie allerdings entsprechend früher bestellt werden,
damit sie trotz der längeren Reisedauer rechtzeitig ankommen. Aber auch hier
chablonisirt das Betriebsreglement, und dieses Chablonisiren kostet sehr viel
Geld.

Die jetzt vorgeschriebenen Lieferfristen könnten ohne irgend welchen Nach¬
theil für alle Hauptbahnen und solche Güter, die wirklich schnelle Beförderung
erheischen und als solche bezeichnet sind, wesentlich verringert werden, wenn
dafür die Lieferfristen für Nebenrouten entsprechend verlängert und ebenso
bei solchen Gütern, die dem Verderben nicht ausgesetzt sind, längere Liefer¬
fristen gestattet würden. Die Folge davon würde sein, daß die Frachten
wesentlich ermäßigt werden könnten, denn der Transport der leeren Waggons
kostet jetzt unverhältnißmäßig viel, während dann die Möglichkeit gegeben
wäre, stets ganz beladene Züge zu fahren und sogar bei einigermaßen größeren
Orten stets ganze Züge von Ort zu Ort. Der einzige Nachtheil, den eine der¬
artige Unterscheidung in den Lieferfristen nach den verschiedenen Gütersorten
und nach Haupt- und Nebenbahnen im Gefolge hätte, wäre der, daß gewisse
Sachen früher in Bestellung gegeben werden müßten, wofür eine ganz erheb¬
liche Frachtermäßigung geboten werden könnte. Wenn man berücksichtigt,
daß der Güterzug-Kilometer circa 4 Mark kostet, so würde z. B. bei 100 Kilo-
Meter Bahnlänge der Ausfall nur eines Güterzuges täglich — und die Zahl
der Güterzüge könnte bei längeren Lieferfristen und besserer Wagenausnutzung


Grenzboten II. 1877. S6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138138"/>
          <p xml:id="ID_1261"> Am Drückendsten für die Eisenbahnen, mit Folgen begleitet, die die Fracht¬<lb/>
sätze bedeutend erhöhen, weil die Transportkosten erheblich zunehmen, sind die<lb/>
gleichmäßig chablonistrten Lieferfristen für die Güter, die lediglich auf die Ent¬<lb/>
fernungen der Orte, nicht aber auf die Gütersorten und noch weniger auf den<lb/>
Umstand Rücksicht nehmen, ob zwei Orte an einer Hauptbahn oder an Neben¬<lb/>
bahnen liegen. Es ist einleuchtend, daß ein Gut, welches nur Hauptbahnen<lb/>
zu durchlaufen hat, viel eher am Orte seiner Bestimmung sein kann als ein<lb/>
Gut, welches von einer Nebenbahn auf eine andere überzugehen hat, obgleich<lb/>
vielleicht in dem ersten Fall die beiden Orte nach der kilometrischen Entfernung<lb/>
viel weiter auseinanderliegen als in dem zweiten. Es hat dies denselben<lb/>
Grund wie die Thatsache, daß man von Metz schneller nach Berlin kommt<lb/>
als nach irgend einem kleinen Orte Thüringens, der an einer Nebenbahn liegt,<lb/>
obgleich letzterer Ort einige zwanzig Meilen näher bei Metz liegt als Berlin.<lb/>
Und trotzdem schreibt das Betriebsreglement ganz gleiche Lieferfristen vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1262"> Ebenso ist es für den Kaufmann ein sehr wesentlicher Unterschied, ob er<lb/>
Güter, die dem Verderben ausgesetzt sind, wenn sie lange unterwegs sind,<lb/>
erwartet, oder etwa Kohlen, Steine, Erze oder dergl. mehr. Letztere könnten<lb/>
ohne den geringsten Schaden wesentlich länger unterwegs sein als Fleisch,<lb/>
Butter u. s. w., nur müßten sie allerdings entsprechend früher bestellt werden,<lb/>
damit sie trotz der längeren Reisedauer rechtzeitig ankommen. Aber auch hier<lb/>
chablonisirt das Betriebsreglement, und dieses Chablonisiren kostet sehr viel<lb/>
Geld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1263" next="#ID_1264"> Die jetzt vorgeschriebenen Lieferfristen könnten ohne irgend welchen Nach¬<lb/>
theil für alle Hauptbahnen und solche Güter, die wirklich schnelle Beförderung<lb/>
erheischen und als solche bezeichnet sind, wesentlich verringert werden, wenn<lb/>
dafür die Lieferfristen für Nebenrouten entsprechend verlängert und ebenso<lb/>
bei solchen Gütern, die dem Verderben nicht ausgesetzt sind, längere Liefer¬<lb/>
fristen gestattet würden. Die Folge davon würde sein, daß die Frachten<lb/>
wesentlich ermäßigt werden könnten, denn der Transport der leeren Waggons<lb/>
kostet jetzt unverhältnißmäßig viel, während dann die Möglichkeit gegeben<lb/>
wäre, stets ganz beladene Züge zu fahren und sogar bei einigermaßen größeren<lb/>
Orten stets ganze Züge von Ort zu Ort. Der einzige Nachtheil, den eine der¬<lb/>
artige Unterscheidung in den Lieferfristen nach den verschiedenen Gütersorten<lb/>
und nach Haupt- und Nebenbahnen im Gefolge hätte, wäre der, daß gewisse<lb/>
Sachen früher in Bestellung gegeben werden müßten, wofür eine ganz erheb¬<lb/>
liche Frachtermäßigung geboten werden könnte. Wenn man berücksichtigt,<lb/>
daß der Güterzug-Kilometer circa 4 Mark kostet, so würde z. B. bei 100 Kilo-<lb/>
Meter Bahnlänge der Ausfall nur eines Güterzuges täglich &#x2014; und die Zahl<lb/>
der Güterzüge könnte bei längeren Lieferfristen und besserer Wagenausnutzung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1877. S6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] Am Drückendsten für die Eisenbahnen, mit Folgen begleitet, die die Fracht¬ sätze bedeutend erhöhen, weil die Transportkosten erheblich zunehmen, sind die gleichmäßig chablonistrten Lieferfristen für die Güter, die lediglich auf die Ent¬ fernungen der Orte, nicht aber auf die Gütersorten und noch weniger auf den Umstand Rücksicht nehmen, ob zwei Orte an einer Hauptbahn oder an Neben¬ bahnen liegen. Es ist einleuchtend, daß ein Gut, welches nur Hauptbahnen zu durchlaufen hat, viel eher am Orte seiner Bestimmung sein kann als ein Gut, welches von einer Nebenbahn auf eine andere überzugehen hat, obgleich vielleicht in dem ersten Fall die beiden Orte nach der kilometrischen Entfernung viel weiter auseinanderliegen als in dem zweiten. Es hat dies denselben Grund wie die Thatsache, daß man von Metz schneller nach Berlin kommt als nach irgend einem kleinen Orte Thüringens, der an einer Nebenbahn liegt, obgleich letzterer Ort einige zwanzig Meilen näher bei Metz liegt als Berlin. Und trotzdem schreibt das Betriebsreglement ganz gleiche Lieferfristen vor. Ebenso ist es für den Kaufmann ein sehr wesentlicher Unterschied, ob er Güter, die dem Verderben ausgesetzt sind, wenn sie lange unterwegs sind, erwartet, oder etwa Kohlen, Steine, Erze oder dergl. mehr. Letztere könnten ohne den geringsten Schaden wesentlich länger unterwegs sein als Fleisch, Butter u. s. w., nur müßten sie allerdings entsprechend früher bestellt werden, damit sie trotz der längeren Reisedauer rechtzeitig ankommen. Aber auch hier chablonisirt das Betriebsreglement, und dieses Chablonisiren kostet sehr viel Geld. Die jetzt vorgeschriebenen Lieferfristen könnten ohne irgend welchen Nach¬ theil für alle Hauptbahnen und solche Güter, die wirklich schnelle Beförderung erheischen und als solche bezeichnet sind, wesentlich verringert werden, wenn dafür die Lieferfristen für Nebenrouten entsprechend verlängert und ebenso bei solchen Gütern, die dem Verderben nicht ausgesetzt sind, längere Liefer¬ fristen gestattet würden. Die Folge davon würde sein, daß die Frachten wesentlich ermäßigt werden könnten, denn der Transport der leeren Waggons kostet jetzt unverhältnißmäßig viel, während dann die Möglichkeit gegeben wäre, stets ganz beladene Züge zu fahren und sogar bei einigermaßen größeren Orten stets ganze Züge von Ort zu Ort. Der einzige Nachtheil, den eine der¬ artige Unterscheidung in den Lieferfristen nach den verschiedenen Gütersorten und nach Haupt- und Nebenbahnen im Gefolge hätte, wäre der, daß gewisse Sachen früher in Bestellung gegeben werden müßten, wofür eine ganz erheb¬ liche Frachtermäßigung geboten werden könnte. Wenn man berücksichtigt, daß der Güterzug-Kilometer circa 4 Mark kostet, so würde z. B. bei 100 Kilo- Meter Bahnlänge der Ausfall nur eines Güterzuges täglich — und die Zahl der Güterzüge könnte bei längeren Lieferfristen und besserer Wagenausnutzung Grenzboten II. 1877. S6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/437>, abgerufen am 26.06.2024.