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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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hört auf die Dauer dazu, wenn der Lehrer kostbare Abbildungswerke von
umfänglichen Format fort und fort zwischen dem Hause und der Schule
spazieren tragen soll! Schülern sie anzuvertrauen, die, wenn es nicht allzu oft
begehrt wird, in solchem Falle sich gern dienstfertig erweisen, hat aus manchen
Gründen sein Mißliches. Es ist klar: Die künstlerischen Anschauungsmittel
müssen stets in der Schule sein, sie müssen im Besitz der Schule sein,
so gut wie Wandkarte,:, Globen, physikalische Instrumente, naturwissenschaftliche
Präparate, Zeichenvorlagen und dergleichen, und wenn die? Vertreter der Erd¬
kunde und der Naturwissenschaften etwa Zeter schreien sollten, daß die ohnehin
der Schule knapp zugemessenen Mittel zur Anschaffung ihres Anschauungs¬
materials durch solche Allotria noch mehr beschnitten werden würden, so
brauchte man sie ja nur darauf aufmerksam zu machen, daß sie an dem neuen
Eindringling keineswegs einen Nebenbuhler, sondern den allerbesten Bundes¬
genossen finden würden, und daß die oft gehörten Klagen, daß die Schüler
kein Karteubild sich einzuprägen, von einem wiederholt vorgezeigten und er¬
klärten physikalischen Apparat keine klare und anschauliche Beschreibung zu
geben vermöchten, seltener werden würden, wenn die Schüler an den kunst-
geschichtlichen Anschauungsmitteln würden besser "sehen" gelernt haben. Eine
Anzahl der unentbehrlichsten Hauptwerke ist denn auch wohl überall für die
Schul- oder Schülerbibliothek angeschafft, und sie können im Unterrichte benutzt
werden, wenn -- der Bibliothekar gerade anwesend und das gewünschte Buch
nicht verliehen ist.

Aber wie ungenügend ist die Benutzung derartiger Hilfsmittel! Ein kunst¬
geschichtliches Werk, wie die Kugler'schen oder die Müller-Wieseler'seyen "Denk¬
mäler", Lübke's "Geschichte der Architektur" und "Geschichte der Plastik", Over-
beck's "Geschichte der griechischen Plastik" u. a., lauter Werke, deren Abbildungen
größtentheils bloße Umrißzeichnungen in kleinem Maßstabe sind, können immer
auch nur einem kleinen Theile der Zuhörer auf einmal gezeigt werden, also
zunächst den am weitesten vorn sitzenden Schillern. Bei diesem erstmaligen
Vorzeigen gibt nun der Lehrer die dringend nothwendige Anleitung zum Sehen
und fügt die nöthigen sachlichen Erläuterungen hinzu. Die entfernter sitzenden,
die vorläufig noch nichts sehen, sondern nnr die Erklärung hören, machen sich
auf Grund der letzteren unwillkürlich in ihrer Phantasie bereits ein Bild von
der Sache. Dieses Phantasiebild ist aber natürlich stets unrichtig und kann
auch durch die nachträglich vor das Auge gebrachte Darstellung niemals wie¬
der völlig verdrängt werden. Wie ermüdend und zeitraubend ist es aber auch,
mit der Abbildung von einem zum andern zu gehen und dabei die Erläute¬
rungen immer aufs neue und, wie es dabei ganz unvermeidlich ist, jedesmal
in kürzerer, destillirterer Fassung zu wiederholen! Ganz zu schweigen davon,


hört auf die Dauer dazu, wenn der Lehrer kostbare Abbildungswerke von
umfänglichen Format fort und fort zwischen dem Hause und der Schule
spazieren tragen soll! Schülern sie anzuvertrauen, die, wenn es nicht allzu oft
begehrt wird, in solchem Falle sich gern dienstfertig erweisen, hat aus manchen
Gründen sein Mißliches. Es ist klar: Die künstlerischen Anschauungsmittel
müssen stets in der Schule sein, sie müssen im Besitz der Schule sein,
so gut wie Wandkarte,:, Globen, physikalische Instrumente, naturwissenschaftliche
Präparate, Zeichenvorlagen und dergleichen, und wenn die? Vertreter der Erd¬
kunde und der Naturwissenschaften etwa Zeter schreien sollten, daß die ohnehin
der Schule knapp zugemessenen Mittel zur Anschaffung ihres Anschauungs¬
materials durch solche Allotria noch mehr beschnitten werden würden, so
brauchte man sie ja nur darauf aufmerksam zu machen, daß sie an dem neuen
Eindringling keineswegs einen Nebenbuhler, sondern den allerbesten Bundes¬
genossen finden würden, und daß die oft gehörten Klagen, daß die Schüler
kein Karteubild sich einzuprägen, von einem wiederholt vorgezeigten und er¬
klärten physikalischen Apparat keine klare und anschauliche Beschreibung zu
geben vermöchten, seltener werden würden, wenn die Schüler an den kunst-
geschichtlichen Anschauungsmitteln würden besser „sehen" gelernt haben. Eine
Anzahl der unentbehrlichsten Hauptwerke ist denn auch wohl überall für die
Schul- oder Schülerbibliothek angeschafft, und sie können im Unterrichte benutzt
werden, wenn — der Bibliothekar gerade anwesend und das gewünschte Buch
nicht verliehen ist.

Aber wie ungenügend ist die Benutzung derartiger Hilfsmittel! Ein kunst¬
geschichtliches Werk, wie die Kugler'schen oder die Müller-Wieseler'seyen „Denk¬
mäler", Lübke's „Geschichte der Architektur" und „Geschichte der Plastik", Over-
beck's „Geschichte der griechischen Plastik" u. a., lauter Werke, deren Abbildungen
größtentheils bloße Umrißzeichnungen in kleinem Maßstabe sind, können immer
auch nur einem kleinen Theile der Zuhörer auf einmal gezeigt werden, also
zunächst den am weitesten vorn sitzenden Schillern. Bei diesem erstmaligen
Vorzeigen gibt nun der Lehrer die dringend nothwendige Anleitung zum Sehen
und fügt die nöthigen sachlichen Erläuterungen hinzu. Die entfernter sitzenden,
die vorläufig noch nichts sehen, sondern nnr die Erklärung hören, machen sich
auf Grund der letzteren unwillkürlich in ihrer Phantasie bereits ein Bild von
der Sache. Dieses Phantasiebild ist aber natürlich stets unrichtig und kann
auch durch die nachträglich vor das Auge gebrachte Darstellung niemals wie¬
der völlig verdrängt werden. Wie ermüdend und zeitraubend ist es aber auch,
mit der Abbildung von einem zum andern zu gehen und dabei die Erläute¬
rungen immer aufs neue und, wie es dabei ganz unvermeidlich ist, jedesmal
in kürzerer, destillirterer Fassung zu wiederholen! Ganz zu schweigen davon,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/329>, abgerufen am 03.07.2024.