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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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unvollständig gekleidet sich in der Öffentlichkeit blicken lassen sollte, so sollte
auch keiner ans der Straße essen und trinken, singen oder pfeifen. Nur der
Junge hatte hierzu das Recht, und, dessen ungebührliche Manieren abzuthun,
wurde der Gesell bei der Aufucihme feierlich ermahnt. Desgleichen schärfte
man ihm ein höfliches Benehmen, das sich in bestimmten Formen und Formeln
bewegen mußte, ein. Ein Beispiel hierzu entnehmen wir Berlepsch*), wo er
von deu alten Jnnungsgebräuchen der Bäcker spricht.

Zog ein Junggesell oder Jungknecht aus, um auf die Wanderschaft zu
gehen, so begleiteten ihn die übrigen am Orte arbeitenden Knechte bis an den
nächsten Ort, wo man noch einen Abschiedstrunk that. In der Regel geschah
dies des Nachmittags, und zwar am Montag. In der vorher gegangenen
"Brüderschaft", d.h. der Gesellenversammlung, hatte der Altgesell gefragt: "Ist
Einer oder der Andere wandermäßig und begehrt das Geleite zum Thore
hinaus von mir und allen guten, ehrlichen Knechten, so soll's ihm widerfahren."
Dem Bruder, der sich auf diese Frage meldete, wurde dann ein Gruß an das
Handwerk der nächsten Stadt aufgetragen, der gemeiniglich lautete: "Grüße
mir Meister und Gesellen, soweit das Handwerk redlich ist. Ist's aber nicht
redlich, so nimm Geld und Geldeswerth und hilf's redlich machen. Ist's aber
nicht redlich zu machen, so nimm Dein Bündel auf den Rücken, Deinen Degen
an die Seite und laß Schelmen und Diebe fitzen."

Wenn dann ein solcher Wanderbursch des Bückergewerbes in eine Stadt
gekommen war und sich ans die Herberge begab, mußte er sein Bündel oder
Felleisen ordentlich aufgeschnallt auf beideu Schultern, die Handschuhe in der
linken Hand, den Stock in der rechten tragen, und, in das Haus eingetreten,
hatte er folgenden Gruß an den Herbergsvater und dessen Familie zu
sprechen: "Guten Tag! Gott ehre das Reich, Gott ehre das Gelag, Gott ehre
den Herrn Vater, die Frau Mutter, Brüder und Schwestern und alle frommen
Bäckersknechte, wo sie alle versammelt sein, es sei gleich hier oder anderswo."
Nachdem er in die Stube gekommen und an der Thür in gleicher Weise ge¬
grüßt hatte, sprach er die andern Brüder an: "Mit Gunst, Ihr Brüder, wo
und welcher ist der Herr Vater?" War ihm dieser gezeigt, so ging er auf ihn
zu und sagte: "Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle
mich und meine Mitkonsorten beherbergen; wir wollen uns verhalten, wie
es frommen Bäckerknechten gebührt und wohl ansteht, es sei gleich hier oder
anderswo." Hatte ihm nun der Herbergsvater zugenickt, so sprach der Gesell
ferner: "Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle uns



Chronik der GeWerke, Se. Gallen, Verlag von Scheitlin und Zollikofer, 6- Band,
S. 120 ff.

unvollständig gekleidet sich in der Öffentlichkeit blicken lassen sollte, so sollte
auch keiner ans der Straße essen und trinken, singen oder pfeifen. Nur der
Junge hatte hierzu das Recht, und, dessen ungebührliche Manieren abzuthun,
wurde der Gesell bei der Aufucihme feierlich ermahnt. Desgleichen schärfte
man ihm ein höfliches Benehmen, das sich in bestimmten Formen und Formeln
bewegen mußte, ein. Ein Beispiel hierzu entnehmen wir Berlepsch*), wo er
von deu alten Jnnungsgebräuchen der Bäcker spricht.

Zog ein Junggesell oder Jungknecht aus, um auf die Wanderschaft zu
gehen, so begleiteten ihn die übrigen am Orte arbeitenden Knechte bis an den
nächsten Ort, wo man noch einen Abschiedstrunk that. In der Regel geschah
dies des Nachmittags, und zwar am Montag. In der vorher gegangenen
„Brüderschaft", d.h. der Gesellenversammlung, hatte der Altgesell gefragt: „Ist
Einer oder der Andere wandermäßig und begehrt das Geleite zum Thore
hinaus von mir und allen guten, ehrlichen Knechten, so soll's ihm widerfahren."
Dem Bruder, der sich auf diese Frage meldete, wurde dann ein Gruß an das
Handwerk der nächsten Stadt aufgetragen, der gemeiniglich lautete: „Grüße
mir Meister und Gesellen, soweit das Handwerk redlich ist. Ist's aber nicht
redlich, so nimm Geld und Geldeswerth und hilf's redlich machen. Ist's aber
nicht redlich zu machen, so nimm Dein Bündel auf den Rücken, Deinen Degen
an die Seite und laß Schelmen und Diebe fitzen."

Wenn dann ein solcher Wanderbursch des Bückergewerbes in eine Stadt
gekommen war und sich ans die Herberge begab, mußte er sein Bündel oder
Felleisen ordentlich aufgeschnallt auf beideu Schultern, die Handschuhe in der
linken Hand, den Stock in der rechten tragen, und, in das Haus eingetreten,
hatte er folgenden Gruß an den Herbergsvater und dessen Familie zu
sprechen: „Guten Tag! Gott ehre das Reich, Gott ehre das Gelag, Gott ehre
den Herrn Vater, die Frau Mutter, Brüder und Schwestern und alle frommen
Bäckersknechte, wo sie alle versammelt sein, es sei gleich hier oder anderswo."
Nachdem er in die Stube gekommen und an der Thür in gleicher Weise ge¬
grüßt hatte, sprach er die andern Brüder an: „Mit Gunst, Ihr Brüder, wo
und welcher ist der Herr Vater?" War ihm dieser gezeigt, so ging er auf ihn
zu und sagte: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle
mich und meine Mitkonsorten beherbergen; wir wollen uns verhalten, wie
es frommen Bäckerknechten gebührt und wohl ansteht, es sei gleich hier oder
anderswo." Hatte ihm nun der Herbergsvater zugenickt, so sprach der Gesell
ferner: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle uns



Chronik der GeWerke, Se. Gallen, Verlag von Scheitlin und Zollikofer, 6- Band,
S. 120 ff.
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[0409] unvollständig gekleidet sich in der Öffentlichkeit blicken lassen sollte, so sollte auch keiner ans der Straße essen und trinken, singen oder pfeifen. Nur der Junge hatte hierzu das Recht, und, dessen ungebührliche Manieren abzuthun, wurde der Gesell bei der Aufucihme feierlich ermahnt. Desgleichen schärfte man ihm ein höfliches Benehmen, das sich in bestimmten Formen und Formeln bewegen mußte, ein. Ein Beispiel hierzu entnehmen wir Berlepsch*), wo er von deu alten Jnnungsgebräuchen der Bäcker spricht. Zog ein Junggesell oder Jungknecht aus, um auf die Wanderschaft zu gehen, so begleiteten ihn die übrigen am Orte arbeitenden Knechte bis an den nächsten Ort, wo man noch einen Abschiedstrunk that. In der Regel geschah dies des Nachmittags, und zwar am Montag. In der vorher gegangenen „Brüderschaft", d.h. der Gesellenversammlung, hatte der Altgesell gefragt: „Ist Einer oder der Andere wandermäßig und begehrt das Geleite zum Thore hinaus von mir und allen guten, ehrlichen Knechten, so soll's ihm widerfahren." Dem Bruder, der sich auf diese Frage meldete, wurde dann ein Gruß an das Handwerk der nächsten Stadt aufgetragen, der gemeiniglich lautete: „Grüße mir Meister und Gesellen, soweit das Handwerk redlich ist. Ist's aber nicht redlich, so nimm Geld und Geldeswerth und hilf's redlich machen. Ist's aber nicht redlich zu machen, so nimm Dein Bündel auf den Rücken, Deinen Degen an die Seite und laß Schelmen und Diebe fitzen." Wenn dann ein solcher Wanderbursch des Bückergewerbes in eine Stadt gekommen war und sich ans die Herberge begab, mußte er sein Bündel oder Felleisen ordentlich aufgeschnallt auf beideu Schultern, die Handschuhe in der linken Hand, den Stock in der rechten tragen, und, in das Haus eingetreten, hatte er folgenden Gruß an den Herbergsvater und dessen Familie zu sprechen: „Guten Tag! Gott ehre das Reich, Gott ehre das Gelag, Gott ehre den Herrn Vater, die Frau Mutter, Brüder und Schwestern und alle frommen Bäckersknechte, wo sie alle versammelt sein, es sei gleich hier oder anderswo." Nachdem er in die Stube gekommen und an der Thür in gleicher Weise ge¬ grüßt hatte, sprach er die andern Brüder an: „Mit Gunst, Ihr Brüder, wo und welcher ist der Herr Vater?" War ihm dieser gezeigt, so ging er auf ihn zu und sagte: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mich und meine Mitkonsorten beherbergen; wir wollen uns verhalten, wie es frommen Bäckerknechten gebührt und wohl ansteht, es sei gleich hier oder anderswo." Hatte ihm nun der Herbergsvater zugenickt, so sprach der Gesell ferner: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle uns Chronik der GeWerke, Se. Gallen, Verlag von Scheitlin und Zollikofer, 6- Band, S. 120 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/409>, abgerufen am 01.07.2024.