Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Tochter Sonne; diese aber vermählte er einem Manne, der Glanz hieß. Die
Götter jedoch wurden zornig über den Stolz Mnndelför's und nahmen ihm
die Kinder, um sie als Leiter des Ganges von Sonne und Mond an den
Himmel zu versetzen. Sonne mußte die Hengste führen, die vor den Wagen
des Taggestirns gespannt sind und Frühwach und Allgeschwind heißen. Unter
ihren Bugen sind Blasebälge, um sie abzukühlen; denn der Sonnenwagen ist
aus Feuerfunken gemacht, die aus Muspelheim herübergeflogen sind, und
ganz glühend. Vor ihn ist auch ein Schild gesetzt, um die Hitze aufzufangen;
wenn der herunterfiele, würden Erde und Wasser entbrennen. Mond wurde
bestimmt, deu Wagen des Nachtgestirns zu lenken und über Neulicht und
Volllicht zu herrschen. Noch späteren Ursprungs ist die Sage, nach welcher
Mond, als er einmal auf die Erde herabgesehen und Widfinn's Kinder Bil
und Hiuk erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine Stange mit
einem Eimer Wasser auf der Schulter trugen, diese raubte und zu sich nahm,
sodaß man sie noch heute im Monde gehen sieht.

Die Urgestalt der Vorstellung des Germanenthums von: Monde drücken
diese Erzählungen uicht aus. Man wird sich denselben im Anfang vielmehr
als Ange oder als rollendes Rad (noch jetzt sagt man in der Oberpfalz: "Der
Mond ist voll wie ein Pslugrad") oder auch als glänzenden Schild gedacht
haben, -- Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wiederholt
gebraucht werden.

Neben diesen Bildungen der Mythe ging unter den südliche" Germanen --
vielleicht schon früh -- eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne her.
Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann ge¬
halten, und Beide waren mit einander vermählt. Der Mond war aber ein so
kühler Gatte, daß es die Sonne verdroß. Sie schlug ihm eine Wette vor:
wer zuerst aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen,
dem Trägen gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der
Welt das Licht an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten
Beide getrennt. Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich ein¬
ander zu nähern. Das ist die Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie
sich gegenseitig Vorwürfe, aber Keines behält Recht, und so trennen sie sich
wieder. Vor Kummer nimmt der Mond dann ab, bis ihn: die Hoffnung
wiederkehrt und ihn wieder voller werden läßt.

Von mehrern dieser Sagen und Mythen bewahrt der deutsche Aberglaube
noch deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald z. B. wird eine Sonnen-
finsterniß als Streit zwischen Sonne und Mond angesehen, und damit der
Mond, der als der Stärkere gilt, nicht die Oberhand behalte, fallen die Alt¬
gläubigen auf die Kniee und beten, zum Ofen gewendet, oder schlagen mit


Tochter Sonne; diese aber vermählte er einem Manne, der Glanz hieß. Die
Götter jedoch wurden zornig über den Stolz Mnndelför's und nahmen ihm
die Kinder, um sie als Leiter des Ganges von Sonne und Mond an den
Himmel zu versetzen. Sonne mußte die Hengste führen, die vor den Wagen
des Taggestirns gespannt sind und Frühwach und Allgeschwind heißen. Unter
ihren Bugen sind Blasebälge, um sie abzukühlen; denn der Sonnenwagen ist
aus Feuerfunken gemacht, die aus Muspelheim herübergeflogen sind, und
ganz glühend. Vor ihn ist auch ein Schild gesetzt, um die Hitze aufzufangen;
wenn der herunterfiele, würden Erde und Wasser entbrennen. Mond wurde
bestimmt, deu Wagen des Nachtgestirns zu lenken und über Neulicht und
Volllicht zu herrschen. Noch späteren Ursprungs ist die Sage, nach welcher
Mond, als er einmal auf die Erde herabgesehen und Widfinn's Kinder Bil
und Hiuk erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine Stange mit
einem Eimer Wasser auf der Schulter trugen, diese raubte und zu sich nahm,
sodaß man sie noch heute im Monde gehen sieht.

Die Urgestalt der Vorstellung des Germanenthums von: Monde drücken
diese Erzählungen uicht aus. Man wird sich denselben im Anfang vielmehr
als Ange oder als rollendes Rad (noch jetzt sagt man in der Oberpfalz: „Der
Mond ist voll wie ein Pslugrad") oder auch als glänzenden Schild gedacht
haben, — Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wiederholt
gebraucht werden.

Neben diesen Bildungen der Mythe ging unter den südliche» Germanen —
vielleicht schon früh — eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne her.
Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann ge¬
halten, und Beide waren mit einander vermählt. Der Mond war aber ein so
kühler Gatte, daß es die Sonne verdroß. Sie schlug ihm eine Wette vor:
wer zuerst aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen,
dem Trägen gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der
Welt das Licht an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten
Beide getrennt. Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich ein¬
ander zu nähern. Das ist die Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie
sich gegenseitig Vorwürfe, aber Keines behält Recht, und so trennen sie sich
wieder. Vor Kummer nimmt der Mond dann ab, bis ihn: die Hoffnung
wiederkehrt und ihn wieder voller werden läßt.

Von mehrern dieser Sagen und Mythen bewahrt der deutsche Aberglaube
noch deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald z. B. wird eine Sonnen-
finsterniß als Streit zwischen Sonne und Mond angesehen, und damit der
Mond, der als der Stärkere gilt, nicht die Oberhand behalte, fallen die Alt¬
gläubigen auf die Kniee und beten, zum Ofen gewendet, oder schlagen mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138069"/>
          <p xml:id="ID_1043" prev="#ID_1042"> Tochter Sonne; diese aber vermählte er einem Manne, der Glanz hieß. Die<lb/>
Götter jedoch wurden zornig über den Stolz Mnndelför's und nahmen ihm<lb/>
die Kinder, um sie als Leiter des Ganges von Sonne und Mond an den<lb/>
Himmel zu versetzen. Sonne mußte die Hengste führen, die vor den Wagen<lb/>
des Taggestirns gespannt sind und Frühwach und Allgeschwind heißen. Unter<lb/>
ihren Bugen sind Blasebälge, um sie abzukühlen; denn der Sonnenwagen ist<lb/>
aus Feuerfunken gemacht, die aus Muspelheim herübergeflogen sind, und<lb/>
ganz glühend. Vor ihn ist auch ein Schild gesetzt, um die Hitze aufzufangen;<lb/>
wenn der herunterfiele, würden Erde und Wasser entbrennen. Mond wurde<lb/>
bestimmt, deu Wagen des Nachtgestirns zu lenken und über Neulicht und<lb/>
Volllicht zu herrschen. Noch späteren Ursprungs ist die Sage, nach welcher<lb/>
Mond, als er einmal auf die Erde herabgesehen und Widfinn's Kinder Bil<lb/>
und Hiuk erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine Stange mit<lb/>
einem Eimer Wasser auf der Schulter trugen, diese raubte und zu sich nahm,<lb/>
sodaß man sie noch heute im Monde gehen sieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1044"> Die Urgestalt der Vorstellung des Germanenthums von: Monde drücken<lb/>
diese Erzählungen uicht aus. Man wird sich denselben im Anfang vielmehr<lb/>
als Ange oder als rollendes Rad (noch jetzt sagt man in der Oberpfalz: &#x201E;Der<lb/>
Mond ist voll wie ein Pslugrad") oder auch als glänzenden Schild gedacht<lb/>
haben, &#x2014; Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wiederholt<lb/>
gebraucht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045"> Neben diesen Bildungen der Mythe ging unter den südliche» Germanen &#x2014;<lb/>
vielleicht schon früh &#x2014; eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne her.<lb/>
Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann ge¬<lb/>
halten, und Beide waren mit einander vermählt. Der Mond war aber ein so<lb/>
kühler Gatte, daß es die Sonne verdroß. Sie schlug ihm eine Wette vor:<lb/>
wer zuerst aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen,<lb/>
dem Trägen gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der<lb/>
Welt das Licht an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten<lb/>
Beide getrennt. Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich ein¬<lb/>
ander zu nähern. Das ist die Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie<lb/>
sich gegenseitig Vorwürfe, aber Keines behält Recht, und so trennen sie sich<lb/>
wieder. Vor Kummer nimmt der Mond dann ab, bis ihn: die Hoffnung<lb/>
wiederkehrt und ihn wieder voller werden läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1046" next="#ID_1047"> Von mehrern dieser Sagen und Mythen bewahrt der deutsche Aberglaube<lb/>
noch deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald z. B. wird eine Sonnen-<lb/>
finsterniß als Streit zwischen Sonne und Mond angesehen, und damit der<lb/>
Mond, der als der Stärkere gilt, nicht die Oberhand behalte, fallen die Alt¬<lb/>
gläubigen auf die Kniee und beten, zum Ofen gewendet, oder schlagen mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Tochter Sonne; diese aber vermählte er einem Manne, der Glanz hieß. Die Götter jedoch wurden zornig über den Stolz Mnndelför's und nahmen ihm die Kinder, um sie als Leiter des Ganges von Sonne und Mond an den Himmel zu versetzen. Sonne mußte die Hengste führen, die vor den Wagen des Taggestirns gespannt sind und Frühwach und Allgeschwind heißen. Unter ihren Bugen sind Blasebälge, um sie abzukühlen; denn der Sonnenwagen ist aus Feuerfunken gemacht, die aus Muspelheim herübergeflogen sind, und ganz glühend. Vor ihn ist auch ein Schild gesetzt, um die Hitze aufzufangen; wenn der herunterfiele, würden Erde und Wasser entbrennen. Mond wurde bestimmt, deu Wagen des Nachtgestirns zu lenken und über Neulicht und Volllicht zu herrschen. Noch späteren Ursprungs ist die Sage, nach welcher Mond, als er einmal auf die Erde herabgesehen und Widfinn's Kinder Bil und Hiuk erblickt, wie sie vom Brunnen Byrgr kamen und eine Stange mit einem Eimer Wasser auf der Schulter trugen, diese raubte und zu sich nahm, sodaß man sie noch heute im Monde gehen sieht. Die Urgestalt der Vorstellung des Germanenthums von: Monde drücken diese Erzählungen uicht aus. Man wird sich denselben im Anfang vielmehr als Ange oder als rollendes Rad (noch jetzt sagt man in der Oberpfalz: „Der Mond ist voll wie ein Pslugrad") oder auch als glänzenden Schild gedacht haben, — Ausdrücke, die in der Edda wenigstens von der Sonne wiederholt gebraucht werden. Neben diesen Bildungen der Mythe ging unter den südliche» Germanen — vielleicht schon früh — eine andere Auffassung der beiden großen Gestirne her. Die Sonne wurde für eine göttliche Frau, der Mond für einen Mann ge¬ halten, und Beide waren mit einander vermählt. Der Mond war aber ein so kühler Gatte, daß es die Sonne verdroß. Sie schlug ihm eine Wette vor: wer zuerst aufwachen würde, sollte das Recht haben, bei Tage zu scheinen, dem Trägen gehöre die Nacht. Früh am Morgen zündete die Sonne der Welt das Licht an und weckte den phlegmatischen Gemahl. Seitdem leuchten Beide getrennt. Beide reut indeß die Scheidung, und so suchen sie sich ein¬ ander zu nähern. Das ist die Zeit der Sonnenfinsternisse. Dann machen sie sich gegenseitig Vorwürfe, aber Keines behält Recht, und so trennen sie sich wieder. Vor Kummer nimmt der Mond dann ab, bis ihn: die Hoffnung wiederkehrt und ihn wieder voller werden läßt. Von mehrern dieser Sagen und Mythen bewahrt der deutsche Aberglaube noch deutlich erkennbare Reste. Im Böhmerwald z. B. wird eine Sonnen- finsterniß als Streit zwischen Sonne und Mond angesehen, und damit der Mond, der als der Stärkere gilt, nicht die Oberhand behalte, fallen die Alt¬ gläubigen auf die Kniee und beten, zum Ofen gewendet, oder schlagen mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/368>, abgerufen am 29.06.2024.