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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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daß ein Theil der Schüler bei solchen Herumreichen von Bildern immer leere
Minuten hat, die auch bei der besten Disziplin doch bisweilen in unerwünschter
Weise ausgefüllt werden.

Es sind dies scheinbar kleinliche Bemerkungen, denen man aber sicherlich
das eine anhören wird, daß sie nicht aus der Luft gegriffen sind. So viel
steht fest: Die kunstgeschichtliche Anschauung muß ungenügend und mit aller¬
hand Uuzutrüglichkeiten verknüpft sein, so lange sie nicht wie alles andere An¬
schauungsmaterial für alle Schüler gleichzeitig zu beschaffe" ist.

Aehnliche Erwägungen waren es wohl, die schon vor zehn Jahren den
trefflichen, in den Kreisen der archäologischen Wissenschaft hochgeachteten Frank¬
furter Bildhauer Eduard von der Launitz auf den Gedanken führten, dem
Gymnasium "Wandtafeln zur Veranschaulichung des antiken Lebens und der
antiken Kunst" zu schaffen. Es ist allbekannt, wie dieser Gedanke, anfangs
durch Launitz selbst, nach seinem Tode durch andere Hände zur Ausführung
gebracht worden ist; es dürfte wenig Gymnasien geben, an denen die Launitz-
schen Wandtafeln gegenwärtig nicht eingeführt sind. Leider haben diese Tafeln,
die bei ihrem ersten Erscheinen mit wahrer Begeisterung begrüßt wurden, und
von denen man sich ungemein viel versprach, die Erwartungen, die man von
ihnen hatte, nur zum Theil befriedigt. Von denjenigen Tafeln, die sich ans
das antike "Leben" bezogen, erregte gleich von vornherein die Altswahl der
Gegenstände mit Recht vielfach Kopfschütteln und ließ nicht gerade eine plan¬
volle Vorbereitung des Unternehmens erkennen; die auf die antike "Kunst"
bezüglichen Darstellungen aber beschränkten sich thatsächlich auf die Architektur,
sie gaben eine an sich ja sehr dankenswerthe Veranschaulichung, in welcher Art
das Planschema des griechischen Tempels sich von den einfachsten bis zu den
komplizirtesten Formen entwickelt hat. Aber was nützten die zahlreichen Grund¬
risse ohne eine Darstellung der architektonischen Stilformen? Diese lassen noch
heute auf sich warten. Und wo blieben die anderen Künste, vor allem die
antike Plastik? Durch die archaische Grabstele des Aristion oder gar durch
das seltsame "älteste Palladion" war sie doch nicht vertreten, so wenig wie die
griechische Vasenmalerei durch die in vergrößertem Maßstabe und dabei gänz-
lich stilungetreu wiedergegebene Schale des Duris mit der Darstellung des
griechischen Jugendunterrichts. Kurz, so werthvoll einzelne von den Launitz'-
schen Tafeln sind und bleiben werden -- ich denke namentlich an den von
Michaelis entworfenen Plan und die Totalansicht der Akropolis von Athen, an
die Rekonstruktion des Theaters von Segesta u. a. --, als Ganzes hat die
Publikation entschieden etwas enttäuscht. Um einigermaßen die Anschauungs¬
masse zu beschaffen, die die Schule wirklich braucht, dazu würden mehrere
Hundert solcher Tafeln nöthig sein, deren bis jetzt etwa 25 erschienen sind. Von


daß ein Theil der Schüler bei solchen Herumreichen von Bildern immer leere
Minuten hat, die auch bei der besten Disziplin doch bisweilen in unerwünschter
Weise ausgefüllt werden.

Es sind dies scheinbar kleinliche Bemerkungen, denen man aber sicherlich
das eine anhören wird, daß sie nicht aus der Luft gegriffen sind. So viel
steht fest: Die kunstgeschichtliche Anschauung muß ungenügend und mit aller¬
hand Uuzutrüglichkeiten verknüpft sein, so lange sie nicht wie alles andere An¬
schauungsmaterial für alle Schüler gleichzeitig zu beschaffe» ist.

Aehnliche Erwägungen waren es wohl, die schon vor zehn Jahren den
trefflichen, in den Kreisen der archäologischen Wissenschaft hochgeachteten Frank¬
furter Bildhauer Eduard von der Launitz auf den Gedanken führten, dem
Gymnasium „Wandtafeln zur Veranschaulichung des antiken Lebens und der
antiken Kunst" zu schaffen. Es ist allbekannt, wie dieser Gedanke, anfangs
durch Launitz selbst, nach seinem Tode durch andere Hände zur Ausführung
gebracht worden ist; es dürfte wenig Gymnasien geben, an denen die Launitz-
schen Wandtafeln gegenwärtig nicht eingeführt sind. Leider haben diese Tafeln,
die bei ihrem ersten Erscheinen mit wahrer Begeisterung begrüßt wurden, und
von denen man sich ungemein viel versprach, die Erwartungen, die man von
ihnen hatte, nur zum Theil befriedigt. Von denjenigen Tafeln, die sich ans
das antike „Leben" bezogen, erregte gleich von vornherein die Altswahl der
Gegenstände mit Recht vielfach Kopfschütteln und ließ nicht gerade eine plan¬
volle Vorbereitung des Unternehmens erkennen; die auf die antike „Kunst"
bezüglichen Darstellungen aber beschränkten sich thatsächlich auf die Architektur,
sie gaben eine an sich ja sehr dankenswerthe Veranschaulichung, in welcher Art
das Planschema des griechischen Tempels sich von den einfachsten bis zu den
komplizirtesten Formen entwickelt hat. Aber was nützten die zahlreichen Grund¬
risse ohne eine Darstellung der architektonischen Stilformen? Diese lassen noch
heute auf sich warten. Und wo blieben die anderen Künste, vor allem die
antike Plastik? Durch die archaische Grabstele des Aristion oder gar durch
das seltsame „älteste Palladion" war sie doch nicht vertreten, so wenig wie die
griechische Vasenmalerei durch die in vergrößertem Maßstabe und dabei gänz-
lich stilungetreu wiedergegebene Schale des Duris mit der Darstellung des
griechischen Jugendunterrichts. Kurz, so werthvoll einzelne von den Launitz'-
schen Tafeln sind und bleiben werden — ich denke namentlich an den von
Michaelis entworfenen Plan und die Totalansicht der Akropolis von Athen, an
die Rekonstruktion des Theaters von Segesta u. a. —, als Ganzes hat die
Publikation entschieden etwas enttäuscht. Um einigermaßen die Anschauungs¬
masse zu beschaffen, die die Schule wirklich braucht, dazu würden mehrere
Hundert solcher Tafeln nöthig sein, deren bis jetzt etwa 25 erschienen sind. Von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/330>, abgerufen am 03.07.2024.