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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Daß Sätze wie die folgenden unrichtig sind, springt sofort in die Augen:
Den Rest des Tages brachten wir in Schmerz versunken zu, welchen die Spa¬
nier ehrten und sich von uns entfernt hielten. -- Ich befand mich in einem
hellen Sale, den wir kreuzten und jetzt in einen neuen Kerker traten. -- Eine
Glückwunschadresse, welche der Papst beantwortete und dann allen Anwesenden
den apostolischen Segen gab. -- Der Hut, den sie gerade bog und seine
Bänder durch die Finger gleiten ließ. Dagegen ist es Manchem offenbar
nicht klar, ob er einen Fehler vor sich hat oder nicht, wenn er Sätze geschrieben
hat oder von Andern liest wie die nachstehenden: Er befriedigte die Zuschauer,
welche er herbeigelockt hatte und die Verkünder seiner Thaten in ihnen zu
finden hoffte. -- Er machte das bekannt, was er gearbeitet hatte und dadurch
berühmt werden wollte. -- Ich wartete dem Kardinal auf, dem ich das Buch
verehrte und um seine Gnade bat. -- Die Siege, die sie miterfochten haben
und einen neuen Schritt zum Frieden darin finden können. Die Verfasser
solcher Perioden ahnen, daß der Nebensatz sich so nicht richtig an das Rela-
tionen des ersten Nebensatzes anschließen kann, und daß er sonach sein Verhält¬
niß zu diesem und zum regierenden Satze, das leicht mißverstanden werden
kann, nicht genügend bekundet; sie bemühen sich daher, durch ein demonstra¬
tives, persönliches oder possessives Pronomen das beim zweiten Nebensatze
fehlende Einleitungsrelaiiv zu ersetzen und damit jenes Verhältniß auszudrücken.
Den grammatischen Fehler aber schaffen sie damit nicht hinweg.

Es bleibt nun noch übrig, dasjenige "und" in seiner unrichtigen Koordi-
nirung zu betrachten, welches einen Satztheil mit einem Nebensatze verbindet.
Wir wählen zunächst die Fälle, wo der Nebensatz relativisch ist. An dem Bei¬
spiel: Es fehlt an Diakonissinnen und solchen, die es werden wollen, hat die
Grammatik nichts zu ändern. Das "und" verknüpft hier zwei koordinirte
Satzglieder: an Diakonissinnen und (an) solchen; daß das letztere Satzglied
"solchen" sich noch einem Nebensatz unterordnet, thut nichts zur Sache. Sobald
aber dieses zweite Satzglied weggelassen und gesagt wird: Es fehlt an Dia¬
konissinnen und, die es werdeu wollen, knüpft das "und" das Satzglied "an
Diakonissinnen" uicht mehr an ein anderes Satzglied, sondern den Nebensatz,
"die es werden wollen" an das vorhergehende Satzglied, und das ist unstatt¬
haft. Daher sind es auch Verstöße gegen die Grammatik, wenn wir Sätzen
begegnen wie: Das letzte Werk des Dichters, und welches hier zum ersten
Mal in Druck erscheint, war Prinz Friedrich von Homburg. -- Ein näher
liegendes Interesse, und welches von bürgerlichen Verhältnissen durchaus un¬
abhängig war. -- Es gibt noch eine dritte Lösung, und die mir die psycho¬
logisch wahrscheinlichste ist.

Auch die Nebensätze, welche von einer nicht relativischcn Konjunktion ein-


Daß Sätze wie die folgenden unrichtig sind, springt sofort in die Augen:
Den Rest des Tages brachten wir in Schmerz versunken zu, welchen die Spa¬
nier ehrten und sich von uns entfernt hielten. — Ich befand mich in einem
hellen Sale, den wir kreuzten und jetzt in einen neuen Kerker traten. — Eine
Glückwunschadresse, welche der Papst beantwortete und dann allen Anwesenden
den apostolischen Segen gab. — Der Hut, den sie gerade bog und seine
Bänder durch die Finger gleiten ließ. Dagegen ist es Manchem offenbar
nicht klar, ob er einen Fehler vor sich hat oder nicht, wenn er Sätze geschrieben
hat oder von Andern liest wie die nachstehenden: Er befriedigte die Zuschauer,
welche er herbeigelockt hatte und die Verkünder seiner Thaten in ihnen zu
finden hoffte. — Er machte das bekannt, was er gearbeitet hatte und dadurch
berühmt werden wollte. — Ich wartete dem Kardinal auf, dem ich das Buch
verehrte und um seine Gnade bat. — Die Siege, die sie miterfochten haben
und einen neuen Schritt zum Frieden darin finden können. Die Verfasser
solcher Perioden ahnen, daß der Nebensatz sich so nicht richtig an das Rela-
tionen des ersten Nebensatzes anschließen kann, und daß er sonach sein Verhält¬
niß zu diesem und zum regierenden Satze, das leicht mißverstanden werden
kann, nicht genügend bekundet; sie bemühen sich daher, durch ein demonstra¬
tives, persönliches oder possessives Pronomen das beim zweiten Nebensatze
fehlende Einleitungsrelaiiv zu ersetzen und damit jenes Verhältniß auszudrücken.
Den grammatischen Fehler aber schaffen sie damit nicht hinweg.

Es bleibt nun noch übrig, dasjenige „und" in seiner unrichtigen Koordi-
nirung zu betrachten, welches einen Satztheil mit einem Nebensatze verbindet.
Wir wählen zunächst die Fälle, wo der Nebensatz relativisch ist. An dem Bei¬
spiel: Es fehlt an Diakonissinnen und solchen, die es werden wollen, hat die
Grammatik nichts zu ändern. Das „und" verknüpft hier zwei koordinirte
Satzglieder: an Diakonissinnen und (an) solchen; daß das letztere Satzglied
„solchen" sich noch einem Nebensatz unterordnet, thut nichts zur Sache. Sobald
aber dieses zweite Satzglied weggelassen und gesagt wird: Es fehlt an Dia¬
konissinnen und, die es werdeu wollen, knüpft das „und" das Satzglied „an
Diakonissinnen" uicht mehr an ein anderes Satzglied, sondern den Nebensatz,
„die es werden wollen" an das vorhergehende Satzglied, und das ist unstatt¬
haft. Daher sind es auch Verstöße gegen die Grammatik, wenn wir Sätzen
begegnen wie: Das letzte Werk des Dichters, und welches hier zum ersten
Mal in Druck erscheint, war Prinz Friedrich von Homburg. — Ein näher
liegendes Interesse, und welches von bürgerlichen Verhältnissen durchaus un¬
abhängig war. — Es gibt noch eine dritte Lösung, und die mir die psycho¬
logisch wahrscheinlichste ist.

Auch die Nebensätze, welche von einer nicht relativischcn Konjunktion ein-


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[0356] Daß Sätze wie die folgenden unrichtig sind, springt sofort in die Augen: Den Rest des Tages brachten wir in Schmerz versunken zu, welchen die Spa¬ nier ehrten und sich von uns entfernt hielten. — Ich befand mich in einem hellen Sale, den wir kreuzten und jetzt in einen neuen Kerker traten. — Eine Glückwunschadresse, welche der Papst beantwortete und dann allen Anwesenden den apostolischen Segen gab. — Der Hut, den sie gerade bog und seine Bänder durch die Finger gleiten ließ. Dagegen ist es Manchem offenbar nicht klar, ob er einen Fehler vor sich hat oder nicht, wenn er Sätze geschrieben hat oder von Andern liest wie die nachstehenden: Er befriedigte die Zuschauer, welche er herbeigelockt hatte und die Verkünder seiner Thaten in ihnen zu finden hoffte. — Er machte das bekannt, was er gearbeitet hatte und dadurch berühmt werden wollte. — Ich wartete dem Kardinal auf, dem ich das Buch verehrte und um seine Gnade bat. — Die Siege, die sie miterfochten haben und einen neuen Schritt zum Frieden darin finden können. Die Verfasser solcher Perioden ahnen, daß der Nebensatz sich so nicht richtig an das Rela- tionen des ersten Nebensatzes anschließen kann, und daß er sonach sein Verhält¬ niß zu diesem und zum regierenden Satze, das leicht mißverstanden werden kann, nicht genügend bekundet; sie bemühen sich daher, durch ein demonstra¬ tives, persönliches oder possessives Pronomen das beim zweiten Nebensatze fehlende Einleitungsrelaiiv zu ersetzen und damit jenes Verhältniß auszudrücken. Den grammatischen Fehler aber schaffen sie damit nicht hinweg. Es bleibt nun noch übrig, dasjenige „und" in seiner unrichtigen Koordi- nirung zu betrachten, welches einen Satztheil mit einem Nebensatze verbindet. Wir wählen zunächst die Fälle, wo der Nebensatz relativisch ist. An dem Bei¬ spiel: Es fehlt an Diakonissinnen und solchen, die es werden wollen, hat die Grammatik nichts zu ändern. Das „und" verknüpft hier zwei koordinirte Satzglieder: an Diakonissinnen und (an) solchen; daß das letztere Satzglied „solchen" sich noch einem Nebensatz unterordnet, thut nichts zur Sache. Sobald aber dieses zweite Satzglied weggelassen und gesagt wird: Es fehlt an Dia¬ konissinnen und, die es werdeu wollen, knüpft das „und" das Satzglied „an Diakonissinnen" uicht mehr an ein anderes Satzglied, sondern den Nebensatz, „die es werden wollen" an das vorhergehende Satzglied, und das ist unstatt¬ haft. Daher sind es auch Verstöße gegen die Grammatik, wenn wir Sätzen begegnen wie: Das letzte Werk des Dichters, und welches hier zum ersten Mal in Druck erscheint, war Prinz Friedrich von Homburg. — Ein näher liegendes Interesse, und welches von bürgerlichen Verhältnissen durchaus un¬ abhängig war. — Es gibt noch eine dritte Lösung, und die mir die psycho¬ logisch wahrscheinlichste ist. Auch die Nebensätze, welche von einer nicht relativischcn Konjunktion ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/356>, abgerufen am 23.07.2024.