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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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heit, ob man ohne Preußen losschlagen dürfe, und die Zweifel, ob auf dem
von Rußland beliebten Wege Preußens Mitwirkung zu erlangen sei -- dies
und noch manches andere kämpft und arbeitet durch und gegen einander, bis
man, mehr geschoben als selbständig einherschreitend, in jenen Krieg von 1805
hiueingeräth, der mit der furchtbaren Katastrophe von Ulm seinen Anfang, mit
der zerschmetternden Niederlage von Austerlitz seinen Ausgang nahm.

Wie ganz anders nun der Charakter der österreichischen Politik nach den
gewaltigen Demüthigungen dieses Krieges! Es ist neuerlich so oft, in enger
Verbindung mit dem Freiherrn Karl Friedrich von Stein, des Grafen Friedrich
von Stadion Erwähnung geschehen, daß wir diesen Namen jetzt nur zu nennen
brauchen, um eine bestimmte Reihe von Vorstellungen in der Seele unserer
Leser anzuregen. Freilich, die Gegenwirkungen, die Stadion in der Persön¬
lichkeit seines Monarchen, in der Beschaffenheit derer, mit denen er zusammen
arbeitete, in der ganzen Natur des Bodens, ans dem er stand, zu überwinden
hatte, sie waren noch von weit stärkerer Kraft, als diejenigen, welche Stein in
Preußen kennen lernte; für die Entschiedenheit und Konsequenz der eigenen
Gesichtspunkte des Grafen gewinnen wir aber hier, wo uns auch in jene
Gegenwirkungen ein näherer Einblick eröffnet wird, eine Anzahl neuer, schätzens-
werther Belege. Unter den Vertretern einer energischen Politik gewinnt uns
daneben Metternich in seinen Rathschlägen und Meinungsäußerungen aus dieser
Zeit eine Achtung ab, die mit den Ergebnissen von Onckens Untersuchungen
über seine Haltung in dem Jahre 1812/13 in guter Harmonie steht. Nach einer
anderen Richtung hin nimmt es unser Interesse in Anspruch, hier aus öster¬
reichischen Berichten auf die eigenthümliche Haltung Talleyrands in den Jahren
1808/9 ein Licht fallen zu sehen -- auf die gewissermaßen selbständige Politik,
die er neben der Politik des Kaisers Napoleon zur Geltung zu bringen suchte
und in welcher ein gutes Vernehmen mit Oesterreich eine der ersten Stellen
einnahm.

Hauptsächlich die spanische Volkserhebung gegen Napoleon war es be¬
kanntlich, wodurch Stations Bestrebungen am österreichischen Hof reineren
Spielraum gewannen und wodurch sie zugleich in bestimmtere Wege gebracht
wurden. Das Verfahren Napoleons gegen die spmnsche Königsfamilie bewies,
daß kein weiches Nachgeben den Uebermuth des Imperators zu beschwören,
die Vernichtung von den nachgiebigen abzuwenden vermöge; zugleich aber gab
der Aufstand selbst und der Umfang, in welchem er alsbald die französischen
Streitkräfte in Anspruch nahm, allenthalben Hoffnung auf die Möglichkeit
einer Erschütterung der Napoleonischen Macht. Und wie ganz anders nun die
Vorbereitungen zu dem großen Kampf von 1809, als die Veranstaltungen im
Frühling und Sommer 1805! Sehr anziehend ist die Fülle von einzelnen


heit, ob man ohne Preußen losschlagen dürfe, und die Zweifel, ob auf dem
von Rußland beliebten Wege Preußens Mitwirkung zu erlangen sei — dies
und noch manches andere kämpft und arbeitet durch und gegen einander, bis
man, mehr geschoben als selbständig einherschreitend, in jenen Krieg von 1805
hiueingeräth, der mit der furchtbaren Katastrophe von Ulm seinen Anfang, mit
der zerschmetternden Niederlage von Austerlitz seinen Ausgang nahm.

Wie ganz anders nun der Charakter der österreichischen Politik nach den
gewaltigen Demüthigungen dieses Krieges! Es ist neuerlich so oft, in enger
Verbindung mit dem Freiherrn Karl Friedrich von Stein, des Grafen Friedrich
von Stadion Erwähnung geschehen, daß wir diesen Namen jetzt nur zu nennen
brauchen, um eine bestimmte Reihe von Vorstellungen in der Seele unserer
Leser anzuregen. Freilich, die Gegenwirkungen, die Stadion in der Persön¬
lichkeit seines Monarchen, in der Beschaffenheit derer, mit denen er zusammen
arbeitete, in der ganzen Natur des Bodens, ans dem er stand, zu überwinden
hatte, sie waren noch von weit stärkerer Kraft, als diejenigen, welche Stein in
Preußen kennen lernte; für die Entschiedenheit und Konsequenz der eigenen
Gesichtspunkte des Grafen gewinnen wir aber hier, wo uns auch in jene
Gegenwirkungen ein näherer Einblick eröffnet wird, eine Anzahl neuer, schätzens-
werther Belege. Unter den Vertretern einer energischen Politik gewinnt uns
daneben Metternich in seinen Rathschlägen und Meinungsäußerungen aus dieser
Zeit eine Achtung ab, die mit den Ergebnissen von Onckens Untersuchungen
über seine Haltung in dem Jahre 1812/13 in guter Harmonie steht. Nach einer
anderen Richtung hin nimmt es unser Interesse in Anspruch, hier aus öster¬
reichischen Berichten auf die eigenthümliche Haltung Talleyrands in den Jahren
1808/9 ein Licht fallen zu sehen — auf die gewissermaßen selbständige Politik,
die er neben der Politik des Kaisers Napoleon zur Geltung zu bringen suchte
und in welcher ein gutes Vernehmen mit Oesterreich eine der ersten Stellen
einnahm.

Hauptsächlich die spanische Volkserhebung gegen Napoleon war es be¬
kanntlich, wodurch Stations Bestrebungen am österreichischen Hof reineren
Spielraum gewannen und wodurch sie zugleich in bestimmtere Wege gebracht
wurden. Das Verfahren Napoleons gegen die spmnsche Königsfamilie bewies,
daß kein weiches Nachgeben den Uebermuth des Imperators zu beschwören,
die Vernichtung von den nachgiebigen abzuwenden vermöge; zugleich aber gab
der Aufstand selbst und der Umfang, in welchem er alsbald die französischen
Streitkräfte in Anspruch nahm, allenthalben Hoffnung auf die Möglichkeit
einer Erschütterung der Napoleonischen Macht. Und wie ganz anders nun die
Vorbereitungen zu dem großen Kampf von 1809, als die Veranstaltungen im
Frühling und Sommer 1805! Sehr anziehend ist die Fülle von einzelnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/38>, abgerufen am 26.06.2024.