Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.Amüsement täglich kaum eine Stunde für Stacitsgeschüfte übrig! Sein Nach¬ Amüsement täglich kaum eine Stunde für Stacitsgeschüfte übrig! Sein Nach¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138048"/> <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> Amüsement täglich kaum eine Stunde für Stacitsgeschüfte übrig! Sein Nach¬<lb/> folger fand dafür etwas mehr Zeit; aber die Maschine war einmal im Gange<lb/> und zog ihn in ihr Getriebe hinein. Anstand und Sitte sind despotisch, „noch<lb/> gebieterischer ist die Lebenslust der jungen Konigin, der es unmöglich wäre,<lb/> sich auch nur eine Stunde mit Lektüre zu beschäftigen." Daher müssen unter<lb/> Ludwig XVI. in Versailles auf jede Woche drei Theater- und zwei Ballabende<lb/> fallen, desgleichen zwei große Soupers; außerdem besucht man noch zuweilen<lb/> die pariser Oper. „Zu Fontainebleau wird an drei Abenden ins Schauspiel<lb/> gegangen und an den übrigen vier Karten gespielt und soupirt. Einen ganzen<lb/> Winter hindurch veranstaltet die Königin jede Woche einen Maskenball, und<lb/> die Erfindung der Kleiderschnitte und Tanzfiguren sowie die Proben kosten so¬<lb/> viel Zeit, daß die Woche damit verbracht wird. Während des Karnevals von<lb/> 1777 besucht die Königin, abgesehen von ihren eignen Festen, die Bälle im<lb/> Palais Royal und die Maskenbälle im Opernhause, endlich einen Ball bei<lb/> der Gräfin Polignac, der von elf Uhr Abends bis elf Uhr Vormittags dauert.<lb/> An den gewöhnlichen Tagen wird dem Pharao gehuldigt; im königliche» Salon<lb/> wird schrankenlos gespielt: eines Abends verliert der Herzog von Chartres dort<lb/> achttausend Louisdor." Der neueste Gesang, das Bonmot des Tages, kleine<lb/> Skandalanekdoten bilden den einzigen Gesprächsstoff im Salon der Königin,<lb/> als die Revolution schon vor der Thür steht. Für den König, der etwas<lb/> schwerfällig ist, ist die Jagd die Hauptsache. Sein Tagebuch gleicht dem eines<lb/> Hegereuters oder Unterförsters. Man ist verblüfft, wenn man liest, was für<lb/> Notizen es an den wichtigsten Tagen enthält. An solchen, die nicht der Jagd<lb/> gewidmet sind, schreibt er „Nichts" ein, wie wenn sie ganz verloren wären.<lb/> „1789, 11. Juli: Nichts. Abreise Necker's. — 12.: Nachmittags- und Abend¬<lb/> gottesdienst; Abreise Monrmoriu's, Samt Priese's und La Luzerne's. — l3.:<lb/> Nichts. — 14.: Nichts. —29.: Nichts. Rückkehr Necker's. — 4. August: Hirsch -<lb/> jagd im Forst von Marly; einen erlegt, hin und her zu Pferde. — 13.:<lb/> Audienz der Stunde in der Galerie, Tedeum und Messe unter; in Marly<lb/> wurde ein Hirsch gefangen. — 25.: Ehrenaudienz der Stände, Hochamt mit<lb/> den Rittern des Ludwigsordens, Eidesleistung Bailly's, Nachmittags- und<lb/> Abendandacht, großes Diner. — 5. Oktober: Jagd bei Chcitillon, 81 Stück er¬<lb/> legt, durch die Ereignisse unterbrochen (!), hin und her zu Pferde. — 6.: Ab¬<lb/> reise nach Paris um 12-/z Uhr, Besuch im Stadthause, in den Tmlerien sou¬<lb/> pirt und geschlafen. — 7.: Nichts. Meine Tanten sind zum Diner gekommen.<lb/> — 8.: Nichts. — 12.: Hirschjagd in Port Royal." Als Gefangner des Volkes<lb/> in Paris zu bleiben genöthigt, folgt er mit dem Herzen stets seinen Jagdhun¬<lb/> den. 1790 enthält sein Tagebuch wohl zwanzigmal Nachrichten von Jagden<lb/> und Ausdrücke des Bedauerns, nicht daran theilnehmen zu können.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
Amüsement täglich kaum eine Stunde für Stacitsgeschüfte übrig! Sein Nach¬
folger fand dafür etwas mehr Zeit; aber die Maschine war einmal im Gange
und zog ihn in ihr Getriebe hinein. Anstand und Sitte sind despotisch, „noch
gebieterischer ist die Lebenslust der jungen Konigin, der es unmöglich wäre,
sich auch nur eine Stunde mit Lektüre zu beschäftigen." Daher müssen unter
Ludwig XVI. in Versailles auf jede Woche drei Theater- und zwei Ballabende
fallen, desgleichen zwei große Soupers; außerdem besucht man noch zuweilen
die pariser Oper. „Zu Fontainebleau wird an drei Abenden ins Schauspiel
gegangen und an den übrigen vier Karten gespielt und soupirt. Einen ganzen
Winter hindurch veranstaltet die Königin jede Woche einen Maskenball, und
die Erfindung der Kleiderschnitte und Tanzfiguren sowie die Proben kosten so¬
viel Zeit, daß die Woche damit verbracht wird. Während des Karnevals von
1777 besucht die Königin, abgesehen von ihren eignen Festen, die Bälle im
Palais Royal und die Maskenbälle im Opernhause, endlich einen Ball bei
der Gräfin Polignac, der von elf Uhr Abends bis elf Uhr Vormittags dauert.
An den gewöhnlichen Tagen wird dem Pharao gehuldigt; im königliche» Salon
wird schrankenlos gespielt: eines Abends verliert der Herzog von Chartres dort
achttausend Louisdor." Der neueste Gesang, das Bonmot des Tages, kleine
Skandalanekdoten bilden den einzigen Gesprächsstoff im Salon der Königin,
als die Revolution schon vor der Thür steht. Für den König, der etwas
schwerfällig ist, ist die Jagd die Hauptsache. Sein Tagebuch gleicht dem eines
Hegereuters oder Unterförsters. Man ist verblüfft, wenn man liest, was für
Notizen es an den wichtigsten Tagen enthält. An solchen, die nicht der Jagd
gewidmet sind, schreibt er „Nichts" ein, wie wenn sie ganz verloren wären.
„1789, 11. Juli: Nichts. Abreise Necker's. — 12.: Nachmittags- und Abend¬
gottesdienst; Abreise Monrmoriu's, Samt Priese's und La Luzerne's. — l3.:
Nichts. — 14.: Nichts. —29.: Nichts. Rückkehr Necker's. — 4. August: Hirsch -
jagd im Forst von Marly; einen erlegt, hin und her zu Pferde. — 13.:
Audienz der Stunde in der Galerie, Tedeum und Messe unter; in Marly
wurde ein Hirsch gefangen. — 25.: Ehrenaudienz der Stände, Hochamt mit
den Rittern des Ludwigsordens, Eidesleistung Bailly's, Nachmittags- und
Abendandacht, großes Diner. — 5. Oktober: Jagd bei Chcitillon, 81 Stück er¬
legt, durch die Ereignisse unterbrochen (!), hin und her zu Pferde. — 6.: Ab¬
reise nach Paris um 12-/z Uhr, Besuch im Stadthause, in den Tmlerien sou¬
pirt und geschlafen. — 7.: Nichts. Meine Tanten sind zum Diner gekommen.
— 8.: Nichts. — 12.: Hirschjagd in Port Royal." Als Gefangner des Volkes
in Paris zu bleiben genöthigt, folgt er mit dem Herzen stets seinen Jagdhun¬
den. 1790 enthält sein Tagebuch wohl zwanzigmal Nachrichten von Jagden
und Ausdrücke des Bedauerns, nicht daran theilnehmen zu können.
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