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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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sondern Dank erwirbt er sich, indem er im Anhang eine Reihe höchst inte¬
ressanter, von ihm benutzter Dokumente ihrem Wortlaute nach zum Abdrucke
bringt.

Fassen wir nun den Charakter der österreichischen Regierungsthütigkeit ins
Auge, so sind es zwei sehr kontrastirende Hälften, in welche das hier mitge¬
theilte Material zerfällt: 1801--1805 und 1806--1809. Das Bild von den
Zustünden nach dem Luneviller Frieden (Februar 1801) bestätigt und illu-
strirt durch eine Menge von Detail, was uns über die Zustände der ma߬
gebenden Kreise in allgemeinen Zügen auch durch nicht österreichische Quellen,
bezw. durch Hormayr bekannt gegeben war. Nach einer kurzen Waldung des
"Dutzenddiplomaten" Lehrbach, des "vertrauensseligen" Trautmannsdorf tritt
Ludwig von Cobenzl in die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten ein, der
Manu, "an dessen Schnurren und Scherzen und stark aufgetragenen Schmeiche¬
leien die Kaiserin Katharina Gefallen gefunden hatte", der routinirte Unter¬
händler, für den Posten als leitender Staatsmann aber aller Eigenschaft ent¬
behrend, von cynischer Welt- und Menschenanffassung und großer Gedanken
bar. Und dieser Mann sollte helfen in und aus Situationen, wie sie für eine
Großmacht nicht leicht verlegenheitsvoller gedacht werden konnten. Der bis¬
herige Gegensatz gegen Frankreich wirkt noch nach und erhält namentlich aus
den italienischen Dingen immer neue Nahrung; von Rußland sieht man sich
durch die argen Zerwürfnisse, unter denen die zweite Koalation geendet und
durch welche Kaiser Paul sogar einer innigen Verbindung mit dem soeben be¬
kriegten Frankreich nahegekommen war, getrennt; auch die Verhältnisse zu Eng¬
land sind gelockert. Der Antagonismus gegen Preußen beherrscht, zwar nicht
mehr in dem Maße wie unter Thugut, die österreichische Politik; über ihn
hinauszukommen ist man aber doch nicht im Stande. Dringend des Friedens
bedürftig und ohne Rath, wie man mit leidlichen Aussichten Krieg führen
möge, findet man sich doch immer neu herausgefordert durch immer neue Ver¬
luste, denen im friedlichen Wege nicht vorgebeugt werden kann; sucht man sich
etwa gegen die Eine der Großmächte in bessere Stellung zu bringen durch
Annäherung an eine andere, so springt regelmäßig einer derjenigen Differenz-
Punkte, in denen man sich zu dieser letzteren befindet, in den Vordergrund
und bringt den Zustand der Jsolirung, in der man sich befindet, zu verstärktem
Bewußtsein.

Man weiß: es war französischer und an zweiter Stelle russischer Ein¬
fluß, der die Hauptentscheidungen abgab bei der Erledigung der ungeheuren
Aufgabe, die dem deutschen Reiche aus dem Luneviller Frieden erwuchs: bei
der Entschädigung derjenigen Fürsten, die durch Abtretung des linken Rhein¬
ufers an Frankreich Verluste erlitten, und -- da diese Entschädigung voraus-


sondern Dank erwirbt er sich, indem er im Anhang eine Reihe höchst inte¬
ressanter, von ihm benutzter Dokumente ihrem Wortlaute nach zum Abdrucke
bringt.

Fassen wir nun den Charakter der österreichischen Regierungsthütigkeit ins
Auge, so sind es zwei sehr kontrastirende Hälften, in welche das hier mitge¬
theilte Material zerfällt: 1801—1805 und 1806—1809. Das Bild von den
Zustünden nach dem Luneviller Frieden (Februar 1801) bestätigt und illu-
strirt durch eine Menge von Detail, was uns über die Zustände der ma߬
gebenden Kreise in allgemeinen Zügen auch durch nicht österreichische Quellen,
bezw. durch Hormayr bekannt gegeben war. Nach einer kurzen Waldung des
„Dutzenddiplomaten" Lehrbach, des „vertrauensseligen" Trautmannsdorf tritt
Ludwig von Cobenzl in die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten ein, der
Manu, „an dessen Schnurren und Scherzen und stark aufgetragenen Schmeiche¬
leien die Kaiserin Katharina Gefallen gefunden hatte", der routinirte Unter¬
händler, für den Posten als leitender Staatsmann aber aller Eigenschaft ent¬
behrend, von cynischer Welt- und Menschenanffassung und großer Gedanken
bar. Und dieser Mann sollte helfen in und aus Situationen, wie sie für eine
Großmacht nicht leicht verlegenheitsvoller gedacht werden konnten. Der bis¬
herige Gegensatz gegen Frankreich wirkt noch nach und erhält namentlich aus
den italienischen Dingen immer neue Nahrung; von Rußland sieht man sich
durch die argen Zerwürfnisse, unter denen die zweite Koalation geendet und
durch welche Kaiser Paul sogar einer innigen Verbindung mit dem soeben be¬
kriegten Frankreich nahegekommen war, getrennt; auch die Verhältnisse zu Eng¬
land sind gelockert. Der Antagonismus gegen Preußen beherrscht, zwar nicht
mehr in dem Maße wie unter Thugut, die österreichische Politik; über ihn
hinauszukommen ist man aber doch nicht im Stande. Dringend des Friedens
bedürftig und ohne Rath, wie man mit leidlichen Aussichten Krieg führen
möge, findet man sich doch immer neu herausgefordert durch immer neue Ver¬
luste, denen im friedlichen Wege nicht vorgebeugt werden kann; sucht man sich
etwa gegen die Eine der Großmächte in bessere Stellung zu bringen durch
Annäherung an eine andere, so springt regelmäßig einer derjenigen Differenz-
Punkte, in denen man sich zu dieser letzteren befindet, in den Vordergrund
und bringt den Zustand der Jsolirung, in der man sich befindet, zu verstärktem
Bewußtsein.

Man weiß: es war französischer und an zweiter Stelle russischer Ein¬
fluß, der die Hauptentscheidungen abgab bei der Erledigung der ungeheuren
Aufgabe, die dem deutschen Reiche aus dem Luneviller Frieden erwuchs: bei
der Entschädigung derjenigen Fürsten, die durch Abtretung des linken Rhein¬
ufers an Frankreich Verluste erlitten, und — da diese Entschädigung voraus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/35>, abgerufen am 08.01.2025.