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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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vergönnen, unsere Bündel abzulegen." Darauf legte er sein Felleisen unter
die Baut; denn auf den Tisch oder die Bank durfte er es ohne Erlaubniß
nicht bringen. Der "Herr Vater" aber trat herzu, holte das Bündel unter
der Bank hervor und legte es ans dieselbe.

Wollte nun Einer sich nach Arbeit umsehen und mit einem Meister sprechen,
so mußte er ein ihn legitimireudes Zeichen haben, welches in der Herbergsstube
an der Wand hing. Dieses Zeichen durfte er aber uicht ohne Weiteres herunter-
nehmen, sondern er hatte den Herbergsvater mit einem bestimmten Spruche
darum zu bitten, welcher lautete: "Mit Gunst, wir wollen den Herrn Vater
angesprochen haben, er wolle uns vergönnen, das Zeichen herabzunehmen, wir
wollen bei den Meistern um Arbeit zusprechen." Hatte der Gesell sich unter
Vorzeigung dieses Erkennungszeichens in der Stadt nach Arbeit umgethan, so
lieferte er es wieder ab und bedankte sich.

Wenn es Nacht werden wollte, mußte der, welcher zuletzt eingewandert
war, den. Herbergsvater um das "Bruderbett" bitten. Wußte er die Zeit
uicht, in welcher man nach Vorschrift oder Herkommen schlafen ging, so hatte
er die andern Gesellen zu fragen: "Mit Gunst, Ihr Brüder, um wie viel Uhr
wird hier um das Bruderbett gebeten?" Hatte er es erfahren, so trat er
um die ihm genannte Zeit vor den Herbergsvater und sagte: "Mit Gunst, ich
will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir und meinen Mitkonsorten
vergönnen, in dem frommen Bruderbett zu schlafen, wir wollen uns verhalten,
wie es frommen Bäckerknechten gebühret und wohl anstehet, es sei gleich hier
oder anderswo." Nachdem die Erlaubniß ertheilt worden und die Gesellschaft
sich zum Aufbruch erhoben, sprach er: "Mit Gunst, daß ich mag in der frommen
Brüder Schlafkammer gehen. Mit Gunst, daß ich mich mag ausziehen, von
oben bis unten und von unten bis oben. Mit Gunst, daß ich mag in der
fromme" Brüder Bett schlafen." Während des Winters durfte ein Bäcker¬
knecht nicht vor acht, während des Sommers nicht vor neun Uhr ins Bett
steigen. Ferner durfte er nichts Unreines an seinem Leibe haben und nicht
länger als bis sechs Uhr Morgens liegen bleiben, auch die Kleider nicht nahe
ans Bett legen.

Von Zeit zu Zeit wurde ein "Brudertisch," d. h. ein Gesellengericht mit
Gelage, abgehalten. Beabsichtigte man dies, so mußte die Erlaubniß dazu
vom Herbergsvater eingeholt werden, was mit folgender feststehender Formel
geschah: "Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir
und meinen Mitkonsorten vergönnen, einen saubern Brudertisch zu halten.
Wir wollen uns verhalten, wie es frommen Bäckerknechten gebühret und wohl
anstehet, es sei gleich hier oder anderswo." Hatte der Sprecher die Erlaubniß
bekommen, so mußten alle in der Stube anwesenden Bäckergesellen hinaus-


vergönnen, unsere Bündel abzulegen." Darauf legte er sein Felleisen unter
die Baut; denn auf den Tisch oder die Bank durfte er es ohne Erlaubniß
nicht bringen. Der „Herr Vater" aber trat herzu, holte das Bündel unter
der Bank hervor und legte es ans dieselbe.

Wollte nun Einer sich nach Arbeit umsehen und mit einem Meister sprechen,
so mußte er ein ihn legitimireudes Zeichen haben, welches in der Herbergsstube
an der Wand hing. Dieses Zeichen durfte er aber uicht ohne Weiteres herunter-
nehmen, sondern er hatte den Herbergsvater mit einem bestimmten Spruche
darum zu bitten, welcher lautete: „Mit Gunst, wir wollen den Herrn Vater
angesprochen haben, er wolle uns vergönnen, das Zeichen herabzunehmen, wir
wollen bei den Meistern um Arbeit zusprechen." Hatte der Gesell sich unter
Vorzeigung dieses Erkennungszeichens in der Stadt nach Arbeit umgethan, so
lieferte er es wieder ab und bedankte sich.

Wenn es Nacht werden wollte, mußte der, welcher zuletzt eingewandert
war, den. Herbergsvater um das „Bruderbett" bitten. Wußte er die Zeit
uicht, in welcher man nach Vorschrift oder Herkommen schlafen ging, so hatte
er die andern Gesellen zu fragen: „Mit Gunst, Ihr Brüder, um wie viel Uhr
wird hier um das Bruderbett gebeten?" Hatte er es erfahren, so trat er
um die ihm genannte Zeit vor den Herbergsvater und sagte: „Mit Gunst, ich
will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir und meinen Mitkonsorten
vergönnen, in dem frommen Bruderbett zu schlafen, wir wollen uns verhalten,
wie es frommen Bäckerknechten gebühret und wohl anstehet, es sei gleich hier
oder anderswo." Nachdem die Erlaubniß ertheilt worden und die Gesellschaft
sich zum Aufbruch erhoben, sprach er: „Mit Gunst, daß ich mag in der frommen
Brüder Schlafkammer gehen. Mit Gunst, daß ich mich mag ausziehen, von
oben bis unten und von unten bis oben. Mit Gunst, daß ich mag in der
fromme» Brüder Bett schlafen." Während des Winters durfte ein Bäcker¬
knecht nicht vor acht, während des Sommers nicht vor neun Uhr ins Bett
steigen. Ferner durfte er nichts Unreines an seinem Leibe haben und nicht
länger als bis sechs Uhr Morgens liegen bleiben, auch die Kleider nicht nahe
ans Bett legen.

Von Zeit zu Zeit wurde ein „Brudertisch," d. h. ein Gesellengericht mit
Gelage, abgehalten. Beabsichtigte man dies, so mußte die Erlaubniß dazu
vom Herbergsvater eingeholt werden, was mit folgender feststehender Formel
geschah: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir
und meinen Mitkonsorten vergönnen, einen saubern Brudertisch zu halten.
Wir wollen uns verhalten, wie es frommen Bäckerknechten gebühret und wohl
anstehet, es sei gleich hier oder anderswo." Hatte der Sprecher die Erlaubniß
bekommen, so mußten alle in der Stube anwesenden Bäckergesellen hinaus-


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[0410] vergönnen, unsere Bündel abzulegen." Darauf legte er sein Felleisen unter die Baut; denn auf den Tisch oder die Bank durfte er es ohne Erlaubniß nicht bringen. Der „Herr Vater" aber trat herzu, holte das Bündel unter der Bank hervor und legte es ans dieselbe. Wollte nun Einer sich nach Arbeit umsehen und mit einem Meister sprechen, so mußte er ein ihn legitimireudes Zeichen haben, welches in der Herbergsstube an der Wand hing. Dieses Zeichen durfte er aber uicht ohne Weiteres herunter- nehmen, sondern er hatte den Herbergsvater mit einem bestimmten Spruche darum zu bitten, welcher lautete: „Mit Gunst, wir wollen den Herrn Vater angesprochen haben, er wolle uns vergönnen, das Zeichen herabzunehmen, wir wollen bei den Meistern um Arbeit zusprechen." Hatte der Gesell sich unter Vorzeigung dieses Erkennungszeichens in der Stadt nach Arbeit umgethan, so lieferte er es wieder ab und bedankte sich. Wenn es Nacht werden wollte, mußte der, welcher zuletzt eingewandert war, den. Herbergsvater um das „Bruderbett" bitten. Wußte er die Zeit uicht, in welcher man nach Vorschrift oder Herkommen schlafen ging, so hatte er die andern Gesellen zu fragen: „Mit Gunst, Ihr Brüder, um wie viel Uhr wird hier um das Bruderbett gebeten?" Hatte er es erfahren, so trat er um die ihm genannte Zeit vor den Herbergsvater und sagte: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir und meinen Mitkonsorten vergönnen, in dem frommen Bruderbett zu schlafen, wir wollen uns verhalten, wie es frommen Bäckerknechten gebühret und wohl anstehet, es sei gleich hier oder anderswo." Nachdem die Erlaubniß ertheilt worden und die Gesellschaft sich zum Aufbruch erhoben, sprach er: „Mit Gunst, daß ich mag in der frommen Brüder Schlafkammer gehen. Mit Gunst, daß ich mich mag ausziehen, von oben bis unten und von unten bis oben. Mit Gunst, daß ich mag in der fromme» Brüder Bett schlafen." Während des Winters durfte ein Bäcker¬ knecht nicht vor acht, während des Sommers nicht vor neun Uhr ins Bett steigen. Ferner durfte er nichts Unreines an seinem Leibe haben und nicht länger als bis sechs Uhr Morgens liegen bleiben, auch die Kleider nicht nahe ans Bett legen. Von Zeit zu Zeit wurde ein „Brudertisch," d. h. ein Gesellengericht mit Gelage, abgehalten. Beabsichtigte man dies, so mußte die Erlaubniß dazu vom Herbergsvater eingeholt werden, was mit folgender feststehender Formel geschah: „Mit Gunst, ich will den Herrn Vater gebeten haben, er wolle mir und meinen Mitkonsorten vergönnen, einen saubern Brudertisch zu halten. Wir wollen uns verhalten, wie es frommen Bäckerknechten gebühret und wohl anstehet, es sei gleich hier oder anderswo." Hatte der Sprecher die Erlaubniß bekommen, so mußten alle in der Stube anwesenden Bäckergesellen hinaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/410>, abgerufen am 01.10.2024.