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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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über den Halbkreis schweifen und sagt: Herr von Löwenthal? Ein süperber
Mann tritt mit einer Kopfneigung vor und antwortet: Madame? Sie geruht
zu bemerken: Ich glaube, daß dieses Rcrgvut ein Hühnerfrieassee ist. Er ent¬
gegnen Ich bin derselben Ansicht, Madame. -- Nachdem Herr von Löwenthal
dies im ernstesten Tone geäußert, nimmt er, sich nach rückwärts bewegend,
seinen Platz wieder ein, und die Königin beendet ihr Diner, ohne ein Wort
zu sprechen, und zieht sich zurück, wie sie gekommen ist." Jeden Sonntag gibt
der König ein großartiges Diner (1e FiÄiul couvert), zu welchem auch das
Publikum Zutritt hat, und bei dem es so feierlich wie bei einer Hauptachse
zugeht. Man glaubt überhaupt, es mit einem byzantinischen oder chinesischen
Hofe zu thun zu haben, wenn man liest, daß "die Hofdamen, besonders die
Prinzessinnen, wenn sie an dem Bette des Königs vorbeigehen, sich verbeuge"
müssen, und daß die Palastbeamten vor dein vergoldeten Schiffchen, welches
ans parfümirten Kissen das Eßbesteck und die Servietten desselben enthält, zu
salutiren habe", ganz wie der Küster, deu seine Schritte vor der Monstranz
auf dem Altare vorbeiführen, dieser seine Ehrfurcht bezeugt." Für einen Ab¬
kömmling Ludwig's XIV. heißt essen, trinken, aufstehen und Schlafengehen so¬
viel wie Gottesdienst abhalten.

Als man Friedrich dem Großen die französische Hofetiquette beschrieb,
meinte er, das Erste, was er thun würde, wenn er König von Frankreich wäre,
würde die Ernennung eines zweiten Königs sein, der an seiner Stelle Hof zu
halten hätte. Die grüßenden Faulenzer bedürften eines Faulenzers, der sich
grüßen läßt. Es gäbe uur ein Mittel, den Monarchen freizumachen, man
müßte den französischen Adel nach dem Muster des preußischen in eine fleißige
Schaar nützlicher Beamten verwandeln. "So lange aber der Hof bleibt, was
er ist, eine prunkende Eskorte, so lange bleibt auch der König ein glänzendes
Schmuckstück seines Salons, das wenig oder gar keinen Nutzen hat."

Der französische König vor hundert Jahren war ein reicher Herr, der sich
und seiue Gäste zu unterhalten versteht, indem er täglich neue Vergnügungen
zu arrangiren weiß. Sonntags ist er ans dem Wege nach der Ebne von
Samt Denis, wohin er sich zur Jagd begibt. Montag wird er in La Muette
schlafen, um Dinstags wieder zu jagen. Mittwoch kehrt er nach Versailles
zurück, um dort der Hirschjagd obzuliegen. Die ganze vorige Woche war er,
den Sonntag ausgenommen, täglich auf der Jagd. Er ist fortwährend im
Hin- und Herziehen begriffen, wobei ihn gewöhnlich der Hof begleitet. In
Fontainebleau gibt es Sonntag und Freitag ein Spielchen, Montag und Mitt¬
woch Konzert bei der Königin, Dinstag und Donnerstag französisches Schau¬
spiel, Sonnabend italienische Oper. An andern Residenzschlössern des Königs
War's ähnlich. Ludwig XV. hatte bei diesem Wechsel von Repräsentation und


über den Halbkreis schweifen und sagt: Herr von Löwenthal? Ein süperber
Mann tritt mit einer Kopfneigung vor und antwortet: Madame? Sie geruht
zu bemerken: Ich glaube, daß dieses Rcrgvut ein Hühnerfrieassee ist. Er ent¬
gegnen Ich bin derselben Ansicht, Madame. — Nachdem Herr von Löwenthal
dies im ernstesten Tone geäußert, nimmt er, sich nach rückwärts bewegend,
seinen Platz wieder ein, und die Königin beendet ihr Diner, ohne ein Wort
zu sprechen, und zieht sich zurück, wie sie gekommen ist." Jeden Sonntag gibt
der König ein großartiges Diner (1e FiÄiul couvert), zu welchem auch das
Publikum Zutritt hat, und bei dem es so feierlich wie bei einer Hauptachse
zugeht. Man glaubt überhaupt, es mit einem byzantinischen oder chinesischen
Hofe zu thun zu haben, wenn man liest, daß „die Hofdamen, besonders die
Prinzessinnen, wenn sie an dem Bette des Königs vorbeigehen, sich verbeuge»
müssen, und daß die Palastbeamten vor dein vergoldeten Schiffchen, welches
ans parfümirten Kissen das Eßbesteck und die Servietten desselben enthält, zu
salutiren habe», ganz wie der Küster, deu seine Schritte vor der Monstranz
auf dem Altare vorbeiführen, dieser seine Ehrfurcht bezeugt." Für einen Ab¬
kömmling Ludwig's XIV. heißt essen, trinken, aufstehen und Schlafengehen so¬
viel wie Gottesdienst abhalten.

Als man Friedrich dem Großen die französische Hofetiquette beschrieb,
meinte er, das Erste, was er thun würde, wenn er König von Frankreich wäre,
würde die Ernennung eines zweiten Königs sein, der an seiner Stelle Hof zu
halten hätte. Die grüßenden Faulenzer bedürften eines Faulenzers, der sich
grüßen läßt. Es gäbe uur ein Mittel, den Monarchen freizumachen, man
müßte den französischen Adel nach dem Muster des preußischen in eine fleißige
Schaar nützlicher Beamten verwandeln. „So lange aber der Hof bleibt, was
er ist, eine prunkende Eskorte, so lange bleibt auch der König ein glänzendes
Schmuckstück seines Salons, das wenig oder gar keinen Nutzen hat."

Der französische König vor hundert Jahren war ein reicher Herr, der sich
und seiue Gäste zu unterhalten versteht, indem er täglich neue Vergnügungen
zu arrangiren weiß. Sonntags ist er ans dem Wege nach der Ebne von
Samt Denis, wohin er sich zur Jagd begibt. Montag wird er in La Muette
schlafen, um Dinstags wieder zu jagen. Mittwoch kehrt er nach Versailles
zurück, um dort der Hirschjagd obzuliegen. Die ganze vorige Woche war er,
den Sonntag ausgenommen, täglich auf der Jagd. Er ist fortwährend im
Hin- und Herziehen begriffen, wobei ihn gewöhnlich der Hof begleitet. In
Fontainebleau gibt es Sonntag und Freitag ein Spielchen, Montag und Mitt¬
woch Konzert bei der Königin, Dinstag und Donnerstag französisches Schau¬
spiel, Sonnabend italienische Oper. An andern Residenzschlössern des Königs
War's ähnlich. Ludwig XV. hatte bei diesem Wechsel von Repräsentation und


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[0346] über den Halbkreis schweifen und sagt: Herr von Löwenthal? Ein süperber Mann tritt mit einer Kopfneigung vor und antwortet: Madame? Sie geruht zu bemerken: Ich glaube, daß dieses Rcrgvut ein Hühnerfrieassee ist. Er ent¬ gegnen Ich bin derselben Ansicht, Madame. — Nachdem Herr von Löwenthal dies im ernstesten Tone geäußert, nimmt er, sich nach rückwärts bewegend, seinen Platz wieder ein, und die Königin beendet ihr Diner, ohne ein Wort zu sprechen, und zieht sich zurück, wie sie gekommen ist." Jeden Sonntag gibt der König ein großartiges Diner (1e FiÄiul couvert), zu welchem auch das Publikum Zutritt hat, und bei dem es so feierlich wie bei einer Hauptachse zugeht. Man glaubt überhaupt, es mit einem byzantinischen oder chinesischen Hofe zu thun zu haben, wenn man liest, daß „die Hofdamen, besonders die Prinzessinnen, wenn sie an dem Bette des Königs vorbeigehen, sich verbeuge» müssen, und daß die Palastbeamten vor dein vergoldeten Schiffchen, welches ans parfümirten Kissen das Eßbesteck und die Servietten desselben enthält, zu salutiren habe», ganz wie der Küster, deu seine Schritte vor der Monstranz auf dem Altare vorbeiführen, dieser seine Ehrfurcht bezeugt." Für einen Ab¬ kömmling Ludwig's XIV. heißt essen, trinken, aufstehen und Schlafengehen so¬ viel wie Gottesdienst abhalten. Als man Friedrich dem Großen die französische Hofetiquette beschrieb, meinte er, das Erste, was er thun würde, wenn er König von Frankreich wäre, würde die Ernennung eines zweiten Königs sein, der an seiner Stelle Hof zu halten hätte. Die grüßenden Faulenzer bedürften eines Faulenzers, der sich grüßen läßt. Es gäbe uur ein Mittel, den Monarchen freizumachen, man müßte den französischen Adel nach dem Muster des preußischen in eine fleißige Schaar nützlicher Beamten verwandeln. „So lange aber der Hof bleibt, was er ist, eine prunkende Eskorte, so lange bleibt auch der König ein glänzendes Schmuckstück seines Salons, das wenig oder gar keinen Nutzen hat." Der französische König vor hundert Jahren war ein reicher Herr, der sich und seiue Gäste zu unterhalten versteht, indem er täglich neue Vergnügungen zu arrangiren weiß. Sonntags ist er ans dem Wege nach der Ebne von Samt Denis, wohin er sich zur Jagd begibt. Montag wird er in La Muette schlafen, um Dinstags wieder zu jagen. Mittwoch kehrt er nach Versailles zurück, um dort der Hirschjagd obzuliegen. Die ganze vorige Woche war er, den Sonntag ausgenommen, täglich auf der Jagd. Er ist fortwährend im Hin- und Herziehen begriffen, wobei ihn gewöhnlich der Hof begleitet. In Fontainebleau gibt es Sonntag und Freitag ein Spielchen, Montag und Mitt¬ woch Konzert bei der Königin, Dinstag und Donnerstag französisches Schau¬ spiel, Sonnabend italienische Oper. An andern Residenzschlössern des Königs War's ähnlich. Ludwig XV. hatte bei diesem Wechsel von Repräsentation und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/346>, abgerufen am 03.07.2024.