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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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geleitet sind, gehen nicht selten durch Vermittelung von "und" eine Verkettung
mit Satzgliedern ein, die streng genommen zu mißbilligen ist, z. B.: Von
großem Ehrgeiz erfüllt, und da er ihn hier nicht befriedigen konnte, ging er
nach Amerika. -- Die Linke verlangte trotz ihres Widerspruchs, und obgleich
sie in der Minorität war, die Fortsetzung der Debatte. Die Verständlichkeit
geht hier allerdings nicht verloren, aber die Grammatik hat solche Sätze
dennoch zu verwerfen, weil ihr Gesetz bei jeder Koordination auf gleiche Form
und Stellung achten heißt. Ueberdies aber hört jedes feinere Ohr sofort die
Unebenheit und Schwerfälligkeit solcher Verbindungen heraus. Die Regel¬
losigkeit in der Form ist aber ganz besonders zu meiden, wo das, was sich in
der Vorstellung nicht ungezwungen mit einander verbindet, formell eng an
einander gekettet wird, wie in dem Satze: Es ist die Sache an sich selbstverständlich
und daß sie sehr unumwunden den Gegner trifft, oder: Den Herodot lobt man
wegen seiner epischen Handlung, und daß die Begebenheiten anmuthig unsre
Phantasie beschäftigen. Anstößig und zu fliehen ist endlich die dnrch "und"
veranlaßte Verknüpfung der relativischen Einleitung mit einer nicht relativischen
Form, z. B. "von welchem er und von sonst niemand," "mit welchem und
anderen Gelehrten," "deren und ihrer Freunde," bei welcher, bald positiv, bald
negativ, die Wörter "andere," "sonst" und dergl. sich oft einfinden.

Wir kommen zum dritten Abschnitt unserer Schrift. Es gibt im Deutschen
eigentlich nnr zwei Partizipien, ein erstes und ein zweites. Ein drittes, das
sogenannte Partizipinm Futuri (z. B. die zu zahlende Schuld) ist mehr eine
Umschreibung und bringt in die Rede einen so unsichern und unbeholfenen
Klang und Gang, daß man es besser vermeidet und dafür Adjektive auf bar
oder lich braucht. Betrachten wir die ^beiden andern Partizipien, so finden
wir, daß namentlich beim zweiten heutzutage vielfach gesündigt wird. Es
enthält bloß den Begriff der Vollendung, wenn es nicht als Adjektiv anftritt;
erst als solches nimmt es einen passiven Gebrauch in sich auf. Man braucht
es aber fälschlich sehr oft in aktiver Bedeutung, und zwar als dem Substantiv
vorgesetztes Adjektiv, z. B. in Sätzen wie: Die unter dem v. Both auf dem
Zinken Ufer manövrirten Truppen wurden aufs rechte Ufer gezogen, oder:
Bei dem uns betroffnen Verlust, oder: Das bis dahin bestandene System, und
bei Mittelverben, z. B.: Ungeachtet der sich veränderten Verhältnisse -- die
sich eingeschlichenen Diebe -- die sich gebildete Ansicht. Könnte man sich
^habend" hinzudenken, so wäre der Sache abgeholfen, aber das kann man doch
höchstens einem Quartaner einbilden.

Fast ebenso gröblich fehlt gegen die Sprachgesetze der Gebrauch des zweiten,
nach welchem es bei den Verden, die im Passiv unpersönlich sind und großen-
theils mit dem Dativ sich verbinden, in passiver Bedeutung auftritt. Während


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geleitet sind, gehen nicht selten durch Vermittelung von „und" eine Verkettung
mit Satzgliedern ein, die streng genommen zu mißbilligen ist, z. B.: Von
großem Ehrgeiz erfüllt, und da er ihn hier nicht befriedigen konnte, ging er
nach Amerika. — Die Linke verlangte trotz ihres Widerspruchs, und obgleich
sie in der Minorität war, die Fortsetzung der Debatte. Die Verständlichkeit
geht hier allerdings nicht verloren, aber die Grammatik hat solche Sätze
dennoch zu verwerfen, weil ihr Gesetz bei jeder Koordination auf gleiche Form
und Stellung achten heißt. Ueberdies aber hört jedes feinere Ohr sofort die
Unebenheit und Schwerfälligkeit solcher Verbindungen heraus. Die Regel¬
losigkeit in der Form ist aber ganz besonders zu meiden, wo das, was sich in
der Vorstellung nicht ungezwungen mit einander verbindet, formell eng an
einander gekettet wird, wie in dem Satze: Es ist die Sache an sich selbstverständlich
und daß sie sehr unumwunden den Gegner trifft, oder: Den Herodot lobt man
wegen seiner epischen Handlung, und daß die Begebenheiten anmuthig unsre
Phantasie beschäftigen. Anstößig und zu fliehen ist endlich die dnrch „und"
veranlaßte Verknüpfung der relativischen Einleitung mit einer nicht relativischen
Form, z. B. „von welchem er und von sonst niemand," „mit welchem und
anderen Gelehrten," „deren und ihrer Freunde," bei welcher, bald positiv, bald
negativ, die Wörter „andere," „sonst" und dergl. sich oft einfinden.

Wir kommen zum dritten Abschnitt unserer Schrift. Es gibt im Deutschen
eigentlich nnr zwei Partizipien, ein erstes und ein zweites. Ein drittes, das
sogenannte Partizipinm Futuri (z. B. die zu zahlende Schuld) ist mehr eine
Umschreibung und bringt in die Rede einen so unsichern und unbeholfenen
Klang und Gang, daß man es besser vermeidet und dafür Adjektive auf bar
oder lich braucht. Betrachten wir die ^beiden andern Partizipien, so finden
wir, daß namentlich beim zweiten heutzutage vielfach gesündigt wird. Es
enthält bloß den Begriff der Vollendung, wenn es nicht als Adjektiv anftritt;
erst als solches nimmt es einen passiven Gebrauch in sich auf. Man braucht
es aber fälschlich sehr oft in aktiver Bedeutung, und zwar als dem Substantiv
vorgesetztes Adjektiv, z. B. in Sätzen wie: Die unter dem v. Both auf dem
Zinken Ufer manövrirten Truppen wurden aufs rechte Ufer gezogen, oder:
Bei dem uns betroffnen Verlust, oder: Das bis dahin bestandene System, und
bei Mittelverben, z. B.: Ungeachtet der sich veränderten Verhältnisse — die
sich eingeschlichenen Diebe — die sich gebildete Ansicht. Könnte man sich
^habend" hinzudenken, so wäre der Sache abgeholfen, aber das kann man doch
höchstens einem Quartaner einbilden.

Fast ebenso gröblich fehlt gegen die Sprachgesetze der Gebrauch des zweiten,
nach welchem es bei den Verden, die im Passiv unpersönlich sind und großen-
theils mit dem Dativ sich verbinden, in passiver Bedeutung auftritt. Während


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[0357] geleitet sind, gehen nicht selten durch Vermittelung von „und" eine Verkettung mit Satzgliedern ein, die streng genommen zu mißbilligen ist, z. B.: Von großem Ehrgeiz erfüllt, und da er ihn hier nicht befriedigen konnte, ging er nach Amerika. — Die Linke verlangte trotz ihres Widerspruchs, und obgleich sie in der Minorität war, die Fortsetzung der Debatte. Die Verständlichkeit geht hier allerdings nicht verloren, aber die Grammatik hat solche Sätze dennoch zu verwerfen, weil ihr Gesetz bei jeder Koordination auf gleiche Form und Stellung achten heißt. Ueberdies aber hört jedes feinere Ohr sofort die Unebenheit und Schwerfälligkeit solcher Verbindungen heraus. Die Regel¬ losigkeit in der Form ist aber ganz besonders zu meiden, wo das, was sich in der Vorstellung nicht ungezwungen mit einander verbindet, formell eng an einander gekettet wird, wie in dem Satze: Es ist die Sache an sich selbstverständlich und daß sie sehr unumwunden den Gegner trifft, oder: Den Herodot lobt man wegen seiner epischen Handlung, und daß die Begebenheiten anmuthig unsre Phantasie beschäftigen. Anstößig und zu fliehen ist endlich die dnrch „und" veranlaßte Verknüpfung der relativischen Einleitung mit einer nicht relativischen Form, z. B. „von welchem er und von sonst niemand," „mit welchem und anderen Gelehrten," „deren und ihrer Freunde," bei welcher, bald positiv, bald negativ, die Wörter „andere," „sonst" und dergl. sich oft einfinden. Wir kommen zum dritten Abschnitt unserer Schrift. Es gibt im Deutschen eigentlich nnr zwei Partizipien, ein erstes und ein zweites. Ein drittes, das sogenannte Partizipinm Futuri (z. B. die zu zahlende Schuld) ist mehr eine Umschreibung und bringt in die Rede einen so unsichern und unbeholfenen Klang und Gang, daß man es besser vermeidet und dafür Adjektive auf bar oder lich braucht. Betrachten wir die ^beiden andern Partizipien, so finden wir, daß namentlich beim zweiten heutzutage vielfach gesündigt wird. Es enthält bloß den Begriff der Vollendung, wenn es nicht als Adjektiv anftritt; erst als solches nimmt es einen passiven Gebrauch in sich auf. Man braucht es aber fälschlich sehr oft in aktiver Bedeutung, und zwar als dem Substantiv vorgesetztes Adjektiv, z. B. in Sätzen wie: Die unter dem v. Both auf dem Zinken Ufer manövrirten Truppen wurden aufs rechte Ufer gezogen, oder: Bei dem uns betroffnen Verlust, oder: Das bis dahin bestandene System, und bei Mittelverben, z. B.: Ungeachtet der sich veränderten Verhältnisse — die sich eingeschlichenen Diebe — die sich gebildete Ansicht. Könnte man sich ^habend" hinzudenken, so wäre der Sache abgeholfen, aber das kann man doch höchstens einem Quartaner einbilden. Fast ebenso gröblich fehlt gegen die Sprachgesetze der Gebrauch des zweiten, nach welchem es bei den Verden, die im Passiv unpersönlich sind und großen- theils mit dem Dativ sich verbinden, in passiver Bedeutung auftritt. Während Grenzboten II. 1»77. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/357>, abgerufen am 23.07.2024.