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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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was von Jonien kam, in Hellas und vorzüglich in dein nach den Perserkriegen
sich freier regenden Athen in einem glänzenden Schimmer erschien.

Die Ehe stand von Anfang an in Jonien niedriger. Man legte bei
weitem nicht solchen Werth wie in Athen und Sparta auf eine strenge Haltung
des-weiblichen Geschlechts, und daher vollzog sich, als die neuen Ideen auch
auf socialen Gebiete wirksam wurden, der Uebergang der Frauen in eine
freiere Stellung fast ohne jedes Hinderniß. Die Fülle und die Öffentlichkeit
geistigen Lebens und mannichfacher Anregung ermöglichte ihnen eine schnelle An¬
eignung gesellschaftlicher Talente und geistigen Besitzes, und in Kurzem waren
die ionischen Städte voll von Frauen, die durch Klugheit, Wohlredenheit,
Koketterie und Salontcilcnte eine Rolle spielten, viele natürlich zum Schaden
der Sittlichkeit und des häuslichen Friedens. Es war dieselbe Erscheinung,
wie ich sie mit Bezug auf die äolischen Frauen bereits anzudeuten Gelegenheit
hatte, und es müssen schon über hundert Jahre vor den Perserkriegen diese,
Frauen in den meisten kleinasiatischen Gemeinden die angegebene Stellung
eingenommen haben. Freilich blieb immer ein Unterschied bestehen zwischen
den Hausfrauen und -töchtern und denjenigen weiblichen Wesen, die wir in
Alküos' und Anakreon's Liedern gefeiert finden. Die Letzteren müssen wir als
ohne Ausnahme dem Hetärenstaude angehörig betrachten, und daß ein solcher
selbst in Athen schon zu Solon's Zeit existirt hat, beweist die Nachricht, daß
der weise Gesetzgeber ausdrücklich das Entstehen desselben als eine Sicherung
gegen schlimmere Unmoralität begünstigt habe, womit die allgemeine Meinung,
welche allzu reichen Ehesegen nicht als wünschenswert!) ansah, durchaus ein¬
verstanden war. Wenn der Stand als solcher überall verachtet war, die
Hetären von den bürgerlichen Rechten ausgeschlossen waren und der Berührung
mit den ehrbaren Bürgerinnen sich enthalten mußten, so hing die Stellung,
welche die einzelne Hetäre in der Gesellschaft einnahm, natürlich wie zu allen
Zeiten von ihren persönlichen Eigenschaften, ihrem Bildungsstande, Herkommen,
gesellschaftlichen Talent, geistigen Werth, Auftreten u. f. w. ab.

Zu den immerhin vereinzelten Persönlichkeiten, welche schon vor der
perikleischen Zeit eine höhere Stellung einnahmen, mit fesselnden geistigen
Eigenschaften ausgestattet waren und mehr als bloße Sinnlichkeit erstrebten,
gehörte die schöne Thargelia aus Milet, die sich in der Zeit des dritten Perser¬
krieges bei einem der bedeutendsten Landeshäuptlinge von Thessalien, Antiochos,
aufhielt. Sie hatte nach einander in vierzehn Verbindungen gelebt, immer einen
Kreis hervorragender Geister an sich zu fesseln gewußt und behauptete noch
nach dem Tode des Antiochos eine fürstliche Macht. Selbst auf politischem
Gebiete war sie thätig, und es ist bezeugt, daß sie und andere ionische Frauen,
in der Absicht den Verkehr mit Jonien ungestört zu erhalten, für den An-


was von Jonien kam, in Hellas und vorzüglich in dein nach den Perserkriegen
sich freier regenden Athen in einem glänzenden Schimmer erschien.

Die Ehe stand von Anfang an in Jonien niedriger. Man legte bei
weitem nicht solchen Werth wie in Athen und Sparta auf eine strenge Haltung
des-weiblichen Geschlechts, und daher vollzog sich, als die neuen Ideen auch
auf socialen Gebiete wirksam wurden, der Uebergang der Frauen in eine
freiere Stellung fast ohne jedes Hinderniß. Die Fülle und die Öffentlichkeit
geistigen Lebens und mannichfacher Anregung ermöglichte ihnen eine schnelle An¬
eignung gesellschaftlicher Talente und geistigen Besitzes, und in Kurzem waren
die ionischen Städte voll von Frauen, die durch Klugheit, Wohlredenheit,
Koketterie und Salontcilcnte eine Rolle spielten, viele natürlich zum Schaden
der Sittlichkeit und des häuslichen Friedens. Es war dieselbe Erscheinung,
wie ich sie mit Bezug auf die äolischen Frauen bereits anzudeuten Gelegenheit
hatte, und es müssen schon über hundert Jahre vor den Perserkriegen diese,
Frauen in den meisten kleinasiatischen Gemeinden die angegebene Stellung
eingenommen haben. Freilich blieb immer ein Unterschied bestehen zwischen
den Hausfrauen und -töchtern und denjenigen weiblichen Wesen, die wir in
Alküos' und Anakreon's Liedern gefeiert finden. Die Letzteren müssen wir als
ohne Ausnahme dem Hetärenstaude angehörig betrachten, und daß ein solcher
selbst in Athen schon zu Solon's Zeit existirt hat, beweist die Nachricht, daß
der weise Gesetzgeber ausdrücklich das Entstehen desselben als eine Sicherung
gegen schlimmere Unmoralität begünstigt habe, womit die allgemeine Meinung,
welche allzu reichen Ehesegen nicht als wünschenswert!) ansah, durchaus ein¬
verstanden war. Wenn der Stand als solcher überall verachtet war, die
Hetären von den bürgerlichen Rechten ausgeschlossen waren und der Berührung
mit den ehrbaren Bürgerinnen sich enthalten mußten, so hing die Stellung,
welche die einzelne Hetäre in der Gesellschaft einnahm, natürlich wie zu allen
Zeiten von ihren persönlichen Eigenschaften, ihrem Bildungsstande, Herkommen,
gesellschaftlichen Talent, geistigen Werth, Auftreten u. f. w. ab.

Zu den immerhin vereinzelten Persönlichkeiten, welche schon vor der
perikleischen Zeit eine höhere Stellung einnahmen, mit fesselnden geistigen
Eigenschaften ausgestattet waren und mehr als bloße Sinnlichkeit erstrebten,
gehörte die schöne Thargelia aus Milet, die sich in der Zeit des dritten Perser¬
krieges bei einem der bedeutendsten Landeshäuptlinge von Thessalien, Antiochos,
aufhielt. Sie hatte nach einander in vierzehn Verbindungen gelebt, immer einen
Kreis hervorragender Geister an sich zu fesseln gewußt und behauptete noch
nach dem Tode des Antiochos eine fürstliche Macht. Selbst auf politischem
Gebiete war sie thätig, und es ist bezeugt, daß sie und andere ionische Frauen,
in der Absicht den Verkehr mit Jonien ungestört zu erhalten, für den An-


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[0304] was von Jonien kam, in Hellas und vorzüglich in dein nach den Perserkriegen sich freier regenden Athen in einem glänzenden Schimmer erschien. Die Ehe stand von Anfang an in Jonien niedriger. Man legte bei weitem nicht solchen Werth wie in Athen und Sparta auf eine strenge Haltung des-weiblichen Geschlechts, und daher vollzog sich, als die neuen Ideen auch auf socialen Gebiete wirksam wurden, der Uebergang der Frauen in eine freiere Stellung fast ohne jedes Hinderniß. Die Fülle und die Öffentlichkeit geistigen Lebens und mannichfacher Anregung ermöglichte ihnen eine schnelle An¬ eignung gesellschaftlicher Talente und geistigen Besitzes, und in Kurzem waren die ionischen Städte voll von Frauen, die durch Klugheit, Wohlredenheit, Koketterie und Salontcilcnte eine Rolle spielten, viele natürlich zum Schaden der Sittlichkeit und des häuslichen Friedens. Es war dieselbe Erscheinung, wie ich sie mit Bezug auf die äolischen Frauen bereits anzudeuten Gelegenheit hatte, und es müssen schon über hundert Jahre vor den Perserkriegen diese, Frauen in den meisten kleinasiatischen Gemeinden die angegebene Stellung eingenommen haben. Freilich blieb immer ein Unterschied bestehen zwischen den Hausfrauen und -töchtern und denjenigen weiblichen Wesen, die wir in Alküos' und Anakreon's Liedern gefeiert finden. Die Letzteren müssen wir als ohne Ausnahme dem Hetärenstaude angehörig betrachten, und daß ein solcher selbst in Athen schon zu Solon's Zeit existirt hat, beweist die Nachricht, daß der weise Gesetzgeber ausdrücklich das Entstehen desselben als eine Sicherung gegen schlimmere Unmoralität begünstigt habe, womit die allgemeine Meinung, welche allzu reichen Ehesegen nicht als wünschenswert!) ansah, durchaus ein¬ verstanden war. Wenn der Stand als solcher überall verachtet war, die Hetären von den bürgerlichen Rechten ausgeschlossen waren und der Berührung mit den ehrbaren Bürgerinnen sich enthalten mußten, so hing die Stellung, welche die einzelne Hetäre in der Gesellschaft einnahm, natürlich wie zu allen Zeiten von ihren persönlichen Eigenschaften, ihrem Bildungsstande, Herkommen, gesellschaftlichen Talent, geistigen Werth, Auftreten u. f. w. ab. Zu den immerhin vereinzelten Persönlichkeiten, welche schon vor der perikleischen Zeit eine höhere Stellung einnahmen, mit fesselnden geistigen Eigenschaften ausgestattet waren und mehr als bloße Sinnlichkeit erstrebten, gehörte die schöne Thargelia aus Milet, die sich in der Zeit des dritten Perser¬ krieges bei einem der bedeutendsten Landeshäuptlinge von Thessalien, Antiochos, aufhielt. Sie hatte nach einander in vierzehn Verbindungen gelebt, immer einen Kreis hervorragender Geister an sich zu fesseln gewußt und behauptete noch nach dem Tode des Antiochos eine fürstliche Macht. Selbst auf politischem Gebiete war sie thätig, und es ist bezeugt, daß sie und andere ionische Frauen, in der Absicht den Verkehr mit Jonien ungestört zu erhalten, für den An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/304>, abgerufen am 03.07.2024.