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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Zwei Leguas von S. Leopold" liegt der "Hamburger Berg", eine
andre deutsche Kolonie dieser Gegend. Der Ort würde einem deutschen Dorfe
gleichen, wenn sich in den Gärten nicht Palmenwipfel zeigten. Die 600 Ein¬
wohner desselben sind meist Handwerker und Handelsleute, welche letzteren die
Erzeugnisse der Picaden oder Rodungen im Urwalde weiter landeinwärts auf¬
kaufen und auf der Eisenbahn nach Porto Allegre zur Verschiffung nach
Europa senden. Die Pieaden, sämmtlich von deutschen Bauern bewohnt,
zweigen sich von den Dorf Jrmnos, zwei spitzen Bergen nicht fern von der
letztgenannten Kolonie, ab, und die größte dieser langgestreckten Niederlassungen
ist die Vanmschnaiz, die fast fünf Leguas lang und von ungefähr dreihundert
Familien besiedelt ist. Die Hauptstraße ist theilweise ein gut unterhaltener
Vicinalweg, der sogar für Fuhrwerke zu benutzen ist. Die Kolonistenwohnungen
tauchen bald rechts, bald links vom Wege in kurzen Entfernungen zwischen
den grünenden Plantagen auf. Viele sind sehr schlicht, nur auf das Noth¬
wendigste berechnet und von Fachwerk und Lehm erbaut, andere dagegen solide
Steingebüude mit ausgedehnten Gehöften, die von der Wohlhabenheit des Be¬
sitzers zeugen. Ueberall sind sie von großen Orangenhainen umgeben, deren
Früchte aber weniger den Menschen als den Schweinen zur Nahrung dienen.
Längere Zeit schon urbar gemachte Waldflächen benutzt man zur Viehweide. Sie
sind mit Zäunen umgeben, damit das Vieh nicht in die benachbarten Plantagen
läuft, auf deren fettem Boden man Mais, Zuckerrohr, Getreide und Oelfrüchte
baut. Bisweilen kommt man an einer Venda, d. h. einer Schenke mit Kram¬
laden vorüber, mitunter hört man einen Waldbach, der den Weg kreuzt, aber
(was sonst in Brasilien selten) stets überbrückt ist, in der Ferne über die
Räder einer Oel-, Säge- oder Mahlmühle rauschen. Am belebtesten Theile
der Picade stehen die Häuser dichter bei einander, und auf einem freien Platze
gewahrt man eine stattliche Kirche. Scherzhafterweise hat man diesen Theil
der Kolonie "die Judengasse" genannt. Weiterhin überschreitet der Wanderer
einen hohen Berg, den Rödersberg, hinter dem sich die sogenannte "Walachei",
eine Fortsetzung der Kolonie, zeigt. An diese schließt sich das "Jammerthal"
und an dieses wieder der "Windhof", der Endpunkt der Picade, wo man sich
W ansehnlicher Höhe über dem Meere und in der Zone der Araukarien be¬
findet, die, aus der Ferne gesehen, an unsre Nadelbüume erinnern. In dieser
ganzen Gegend hört man nur Deutsch sprechen. Die meisten der Leute, mit
denen unser Reisender sprach, äußerten sich mit ihrem Schicksal zufrieden. "Ich
überzeugte mich", sagt er, "daß für Diejenigen, welche auf jeden geistigen
Lebensgenuß Verzicht leisten können oder in einer Stellung aufgewachsen sind,
wo man dergleichen Bedürfnisse nicht kennt, der nicht zu leugnende Mangel
an höheren Bestrebungen hier zu Lande kein Hemmniß ist, sich bei der dnrch-


Grenzboten II. 1377. 4V

Zwei Leguas von S. Leopold» liegt der „Hamburger Berg", eine
andre deutsche Kolonie dieser Gegend. Der Ort würde einem deutschen Dorfe
gleichen, wenn sich in den Gärten nicht Palmenwipfel zeigten. Die 600 Ein¬
wohner desselben sind meist Handwerker und Handelsleute, welche letzteren die
Erzeugnisse der Picaden oder Rodungen im Urwalde weiter landeinwärts auf¬
kaufen und auf der Eisenbahn nach Porto Allegre zur Verschiffung nach
Europa senden. Die Pieaden, sämmtlich von deutschen Bauern bewohnt,
zweigen sich von den Dorf Jrmnos, zwei spitzen Bergen nicht fern von der
letztgenannten Kolonie, ab, und die größte dieser langgestreckten Niederlassungen
ist die Vanmschnaiz, die fast fünf Leguas lang und von ungefähr dreihundert
Familien besiedelt ist. Die Hauptstraße ist theilweise ein gut unterhaltener
Vicinalweg, der sogar für Fuhrwerke zu benutzen ist. Die Kolonistenwohnungen
tauchen bald rechts, bald links vom Wege in kurzen Entfernungen zwischen
den grünenden Plantagen auf. Viele sind sehr schlicht, nur auf das Noth¬
wendigste berechnet und von Fachwerk und Lehm erbaut, andere dagegen solide
Steingebüude mit ausgedehnten Gehöften, die von der Wohlhabenheit des Be¬
sitzers zeugen. Ueberall sind sie von großen Orangenhainen umgeben, deren
Früchte aber weniger den Menschen als den Schweinen zur Nahrung dienen.
Längere Zeit schon urbar gemachte Waldflächen benutzt man zur Viehweide. Sie
sind mit Zäunen umgeben, damit das Vieh nicht in die benachbarten Plantagen
läuft, auf deren fettem Boden man Mais, Zuckerrohr, Getreide und Oelfrüchte
baut. Bisweilen kommt man an einer Venda, d. h. einer Schenke mit Kram¬
laden vorüber, mitunter hört man einen Waldbach, der den Weg kreuzt, aber
(was sonst in Brasilien selten) stets überbrückt ist, in der Ferne über die
Räder einer Oel-, Säge- oder Mahlmühle rauschen. Am belebtesten Theile
der Picade stehen die Häuser dichter bei einander, und auf einem freien Platze
gewahrt man eine stattliche Kirche. Scherzhafterweise hat man diesen Theil
der Kolonie „die Judengasse" genannt. Weiterhin überschreitet der Wanderer
einen hohen Berg, den Rödersberg, hinter dem sich die sogenannte „Walachei",
eine Fortsetzung der Kolonie, zeigt. An diese schließt sich das „Jammerthal"
und an dieses wieder der „Windhof", der Endpunkt der Picade, wo man sich
W ansehnlicher Höhe über dem Meere und in der Zone der Araukarien be¬
findet, die, aus der Ferne gesehen, an unsre Nadelbüume erinnern. In dieser
ganzen Gegend hört man nur Deutsch sprechen. Die meisten der Leute, mit
denen unser Reisender sprach, äußerten sich mit ihrem Schicksal zufrieden. „Ich
überzeugte mich", sagt er, „daß für Diejenigen, welche auf jeden geistigen
Lebensgenuß Verzicht leisten können oder in einer Stellung aufgewachsen sind,
wo man dergleichen Bedürfnisse nicht kennt, der nicht zu leugnende Mangel
an höheren Bestrebungen hier zu Lande kein Hemmniß ist, sich bei der dnrch-


Grenzboten II. 1377. 4V
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[0317] Zwei Leguas von S. Leopold» liegt der „Hamburger Berg", eine andre deutsche Kolonie dieser Gegend. Der Ort würde einem deutschen Dorfe gleichen, wenn sich in den Gärten nicht Palmenwipfel zeigten. Die 600 Ein¬ wohner desselben sind meist Handwerker und Handelsleute, welche letzteren die Erzeugnisse der Picaden oder Rodungen im Urwalde weiter landeinwärts auf¬ kaufen und auf der Eisenbahn nach Porto Allegre zur Verschiffung nach Europa senden. Die Pieaden, sämmtlich von deutschen Bauern bewohnt, zweigen sich von den Dorf Jrmnos, zwei spitzen Bergen nicht fern von der letztgenannten Kolonie, ab, und die größte dieser langgestreckten Niederlassungen ist die Vanmschnaiz, die fast fünf Leguas lang und von ungefähr dreihundert Familien besiedelt ist. Die Hauptstraße ist theilweise ein gut unterhaltener Vicinalweg, der sogar für Fuhrwerke zu benutzen ist. Die Kolonistenwohnungen tauchen bald rechts, bald links vom Wege in kurzen Entfernungen zwischen den grünenden Plantagen auf. Viele sind sehr schlicht, nur auf das Noth¬ wendigste berechnet und von Fachwerk und Lehm erbaut, andere dagegen solide Steingebüude mit ausgedehnten Gehöften, die von der Wohlhabenheit des Be¬ sitzers zeugen. Ueberall sind sie von großen Orangenhainen umgeben, deren Früchte aber weniger den Menschen als den Schweinen zur Nahrung dienen. Längere Zeit schon urbar gemachte Waldflächen benutzt man zur Viehweide. Sie sind mit Zäunen umgeben, damit das Vieh nicht in die benachbarten Plantagen läuft, auf deren fettem Boden man Mais, Zuckerrohr, Getreide und Oelfrüchte baut. Bisweilen kommt man an einer Venda, d. h. einer Schenke mit Kram¬ laden vorüber, mitunter hört man einen Waldbach, der den Weg kreuzt, aber (was sonst in Brasilien selten) stets überbrückt ist, in der Ferne über die Räder einer Oel-, Säge- oder Mahlmühle rauschen. Am belebtesten Theile der Picade stehen die Häuser dichter bei einander, und auf einem freien Platze gewahrt man eine stattliche Kirche. Scherzhafterweise hat man diesen Theil der Kolonie „die Judengasse" genannt. Weiterhin überschreitet der Wanderer einen hohen Berg, den Rödersberg, hinter dem sich die sogenannte „Walachei", eine Fortsetzung der Kolonie, zeigt. An diese schließt sich das „Jammerthal" und an dieses wieder der „Windhof", der Endpunkt der Picade, wo man sich W ansehnlicher Höhe über dem Meere und in der Zone der Araukarien be¬ findet, die, aus der Ferne gesehen, an unsre Nadelbüume erinnern. In dieser ganzen Gegend hört man nur Deutsch sprechen. Die meisten der Leute, mit denen unser Reisender sprach, äußerten sich mit ihrem Schicksal zufrieden. „Ich überzeugte mich", sagt er, „daß für Diejenigen, welche auf jeden geistigen Lebensgenuß Verzicht leisten können oder in einer Stellung aufgewachsen sind, wo man dergleichen Bedürfnisse nicht kennt, der nicht zu leugnende Mangel an höheren Bestrebungen hier zu Lande kein Hemmniß ist, sich bei der dnrch- Grenzboten II. 1377. 4V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/317>, abgerufen am 22.07.2024.