Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.es heißt: mir wird befohlen, mir wird geholfen, mir wird geschmeichelt, werden Ebenso sind Wortbildungen zu dulden, wo herkömmlich das erste In Betreff der Stellung des Partizips steht als Hauptgrundsatz fest, daß es heißt: mir wird befohlen, mir wird geholfen, mir wird geschmeichelt, werden Ebenso sind Wortbildungen zu dulden, wo herkömmlich das erste In Betreff der Stellung des Partizips steht als Hauptgrundsatz fest, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138059"/> <p xml:id="ID_1017" prev="#ID_1016"> es heißt: mir wird befohlen, mir wird geholfen, mir wird geschmeichelt, werden<lb/> diese Verden bei dem zweiten Partizipium so angesehen, als ob sie personelle<lb/> wären, und man liest: Er reiste fort, zur Armee befohlen — er ging ans<lb/> die Universität, vou seinen Freunden geholfen, — sie begannen das Werk, von<lb/> den Lobsprüchen geschmeichelt. Es gibt indeß einige zweite Partizipien, die<lb/> mit aktiver Bedeutung überall im Gebrauch sind und geduldet werden müssen,<lb/> weil sie sich zu sehr festgesetzt haben. Dahin gehören: ein Geschworener und<lb/> ein Studirter, der vielgereiste Landsmann, der gelernte Tischler, der gediente<lb/> Soldat und der erfahrene Feldherr.</p><lb/> <p xml:id="ID_1018"> Ebenso sind Wortbildungen zu dulden, wo herkömmlich das erste<lb/> Partizip gegen die Grammatik in passiver Bedeutung gebraucht wird, z. B.<lb/> die schwindelnde Höhe, die fahrende Habe, eine bleibende Stätte, die fallende<lb/> sucht und eine sitzende Lebensart. Dagegen sind neuere Leistungen der Art,<lb/> wie: die in Stücken habenden Magazine waren ihr Trost — die mit sich<lb/> führenden Sachen waren verschwunden — die vorhabende Reise nach Mailand<lb/> — ein für die innehabende Geschäftsbranche schwer zu findendes Lokal, zu<lb/> verbannen, obwohl Lessing vorhabend zweimal passivisch gebraucht und obwohl<lb/> er von einer „reneudeu That", einem „verwundernden Auge" und einem „ent¬<lb/> setzenden Absehen" spricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1019" next="#ID_1020"> In Betreff der Stellung des Partizips steht als Hauptgrundsatz fest, daß<lb/> es stets als Nomiuativ ans das Subjekt des Satzes sich beziehen und so nahe<lb/> als möglich an dieses herangerückt werden muß, wenn die Verständlichkeit des<lb/> Satzes nicht Schaden erleiden soll. In der bekannten Geßner'schen Idylle heißt<lb/> es: „Menalkas führte die Herde brüllend durch den Hain". Hier steht das<lb/> Partizip wirklich dicht hinter dem Substantiv, und doch hört man die Lächer¬<lb/> lichkeit augenblicklich heraus. Wollte mau aber das Partizip von dem Sub¬<lb/> stantiv, zu dem es gehört, trennen und sagen: „Brüllend führte Menalkas die<lb/> Herde durch den Hain", so würde der Unsinn bedeutend ärger werdeu. Fast<lb/> unglaublich ist, zu welchem UnVerständlichkeiten die Nichtbeachtung des gram-<lb/> matischen Gesetzes bei solchen Partizipialkonstrnktivnen führt, und Sätze wie!<lb/> „Auf Gott bauend, erscheint mir die Zukunft weniger trostlos" sind keineswegs<lb/> die ärgsten. Noch fehlerhafter ist es, das Partizip auf ein im folgenden Posses¬<lb/> sivpronomen steckendes Substantiv zu beziehen, welches gar nicht zum Vor¬<lb/> schein kommt, z. B.: An seinen breiten Schreibtisch gelehnt, richteten seine<lb/> hellen Augen sich nach der geöffneten Thür — Noch sterbend, droht sein Säbel<lb/> in der Hand — Auf die hohe Geburt vertrauend, gingen feine Ansprüche ins<lb/> Extrem über. Was aber soll man erst zu solchem Fällen sagen, wo die Par¬<lb/> tizipien auch nicht die Spur von einem Anhalt finden, zu einem Brenneisen<lb/> wie in den Beispielen: Ihrer Mutter schon frühe beraubt, blieb Pflege und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
es heißt: mir wird befohlen, mir wird geholfen, mir wird geschmeichelt, werden
diese Verden bei dem zweiten Partizipium so angesehen, als ob sie personelle
wären, und man liest: Er reiste fort, zur Armee befohlen — er ging ans
die Universität, vou seinen Freunden geholfen, — sie begannen das Werk, von
den Lobsprüchen geschmeichelt. Es gibt indeß einige zweite Partizipien, die
mit aktiver Bedeutung überall im Gebrauch sind und geduldet werden müssen,
weil sie sich zu sehr festgesetzt haben. Dahin gehören: ein Geschworener und
ein Studirter, der vielgereiste Landsmann, der gelernte Tischler, der gediente
Soldat und der erfahrene Feldherr.
Ebenso sind Wortbildungen zu dulden, wo herkömmlich das erste
Partizip gegen die Grammatik in passiver Bedeutung gebraucht wird, z. B.
die schwindelnde Höhe, die fahrende Habe, eine bleibende Stätte, die fallende
sucht und eine sitzende Lebensart. Dagegen sind neuere Leistungen der Art,
wie: die in Stücken habenden Magazine waren ihr Trost — die mit sich
führenden Sachen waren verschwunden — die vorhabende Reise nach Mailand
— ein für die innehabende Geschäftsbranche schwer zu findendes Lokal, zu
verbannen, obwohl Lessing vorhabend zweimal passivisch gebraucht und obwohl
er von einer „reneudeu That", einem „verwundernden Auge" und einem „ent¬
setzenden Absehen" spricht.
In Betreff der Stellung des Partizips steht als Hauptgrundsatz fest, daß
es stets als Nomiuativ ans das Subjekt des Satzes sich beziehen und so nahe
als möglich an dieses herangerückt werden muß, wenn die Verständlichkeit des
Satzes nicht Schaden erleiden soll. In der bekannten Geßner'schen Idylle heißt
es: „Menalkas führte die Herde brüllend durch den Hain". Hier steht das
Partizip wirklich dicht hinter dem Substantiv, und doch hört man die Lächer¬
lichkeit augenblicklich heraus. Wollte mau aber das Partizip von dem Sub¬
stantiv, zu dem es gehört, trennen und sagen: „Brüllend führte Menalkas die
Herde durch den Hain", so würde der Unsinn bedeutend ärger werdeu. Fast
unglaublich ist, zu welchem UnVerständlichkeiten die Nichtbeachtung des gram-
matischen Gesetzes bei solchen Partizipialkonstrnktivnen führt, und Sätze wie!
„Auf Gott bauend, erscheint mir die Zukunft weniger trostlos" sind keineswegs
die ärgsten. Noch fehlerhafter ist es, das Partizip auf ein im folgenden Posses¬
sivpronomen steckendes Substantiv zu beziehen, welches gar nicht zum Vor¬
schein kommt, z. B.: An seinen breiten Schreibtisch gelehnt, richteten seine
hellen Augen sich nach der geöffneten Thür — Noch sterbend, droht sein Säbel
in der Hand — Auf die hohe Geburt vertrauend, gingen feine Ansprüche ins
Extrem über. Was aber soll man erst zu solchem Fällen sagen, wo die Par¬
tizipien auch nicht die Spur von einem Anhalt finden, zu einem Brenneisen
wie in den Beispielen: Ihrer Mutter schon frühe beraubt, blieb Pflege und
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