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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Was ich hier nur mit wenigen Worten andeuten kann, das ist in
neuerer Zeit von Fachleuten wiederholt ausführlich erörtert worden. Ich
mache namentlich auf das Buch von Bruno Meyer aufmerksam: "Aus der
ästhetischen Pädagogik" (Berlin, Paetel, 1873), sechs Vortrüge, in denen alle
hierher gehörigen Fragen in geistvoller und vielseitig anregender Weise behan¬
delt werden, nüchstdem auf den Vortrag von Schlie: "Ueber die Einführung
der Kunstgeschichte in den Lehrplan der Gymnasien" (Rostock, Stiller, 1875)
und die pädagogische Studie von Menge: "Gymnasium und Kunst" (Eisenach,
Bacmeister, o. I. s1877^), von denen namentlich die letztere der praktischen
Durchführung der Sache mit aller wünschenswerthen Besonnenheit näher tritt.
Ueber Ziel und Methode des anzustrebenden Kunstunterrichtes kann auch wohl
nicht gut ein Zweifel sein. Daß das Gymnasium -- wie es jetzt fast aus¬
schließlich Philologen und Mathematiker bildet -- nun nicht etwa in Zukunft
Archäologen und Kunsthistoriker bilden soll, daß es ferner nicht auf eine syste¬
matische Kunstlehre abgesehen sein kann, sondern daß der kunstgesch ichtliche
Weg für die Schule der einzig angemessene ist und daß rein ästhetische Er¬
örterungen, wie über Kompvsitionsgesetze, Gesetze der Tektonik suo loca" in den
kunsthistorischen Faden und bei der Analyse einzelner Kunstwerke eingeflochten
werden müssen, daß endlich die Einführung in die Kunstgeschichte am natür¬
lichsten dem Geschichtsunterrichte zufällt -- unbeschadet der gelegentlichen An¬
schauung von Kunstwerken, die bei der Lektüre der alten Schriftsteller (man
denke z. B. an Cicero's Berlinische Reden), im deutschen Unterricht, z. B.
bei der Interpretation von Lessing's "Laokoon", im Zeichenunterrichte
und sonst geboten werden kann, -- über alles dies kann kaum eine Meinungs¬
verschiedenheit herrschen. Streiten könnte man höchstens darüber, an welchen
Stellen des Geschichtsunterrichts am passendsten ein knnsthistorischer Exkurs
einzuflechten sei und wieviel Zeit demselben zu widmen sei. Thatsächlich be¬
stehen auch die Anfänge zu solchem Unterricht schon an mehr als einem
Gymnasium, wenn sie auch nicht durch das "Regulativ" gefordert oder sank-
tionirt sind.

Während aber über das zu erstrebende Ziel und die anzuwendende Me¬
thode im Wesentlichen kein Zweifel ist', war man bisher über die Beschaffung
der geeigneten Unterrichtsmittel fast allseitig in Verlegenheit. Woher sollte die
Schule die Anschauung nehmen? Hier ist bis in die jüngste Zeit herein
fast alles unzulänglich, alles dem gütigen Zufall überlassen gewesen. Wenn
der Lehrer der Geschichte oder des Deutschen sich eine Anzahl illustrirter kunst-
geschichtlicher Werke und eine kleine Kollektion von Kupferstichen und Photo-
graphieen angeschafft hatte, so brachte er wohl öfter das und jenes mit zur
Schule und reichte es beim Unterricht herum. Aber welche Gutmüthigkeit ge-


Was ich hier nur mit wenigen Worten andeuten kann, das ist in
neuerer Zeit von Fachleuten wiederholt ausführlich erörtert worden. Ich
mache namentlich auf das Buch von Bruno Meyer aufmerksam: „Aus der
ästhetischen Pädagogik" (Berlin, Paetel, 1873), sechs Vortrüge, in denen alle
hierher gehörigen Fragen in geistvoller und vielseitig anregender Weise behan¬
delt werden, nüchstdem auf den Vortrag von Schlie: „Ueber die Einführung
der Kunstgeschichte in den Lehrplan der Gymnasien" (Rostock, Stiller, 1875)
und die pädagogische Studie von Menge: „Gymnasium und Kunst" (Eisenach,
Bacmeister, o. I. s1877^), von denen namentlich die letztere der praktischen
Durchführung der Sache mit aller wünschenswerthen Besonnenheit näher tritt.
Ueber Ziel und Methode des anzustrebenden Kunstunterrichtes kann auch wohl
nicht gut ein Zweifel sein. Daß das Gymnasium — wie es jetzt fast aus¬
schließlich Philologen und Mathematiker bildet — nun nicht etwa in Zukunft
Archäologen und Kunsthistoriker bilden soll, daß es ferner nicht auf eine syste¬
matische Kunstlehre abgesehen sein kann, sondern daß der kunstgesch ichtliche
Weg für die Schule der einzig angemessene ist und daß rein ästhetische Er¬
örterungen, wie über Kompvsitionsgesetze, Gesetze der Tektonik suo loca» in den
kunsthistorischen Faden und bei der Analyse einzelner Kunstwerke eingeflochten
werden müssen, daß endlich die Einführung in die Kunstgeschichte am natür¬
lichsten dem Geschichtsunterrichte zufällt — unbeschadet der gelegentlichen An¬
schauung von Kunstwerken, die bei der Lektüre der alten Schriftsteller (man
denke z. B. an Cicero's Berlinische Reden), im deutschen Unterricht, z. B.
bei der Interpretation von Lessing's „Laokoon", im Zeichenunterrichte
und sonst geboten werden kann, — über alles dies kann kaum eine Meinungs¬
verschiedenheit herrschen. Streiten könnte man höchstens darüber, an welchen
Stellen des Geschichtsunterrichts am passendsten ein knnsthistorischer Exkurs
einzuflechten sei und wieviel Zeit demselben zu widmen sei. Thatsächlich be¬
stehen auch die Anfänge zu solchem Unterricht schon an mehr als einem
Gymnasium, wenn sie auch nicht durch das „Regulativ" gefordert oder sank-
tionirt sind.

Während aber über das zu erstrebende Ziel und die anzuwendende Me¬
thode im Wesentlichen kein Zweifel ist', war man bisher über die Beschaffung
der geeigneten Unterrichtsmittel fast allseitig in Verlegenheit. Woher sollte die
Schule die Anschauung nehmen? Hier ist bis in die jüngste Zeit herein
fast alles unzulänglich, alles dem gütigen Zufall überlassen gewesen. Wenn
der Lehrer der Geschichte oder des Deutschen sich eine Anzahl illustrirter kunst-
geschichtlicher Werke und eine kleine Kollektion von Kupferstichen und Photo-
graphieen angeschafft hatte, so brachte er wohl öfter das und jenes mit zur
Schule und reichte es beim Unterricht herum. Aber welche Gutmüthigkeit ge-


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[0328] Was ich hier nur mit wenigen Worten andeuten kann, das ist in neuerer Zeit von Fachleuten wiederholt ausführlich erörtert worden. Ich mache namentlich auf das Buch von Bruno Meyer aufmerksam: „Aus der ästhetischen Pädagogik" (Berlin, Paetel, 1873), sechs Vortrüge, in denen alle hierher gehörigen Fragen in geistvoller und vielseitig anregender Weise behan¬ delt werden, nüchstdem auf den Vortrag von Schlie: „Ueber die Einführung der Kunstgeschichte in den Lehrplan der Gymnasien" (Rostock, Stiller, 1875) und die pädagogische Studie von Menge: „Gymnasium und Kunst" (Eisenach, Bacmeister, o. I. s1877^), von denen namentlich die letztere der praktischen Durchführung der Sache mit aller wünschenswerthen Besonnenheit näher tritt. Ueber Ziel und Methode des anzustrebenden Kunstunterrichtes kann auch wohl nicht gut ein Zweifel sein. Daß das Gymnasium — wie es jetzt fast aus¬ schließlich Philologen und Mathematiker bildet — nun nicht etwa in Zukunft Archäologen und Kunsthistoriker bilden soll, daß es ferner nicht auf eine syste¬ matische Kunstlehre abgesehen sein kann, sondern daß der kunstgesch ichtliche Weg für die Schule der einzig angemessene ist und daß rein ästhetische Er¬ örterungen, wie über Kompvsitionsgesetze, Gesetze der Tektonik suo loca» in den kunsthistorischen Faden und bei der Analyse einzelner Kunstwerke eingeflochten werden müssen, daß endlich die Einführung in die Kunstgeschichte am natür¬ lichsten dem Geschichtsunterrichte zufällt — unbeschadet der gelegentlichen An¬ schauung von Kunstwerken, die bei der Lektüre der alten Schriftsteller (man denke z. B. an Cicero's Berlinische Reden), im deutschen Unterricht, z. B. bei der Interpretation von Lessing's „Laokoon", im Zeichenunterrichte und sonst geboten werden kann, — über alles dies kann kaum eine Meinungs¬ verschiedenheit herrschen. Streiten könnte man höchstens darüber, an welchen Stellen des Geschichtsunterrichts am passendsten ein knnsthistorischer Exkurs einzuflechten sei und wieviel Zeit demselben zu widmen sei. Thatsächlich be¬ stehen auch die Anfänge zu solchem Unterricht schon an mehr als einem Gymnasium, wenn sie auch nicht durch das „Regulativ" gefordert oder sank- tionirt sind. Während aber über das zu erstrebende Ziel und die anzuwendende Me¬ thode im Wesentlichen kein Zweifel ist', war man bisher über die Beschaffung der geeigneten Unterrichtsmittel fast allseitig in Verlegenheit. Woher sollte die Schule die Anschauung nehmen? Hier ist bis in die jüngste Zeit herein fast alles unzulänglich, alles dem gütigen Zufall überlassen gewesen. Wenn der Lehrer der Geschichte oder des Deutschen sich eine Anzahl illustrirter kunst- geschichtlicher Werke und eine kleine Kollektion von Kupferstichen und Photo- graphieen angeschafft hatte, so brachte er wohl öfter das und jenes mit zur Schule und reichte es beim Unterricht herum. Aber welche Gutmüthigkeit ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/328>, abgerufen am 03.07.2024.