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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Bis auf die neueste Zeit existirte in Ungarn keine bedeutende Kunst¬
sammlung. Da ließ 1865 der Fürst Paul Esterhazy seine bis dahin in Wien
aufbewahrte Bildergalerie nebst der dazu gehörigen Sammlung von Hand¬
zeichnungen und Kupferstichen im Palast der ungarischen Akademie zu Pest
aufstellen und dem Publikum öffnen. Als sich später die Kunde verbreitete,
dieselbe soll veräußert werden, wendeten sich sofort sechzig Municipien mit dem
Ansuchen, sie ans Staatskosten anzukaufen, an das Abgeordnetenhaus, und
1870 ging die aus 650 Oelgemälden, 3535 Originalhandzeichnungen und
51,301 Kupferstichen bestehende Sammlung in das Eigenthum des Staates
über. Den Glanzpunkt dieser Landes-Bildergalerie bilden sechs Gemälde von
Murillo, denen sich Werke von Ribera, Zurbaran und Velasquez anschließen.
Dem Mangel an Bildern aus der Zeit vor der Renaissance half 1872 der
Erlauer Domherr Jpolyi ab, indem er der Landes-Bildergalerie sechzig der
werthvollsten Stücke seiner mit großen Kosten zusammengebrachten prärcifaelitischen
Gemäldesammlung zum Geschenke machte.

Bibliotheken besitzt Ungarn außer derjenigen des Nationalmuseums noch
eine ziemlich große Anzahl: die der Bndapester Universität zählt 150,000, die
der ungarischen Akademie, des grauer Erzbisthums und der martinsberger
Benediktinerabtei haben jede circa hunderttausend Bände, und außerdem könnte
man noch dreißig Bibliotheken in der Provinz anführen, deren Bändezahl
zwischen zwanzig- und sechzigtausend schwankt.

Der hinsichtlich der Lehranstalten und wissenschaftlichen Vereine und
Sammlungen bemerkbare Aufschwung der letzten Jahre hat auch eine Zunahme
der literarischen Erzeugnisse und des lesenden Publikums zur Folge gehabt.
Nachdem der erwachte Nationalgeist die Fesseln der lateinischen Sprache abge¬
streift hatte, behauptete die ungarische Sprache in der Literatur eine herrschende
Stellung. Die Zahl der in den übrigen Sprachen des Landes erschienenen
Werke und Zeitschriften ist verhältnißmäßig viel geringer. Von den 15,417,327
Bewohnern des ungarischen Krvngebietes sind circa 40 Procent Magyaren,
während auf die rumänische Nationalität ungefähr 16>, auf die serbische und
kroatische 15, auf die deutsche 12, auf die slowakische 11, auf die ruthenische
3 und auf verschiedene audere 0,z fallen. 1831 erschienen nnr 184, im Jahre
1853 nur 336 Werke in ungarischer Sprache, 1876 aber schon 1170, von
denen 159 ans die schönwisseuschaftliche Literatur, 138 auf die Geschichte und
die Geographie, 132 auf die Rechts- und Staatswissenschaft und 79 aus
Mathematik, Naturwissenschaften u. a. kamen. Deutsch geschriebene Werke er¬
schienen im letztgenannten Jahre 134, slowakische 34, in andern Sprachen ver¬
faßte 75. Obgleich in Ungarn Werke, welche die Fortschritte der Wissenschaft
fördern, nur in mäßiger Anzahl erscheinen und nur auf ein kleines Publikum


Bis auf die neueste Zeit existirte in Ungarn keine bedeutende Kunst¬
sammlung. Da ließ 1865 der Fürst Paul Esterhazy seine bis dahin in Wien
aufbewahrte Bildergalerie nebst der dazu gehörigen Sammlung von Hand¬
zeichnungen und Kupferstichen im Palast der ungarischen Akademie zu Pest
aufstellen und dem Publikum öffnen. Als sich später die Kunde verbreitete,
dieselbe soll veräußert werden, wendeten sich sofort sechzig Municipien mit dem
Ansuchen, sie ans Staatskosten anzukaufen, an das Abgeordnetenhaus, und
1870 ging die aus 650 Oelgemälden, 3535 Originalhandzeichnungen und
51,301 Kupferstichen bestehende Sammlung in das Eigenthum des Staates
über. Den Glanzpunkt dieser Landes-Bildergalerie bilden sechs Gemälde von
Murillo, denen sich Werke von Ribera, Zurbaran und Velasquez anschließen.
Dem Mangel an Bildern aus der Zeit vor der Renaissance half 1872 der
Erlauer Domherr Jpolyi ab, indem er der Landes-Bildergalerie sechzig der
werthvollsten Stücke seiner mit großen Kosten zusammengebrachten prärcifaelitischen
Gemäldesammlung zum Geschenke machte.

Bibliotheken besitzt Ungarn außer derjenigen des Nationalmuseums noch
eine ziemlich große Anzahl: die der Bndapester Universität zählt 150,000, die
der ungarischen Akademie, des grauer Erzbisthums und der martinsberger
Benediktinerabtei haben jede circa hunderttausend Bände, und außerdem könnte
man noch dreißig Bibliotheken in der Provinz anführen, deren Bändezahl
zwischen zwanzig- und sechzigtausend schwankt.

Der hinsichtlich der Lehranstalten und wissenschaftlichen Vereine und
Sammlungen bemerkbare Aufschwung der letzten Jahre hat auch eine Zunahme
der literarischen Erzeugnisse und des lesenden Publikums zur Folge gehabt.
Nachdem der erwachte Nationalgeist die Fesseln der lateinischen Sprache abge¬
streift hatte, behauptete die ungarische Sprache in der Literatur eine herrschende
Stellung. Die Zahl der in den übrigen Sprachen des Landes erschienenen
Werke und Zeitschriften ist verhältnißmäßig viel geringer. Von den 15,417,327
Bewohnern des ungarischen Krvngebietes sind circa 40 Procent Magyaren,
während auf die rumänische Nationalität ungefähr 16>, auf die serbische und
kroatische 15, auf die deutsche 12, auf die slowakische 11, auf die ruthenische
3 und auf verschiedene audere 0,z fallen. 1831 erschienen nnr 184, im Jahre
1853 nur 336 Werke in ungarischer Sprache, 1876 aber schon 1170, von
denen 159 ans die schönwisseuschaftliche Literatur, 138 auf die Geschichte und
die Geographie, 132 auf die Rechts- und Staatswissenschaft und 79 aus
Mathematik, Naturwissenschaften u. a. kamen. Deutsch geschriebene Werke er¬
schienen im letztgenannten Jahre 134, slowakische 34, in andern Sprachen ver¬
faßte 75. Obgleich in Ungarn Werke, welche die Fortschritte der Wissenschaft
fördern, nur in mäßiger Anzahl erscheinen und nur auf ein kleines Publikum


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[0425] Bis auf die neueste Zeit existirte in Ungarn keine bedeutende Kunst¬ sammlung. Da ließ 1865 der Fürst Paul Esterhazy seine bis dahin in Wien aufbewahrte Bildergalerie nebst der dazu gehörigen Sammlung von Hand¬ zeichnungen und Kupferstichen im Palast der ungarischen Akademie zu Pest aufstellen und dem Publikum öffnen. Als sich später die Kunde verbreitete, dieselbe soll veräußert werden, wendeten sich sofort sechzig Municipien mit dem Ansuchen, sie ans Staatskosten anzukaufen, an das Abgeordnetenhaus, und 1870 ging die aus 650 Oelgemälden, 3535 Originalhandzeichnungen und 51,301 Kupferstichen bestehende Sammlung in das Eigenthum des Staates über. Den Glanzpunkt dieser Landes-Bildergalerie bilden sechs Gemälde von Murillo, denen sich Werke von Ribera, Zurbaran und Velasquez anschließen. Dem Mangel an Bildern aus der Zeit vor der Renaissance half 1872 der Erlauer Domherr Jpolyi ab, indem er der Landes-Bildergalerie sechzig der werthvollsten Stücke seiner mit großen Kosten zusammengebrachten prärcifaelitischen Gemäldesammlung zum Geschenke machte. Bibliotheken besitzt Ungarn außer derjenigen des Nationalmuseums noch eine ziemlich große Anzahl: die der Bndapester Universität zählt 150,000, die der ungarischen Akademie, des grauer Erzbisthums und der martinsberger Benediktinerabtei haben jede circa hunderttausend Bände, und außerdem könnte man noch dreißig Bibliotheken in der Provinz anführen, deren Bändezahl zwischen zwanzig- und sechzigtausend schwankt. Der hinsichtlich der Lehranstalten und wissenschaftlichen Vereine und Sammlungen bemerkbare Aufschwung der letzten Jahre hat auch eine Zunahme der literarischen Erzeugnisse und des lesenden Publikums zur Folge gehabt. Nachdem der erwachte Nationalgeist die Fesseln der lateinischen Sprache abge¬ streift hatte, behauptete die ungarische Sprache in der Literatur eine herrschende Stellung. Die Zahl der in den übrigen Sprachen des Landes erschienenen Werke und Zeitschriften ist verhältnißmäßig viel geringer. Von den 15,417,327 Bewohnern des ungarischen Krvngebietes sind circa 40 Procent Magyaren, während auf die rumänische Nationalität ungefähr 16>, auf die serbische und kroatische 15, auf die deutsche 12, auf die slowakische 11, auf die ruthenische 3 und auf verschiedene audere 0,z fallen. 1831 erschienen nnr 184, im Jahre 1853 nur 336 Werke in ungarischer Sprache, 1876 aber schon 1170, von denen 159 ans die schönwisseuschaftliche Literatur, 138 auf die Geschichte und die Geographie, 132 auf die Rechts- und Staatswissenschaft und 79 aus Mathematik, Naturwissenschaften u. a. kamen. Deutsch geschriebene Werke er¬ schienen im letztgenannten Jahre 134, slowakische 34, in andern Sprachen ver¬ faßte 75. Obgleich in Ungarn Werke, welche die Fortschritte der Wissenschaft fördern, nur in mäßiger Anzahl erscheinen und nur auf ein kleines Publikum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/425>, abgerufen am 01.07.2024.