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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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und Lästern, alle unzüchtigen und gottlosen Reime, Reden und Possen. Diese
Verbote erstreckten sich zunächst ans die Versammlungen der Gesellenschaft in
der Herberge, und nur in Betreff dessen, was in diesen von der Art vorfiel,
stand dem Handwerk ursprünglich ein Strafrecht zu. Doch dehnten die Zünfte
mit der Zeit dieses Recht bald weiter aus und zogen für solche Vergehen,
auch wenn es in der Werkstatt, auf der Straße oder sonstwo begangen worden
war, zur Verantwortung, um zu Gunsten der Kasse oder, wo die Strafe in
der Bezahlung von Getränk bestand, zu Bußen verurtheilen zu können. Das
unzüchtige Leben war besonders streng verpönt, jeder Umgang mit verdächtigen
Weibern untersagt, wilde Ehe, sogar die Anticipation der Ehe bei der erklärten
Braut, hier und da anch der Besuch der Fraueuhäuser machten unehrlich.
Namentlich wurde letzterer geahndet, wenn er an Sonn- oder Feiertagen statt¬
gefunden hatte. 1403 wurde der Kürschnergesell Paul Meichstern in Nürnberg
auf ein Jahr aus der Stadt verwiesen, weil er am Allerheiligenabend in
eine solche Anstalt gegangen war. Mit dem Karten- und dem Würfelspiel
nahm man es leichter, die Statuten geben gewöhnlich nur an, wie hoch ein
Gesell oder Knecht spielen dürfe. Gänzliche Verbote kommen zwar in der
Ordnung der Kupferschmiede von 1554 und in den Satzungen der Küfer von
1680 vor, doch scheint es, daß sie sich nur ans das Spiel bei den "Geboten",
d. h. den Versammlungen der Gesellen, bezogen, wo es nach Schluß der Lade
eine gewöhnliche Belustigung war. Nahmen doch die Gesellen mancher Hand¬
werke den "Jünger" dadurch in ihre Genossenschaft anf, daß sie -- freilich
unter allerlei Chikanen -- mit ihm Karte spielten; es war eben das Zeichen,
daß er ihnen fortan als Gleicher gelte.

Das zu starke Trinken war nicht bloß den Gesellen, sondern anch den
Meistern durch Reichsschlusse und Zunftstatuten untersagt, namentlich das "Zu>
trinken zum Halben und zum Bollen," es war aber nur zu sehr die allgemeine Regel,
und die Verbote halfen wenig, obwohl sie durch einen Reichsschlnß damit, daß
die Völlerei "Gott erzürne und viel Laster, Uebel und Unrath erzeuge," und
durch die Kupferschmiede-Ordnung von 1554 damit, daß sie "Mißwachs und
Theuerung verursache," motivirt waren. Die Handwerke, welche die Strafe für
diese Sünde zu verhängen hatten, definirten das Vollgetrunkensein gewöhnlich
als den Zustand, wo der Betreffende mehr zu sich genommen, als sein Magen
behalten könnte. Meist beschränkten sich indeß diese Verbote auf die Herberge
und die Straße, das Haus blieb unerwähnt, und nur wenige Ordnungen
verboten den Gesellen und zugleich den Meistern "das schändliche Branntwein-
und Tabaktrinken" vollständig.

Auch für eine ehrbare und anständige Haltung auf der Straße von
Seiten der Gesellen war in den alten Handwerkssatzungen gesorgt. Wie keiner


und Lästern, alle unzüchtigen und gottlosen Reime, Reden und Possen. Diese
Verbote erstreckten sich zunächst ans die Versammlungen der Gesellenschaft in
der Herberge, und nur in Betreff dessen, was in diesen von der Art vorfiel,
stand dem Handwerk ursprünglich ein Strafrecht zu. Doch dehnten die Zünfte
mit der Zeit dieses Recht bald weiter aus und zogen für solche Vergehen,
auch wenn es in der Werkstatt, auf der Straße oder sonstwo begangen worden
war, zur Verantwortung, um zu Gunsten der Kasse oder, wo die Strafe in
der Bezahlung von Getränk bestand, zu Bußen verurtheilen zu können. Das
unzüchtige Leben war besonders streng verpönt, jeder Umgang mit verdächtigen
Weibern untersagt, wilde Ehe, sogar die Anticipation der Ehe bei der erklärten
Braut, hier und da anch der Besuch der Fraueuhäuser machten unehrlich.
Namentlich wurde letzterer geahndet, wenn er an Sonn- oder Feiertagen statt¬
gefunden hatte. 1403 wurde der Kürschnergesell Paul Meichstern in Nürnberg
auf ein Jahr aus der Stadt verwiesen, weil er am Allerheiligenabend in
eine solche Anstalt gegangen war. Mit dem Karten- und dem Würfelspiel
nahm man es leichter, die Statuten geben gewöhnlich nur an, wie hoch ein
Gesell oder Knecht spielen dürfe. Gänzliche Verbote kommen zwar in der
Ordnung der Kupferschmiede von 1554 und in den Satzungen der Küfer von
1680 vor, doch scheint es, daß sie sich nur ans das Spiel bei den „Geboten",
d. h. den Versammlungen der Gesellen, bezogen, wo es nach Schluß der Lade
eine gewöhnliche Belustigung war. Nahmen doch die Gesellen mancher Hand¬
werke den „Jünger" dadurch in ihre Genossenschaft anf, daß sie — freilich
unter allerlei Chikanen — mit ihm Karte spielten; es war eben das Zeichen,
daß er ihnen fortan als Gleicher gelte.

Das zu starke Trinken war nicht bloß den Gesellen, sondern anch den
Meistern durch Reichsschlusse und Zunftstatuten untersagt, namentlich das „Zu>
trinken zum Halben und zum Bollen," es war aber nur zu sehr die allgemeine Regel,
und die Verbote halfen wenig, obwohl sie durch einen Reichsschlnß damit, daß
die Völlerei „Gott erzürne und viel Laster, Uebel und Unrath erzeuge," und
durch die Kupferschmiede-Ordnung von 1554 damit, daß sie „Mißwachs und
Theuerung verursache," motivirt waren. Die Handwerke, welche die Strafe für
diese Sünde zu verhängen hatten, definirten das Vollgetrunkensein gewöhnlich
als den Zustand, wo der Betreffende mehr zu sich genommen, als sein Magen
behalten könnte. Meist beschränkten sich indeß diese Verbote auf die Herberge
und die Straße, das Haus blieb unerwähnt, und nur wenige Ordnungen
verboten den Gesellen und zugleich den Meistern „das schändliche Branntwein-
und Tabaktrinken" vollständig.

Auch für eine ehrbare und anständige Haltung auf der Straße von
Seiten der Gesellen war in den alten Handwerkssatzungen gesorgt. Wie keiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/408>, abgerufen am 29.06.2024.