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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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verwirklichen lassen, zu Toskana noch ein paar abgerissene Stücke des Kirchen¬
staates hinzuzuerhalten und damit einen Zusammenhang zwischen den Be¬
sitzungen des Kaisers und denen seines Bruders herzustellen.

Vielleicht geben diese wenigen, aufs Gerathewohl herausgegriffenen Dinge
einen Eindruck von den Peinlichkeiten und Widersprüchen überhaupt, in denen die
österreichische Politik sich abquälte. Das Ende war, daß in Italien nichts er¬
reicht wurde und die französische Uebermacht sich immer weiter ausbreitete, in
Deutschland aber durch den Reichsdeputationshauptschluß (1802/3) die geistliche
Fürstengewalt -- diese Hauptstütze österreichischer und kaiserlicher Autorität --
mit kaum nennenswerther Ausnahme ein Ende fand. Preußen und Baiern
das letztere in recht ausgesuchter Weise eben da, wo es für Oesterreich am
unbequemsten sein mußte -- erhielten stattlichen Zuwachs. Was noch von
Reichsverfassung übrig blieb, war eine Maschine, welche, überhaupt nicht mehr
arbeitsfähig, auch zu den niederen und unregelmäßigen Diensten, die sie für
Ausnutzung fremder Kräfte in österreichischem Interesse früherhin noch geleistet
hatte, sich nicht mehr gebrauchen ließ.

Das Aussehen der Dinge ändert sich, als, von 1803 an, der Einklang
zwischen Rußland und Frankreich verloren geht und im Kaiser Alexander
immer entschiedener die Absicht auf Eindämmung der französischen Macht,
auf eine Neugestaltung der europäischen Staatenverhältnisse überhaupt sich
entwickelt. Statt aber zum reinen Genuß eines Vortheils aus dieser Ent¬
zweiung derer, durch deren Zusammenstehn man bisher belästigt worden war,
zu gelangen, fand sich die österreichische Politik nur in neue Rathlosigkeiten
verwickelt. Nach wie vor fühlt sie ein starkes Bedürfniß, sich den Frieden zu
erhalten -- um so stärker, da der Krieg, wenn man ihn im Bunde mit
Rußland gegen Frankreich aufnahm, zunächst mit seinem ganzen Schwerpunkt
auf Oesterreich fallen, Rußland erst an zweiter Stelle treffen mußte. Wie aber
dem immer stärkeren, immer herrischeren Andringen des russischen Hofes auf die
Dauer widerstreben, ohne auf der einen Seite den Vorrang in der Gunst des
Zaren an Preußen zu verlieren, andrerseits sich ganz hilflos den immer rück¬
sichtsloseren, immer bedrohlicheren Ausschreitungen Frankreichs blosgegeben zu
sehn! Wäre nur wenigstens Preußen mit in die Bewegung gegen Frankreich
hineinzuziehen gewesen! Aber welche klägliche Unentschlossenheit in der preußischen
Politik jener Tage! Und welche russischen Ungeschicklichkeiten, durch die jener
Unentschlossenheit ein Ziel gesetzt werden sollte! Der dringende Wunsch, sich
ohne Krieg durchzuhelfen, solange es nicht absolut unmöglich, das Bemühen,
sich selbst den Glauben an einige Mäßigung Frankreichs einzureden trotz aller
Beweise vom Gegentheil, -- die Besorgniß, durch hartnäckige Behauptung einer
friedlichen Haltung alle Fühlung mit Rußland zu verlieren, -- die Ungewiß-


Greiizboten N> 1877. S

verwirklichen lassen, zu Toskana noch ein paar abgerissene Stücke des Kirchen¬
staates hinzuzuerhalten und damit einen Zusammenhang zwischen den Be¬
sitzungen des Kaisers und denen seines Bruders herzustellen.

Vielleicht geben diese wenigen, aufs Gerathewohl herausgegriffenen Dinge
einen Eindruck von den Peinlichkeiten und Widersprüchen überhaupt, in denen die
österreichische Politik sich abquälte. Das Ende war, daß in Italien nichts er¬
reicht wurde und die französische Uebermacht sich immer weiter ausbreitete, in
Deutschland aber durch den Reichsdeputationshauptschluß (1802/3) die geistliche
Fürstengewalt — diese Hauptstütze österreichischer und kaiserlicher Autorität —
mit kaum nennenswerther Ausnahme ein Ende fand. Preußen und Baiern
das letztere in recht ausgesuchter Weise eben da, wo es für Oesterreich am
unbequemsten sein mußte — erhielten stattlichen Zuwachs. Was noch von
Reichsverfassung übrig blieb, war eine Maschine, welche, überhaupt nicht mehr
arbeitsfähig, auch zu den niederen und unregelmäßigen Diensten, die sie für
Ausnutzung fremder Kräfte in österreichischem Interesse früherhin noch geleistet
hatte, sich nicht mehr gebrauchen ließ.

Das Aussehen der Dinge ändert sich, als, von 1803 an, der Einklang
zwischen Rußland und Frankreich verloren geht und im Kaiser Alexander
immer entschiedener die Absicht auf Eindämmung der französischen Macht,
auf eine Neugestaltung der europäischen Staatenverhältnisse überhaupt sich
entwickelt. Statt aber zum reinen Genuß eines Vortheils aus dieser Ent¬
zweiung derer, durch deren Zusammenstehn man bisher belästigt worden war,
zu gelangen, fand sich die österreichische Politik nur in neue Rathlosigkeiten
verwickelt. Nach wie vor fühlt sie ein starkes Bedürfniß, sich den Frieden zu
erhalten — um so stärker, da der Krieg, wenn man ihn im Bunde mit
Rußland gegen Frankreich aufnahm, zunächst mit seinem ganzen Schwerpunkt
auf Oesterreich fallen, Rußland erst an zweiter Stelle treffen mußte. Wie aber
dem immer stärkeren, immer herrischeren Andringen des russischen Hofes auf die
Dauer widerstreben, ohne auf der einen Seite den Vorrang in der Gunst des
Zaren an Preußen zu verlieren, andrerseits sich ganz hilflos den immer rück¬
sichtsloseren, immer bedrohlicheren Ausschreitungen Frankreichs blosgegeben zu
sehn! Wäre nur wenigstens Preußen mit in die Bewegung gegen Frankreich
hineinzuziehen gewesen! Aber welche klägliche Unentschlossenheit in der preußischen
Politik jener Tage! Und welche russischen Ungeschicklichkeiten, durch die jener
Unentschlossenheit ein Ziel gesetzt werden sollte! Der dringende Wunsch, sich
ohne Krieg durchzuhelfen, solange es nicht absolut unmöglich, das Bemühen,
sich selbst den Glauben an einige Mäßigung Frankreichs einzureden trotz aller
Beweise vom Gegentheil, — die Besorgniß, durch hartnäckige Behauptung einer
friedlichen Haltung alle Fühlung mit Rußland zu verlieren, — die Ungewiß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/37>, abgerufen am 28.09.2024.