Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.sichtlich auf Unkosten der geistlichen Landesherrlichkeiten geschehen mußte -- sichtlich auf Unkosten der geistlichen Landesherrlichkeiten geschehen mußte — <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137737"/> <p xml:id="ID_68" prev="#ID_67" next="#ID_69"> sichtlich auf Unkosten der geistlichen Landesherrlichkeiten geschehen mußte —<lb/> bei der vollständigen Umwälzung aller bisherigen Reichsverhältnisse, die mit<lb/> dem Verschwinden der Bischöfe und Aebte aus den Reihen der Fürsten, der<lb/> Reichsstände, nothwendig verbunden war. Durch jeues enge Zusammenwirken<lb/> Frankreichs und Rußlands fühlte sich nun mitunter auch Preußen gedrückt,<lb/> und es mochte sich in Wien eine Hoffnung regen, durch Herstellung eines<lb/> besseren Vernehmens mit dem deutschen Rivalen sich gegen jene Beiden in eine<lb/> leidlichere Verfassung zu setzen. Wäre es nnr nicht gerade jenes Ent¬<lb/> schädigungswerk gewesen, durch welches niemand so sehr, als eben Oesterreich<lb/> undPrenßen, sich immer und immer wieder in einen Widerstreit unter einander<lb/> selbst, einen Widerstreit allergröbster, weil, allermateriellster Art getrieben<lb/> sahen. Oesterreichs hartnäckige Bestrebungen, von geistlichen Landesherrlich¬<lb/> keiten zu retten, was sich retten lassen mochte, sind bekannt; Preußen war<lb/> schon durch seine eigensten Erwerbsaussichten darauf angewiesen, rüstig am<lb/> Süknlarisativnswerke mitzuarbeiten, und hatte sich hierin der vollen Zustim¬<lb/> mung Rußlands und Frankreichs zu erfreuen. Aber mit ganzer Kraft gegen<lb/> das widerwärtige Säkularisativnsprinzip sich zur Wehr zu setzen, fand Oester¬<lb/> reich ein lästiges Hinderniß auch bei sich selbst: in der Sorge um den Bruder<lb/> des Kaisers, der auch seinerseits, für den Verlust von Toskana, auf deutschem<lb/> Boden eine Schadloshaltung beanspruchte und sie hier doch schwerlich anders<lb/> als in geistlichem Gute erlangen mochte. Natürlich aber, daß dann auch wieder<lb/> in diesen: Anspruch des Toskaners und der Befürwortung desselben durch<lb/> Oesterreich der preußische Hof einen unliebsamen Anknüpfungspunkt fand, um<lb/> mit verdoppeltem Nachdruck seineu Verwandten, den Orcmiern, eine reichliche<lb/> deutsche Entschädigung für die verlorene holländische Erbstatthalterwürde zu<lb/> verlangen. Welch ein Glück, wenn es da gelungen wäre, dem Bruder des<lb/> Kaisers das italienische Großherzogthum zu bewahren! Dann ging Oesterreich<lb/> der Aufgabe, ihn in Deutschland zu entschädigen, ganz aus dem Wege und konnte<lb/> hier um so unbeirrter gegen die Säkularisationsbestrebungen und für möglichste Auf¬<lb/> rechthaltung der bestehenden Zustünde arbeiten; auf dem italienischen Boden aber<lb/> stand man dann nicht, mit dem erst kürzlich erworbenen venetianischen Besitz, ganz<lb/> vereinsamt einer durchweg von Frankreich dominirteu Welt gegenüber. Eben aber<lb/> auf diesem italienischen Boden, auf welchen sich Wunsch und Begierde Oester¬<lb/> reichs um so sehnsüchtiger richtete, je gedrückter und gedrängter man, dem Zu¬<lb/> sammenwirken dreier Großmächte gegenüber, sich in Deutschland fühlte — eben<lb/> auf diesem italienischen Boden gefiel sich jetzt Frankreich in immer ausschlie߬<lb/> licherer Geltendmachung seines Einflusses, immer größerer Ausdehnung<lb/> seiner Anmaßungen; und den rechten Werth für Oesterreich hätte doch auch<lb/> die Behauptung Toskanas erst dann gehabt, wenn sich das Verlangen hätte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
sichtlich auf Unkosten der geistlichen Landesherrlichkeiten geschehen mußte —
bei der vollständigen Umwälzung aller bisherigen Reichsverhältnisse, die mit
dem Verschwinden der Bischöfe und Aebte aus den Reihen der Fürsten, der
Reichsstände, nothwendig verbunden war. Durch jeues enge Zusammenwirken
Frankreichs und Rußlands fühlte sich nun mitunter auch Preußen gedrückt,
und es mochte sich in Wien eine Hoffnung regen, durch Herstellung eines
besseren Vernehmens mit dem deutschen Rivalen sich gegen jene Beiden in eine
leidlichere Verfassung zu setzen. Wäre es nnr nicht gerade jenes Ent¬
schädigungswerk gewesen, durch welches niemand so sehr, als eben Oesterreich
undPrenßen, sich immer und immer wieder in einen Widerstreit unter einander
selbst, einen Widerstreit allergröbster, weil, allermateriellster Art getrieben
sahen. Oesterreichs hartnäckige Bestrebungen, von geistlichen Landesherrlich¬
keiten zu retten, was sich retten lassen mochte, sind bekannt; Preußen war
schon durch seine eigensten Erwerbsaussichten darauf angewiesen, rüstig am
Süknlarisativnswerke mitzuarbeiten, und hatte sich hierin der vollen Zustim¬
mung Rußlands und Frankreichs zu erfreuen. Aber mit ganzer Kraft gegen
das widerwärtige Säkularisativnsprinzip sich zur Wehr zu setzen, fand Oester¬
reich ein lästiges Hinderniß auch bei sich selbst: in der Sorge um den Bruder
des Kaisers, der auch seinerseits, für den Verlust von Toskana, auf deutschem
Boden eine Schadloshaltung beanspruchte und sie hier doch schwerlich anders
als in geistlichem Gute erlangen mochte. Natürlich aber, daß dann auch wieder
in diesen: Anspruch des Toskaners und der Befürwortung desselben durch
Oesterreich der preußische Hof einen unliebsamen Anknüpfungspunkt fand, um
mit verdoppeltem Nachdruck seineu Verwandten, den Orcmiern, eine reichliche
deutsche Entschädigung für die verlorene holländische Erbstatthalterwürde zu
verlangen. Welch ein Glück, wenn es da gelungen wäre, dem Bruder des
Kaisers das italienische Großherzogthum zu bewahren! Dann ging Oesterreich
der Aufgabe, ihn in Deutschland zu entschädigen, ganz aus dem Wege und konnte
hier um so unbeirrter gegen die Säkularisationsbestrebungen und für möglichste Auf¬
rechthaltung der bestehenden Zustünde arbeiten; auf dem italienischen Boden aber
stand man dann nicht, mit dem erst kürzlich erworbenen venetianischen Besitz, ganz
vereinsamt einer durchweg von Frankreich dominirteu Welt gegenüber. Eben aber
auf diesem italienischen Boden, auf welchen sich Wunsch und Begierde Oester¬
reichs um so sehnsüchtiger richtete, je gedrückter und gedrängter man, dem Zu¬
sammenwirken dreier Großmächte gegenüber, sich in Deutschland fühlte — eben
auf diesem italienischen Boden gefiel sich jetzt Frankreich in immer ausschlie߬
licherer Geltendmachung seines Einflusses, immer größerer Ausdehnung
seiner Anmaßungen; und den rechten Werth für Oesterreich hätte doch auch
die Behauptung Toskanas erst dann gehabt, wenn sich das Verlangen hätte
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