Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schluß Thessaliens an die Perser gewirkt haben. Noch etwas früher lebte
die Hetäre Leäna, welche bei der Verschwörung des Harmodios und
Aristogeiton im Jahre 514, die Athen's Befreiung einleitete, betheiligt gewesen
sein son. Selbst auf der Folter ließ sie sich kein verrätherisches Wort ent¬
reißen, wofür die Athener ihr ein Standbild setzten, eine Löwin ohne Zunge
darstellend. Wo diese Frauen lebten, waren sie fast stets Ausländerinnen,
da bei der Strenge, mit welcher das Gesetz und das Herkommen sich einer
solchen Lebensweise gegenüberstellten, eine Bürgerin es kaum hätte wagen
dürfen, ihren Verwandten und irgend Nahestehenden diese Schmach anzuthun,
hätte sie auch für ihre Person der bürgerlichen Degradation sich unterziehe"
wollen.

In größerer Menge fand diejenige Klasse dieser Frauen, welche durch
höhere Begabung Einfluß zu gewinnen fähig war, erst zu Perikles' Zeit in
Athen und dem übrigen Hellas Eingang. Von da an aber bildeten sie die eigent¬
liche schöne Welt, suchten und fanden durch Anziehung bedeutender Mäuner
Macht und Einfluß und verschafften dem öffentlichen und socialen Leben einen
Zuwachs, den vor Allein die leichtlebigen und gerade jetzt in lebhafter Währung
begriffenen Athener mit Freuden begrüßten. Den deutlichsten Beweis von einer
veränderten Stellung und Auffassung des weiblichen Geschlechts geben uns die
mit Perikles gleichzeitige:: Dichter, namentlich Euripides und Aristophanes.
Die große Zahl weiblicher Personen, die in ihren Stücken auftreten, die Vor¬
liebe, mit welcher weibliche Charaktere behandelt, die tiefe und genaue Kennt¬
niß, mit der sie gezeichnet werden, das Vorwiegen von Verwickelungen, die
aus rein sinnlicher Liebe und anderen echt weiblichen Zügen hervorgehen, sind
etwas, das bei den früheren Dichtern in weit geringerem Maße sich findet
und deutlich bezeugt, daß den Dichtern der perikleischen und nachperikleischen
Zeit eine veränderte Frauenwelt gegenübergestanden haben und mehr Gelegen¬
heit, dieselbe genau kennen zu lernen, geboten gewesen sein muß.

Eine der gefeiertsten Hetären dieser Zeit war Phryne aus Thespiae, ur¬
sprünglich Mnesarete genannt. Den andern Namen, welcher "Kröte" bedeutet,
hatte man ihr ungalanterweise wegen ihrer Blässe beigelegt; aber er hinderte
nicht, daß sie sich der meisten Erorbernngen selbst uuter geistreichen und hoch¬
stehenden Zeitgenossen rühmen konnte. Die Alten sagen, daß außer dem
Philosophen Xenokrates niemand ihrem Liebreiz widerstanden habe. Selbst in
einem Prozeß vor den athenischen Geschworenen, in welchem der Redner
Hypereides sie vertheidigte, sollen die Richter durch ihre Schönheit sich zur
Freisprechung haben bestimmen lassen. Sie war es, die dem Praxiteles
als Vorbild für seine kindische Aphrodite gedient haben soll, und in
ihrer Bäterstadt, heißt es, durfte Praxiteles selbst in dem Tempel


Schluß Thessaliens an die Perser gewirkt haben. Noch etwas früher lebte
die Hetäre Leäna, welche bei der Verschwörung des Harmodios und
Aristogeiton im Jahre 514, die Athen's Befreiung einleitete, betheiligt gewesen
sein son. Selbst auf der Folter ließ sie sich kein verrätherisches Wort ent¬
reißen, wofür die Athener ihr ein Standbild setzten, eine Löwin ohne Zunge
darstellend. Wo diese Frauen lebten, waren sie fast stets Ausländerinnen,
da bei der Strenge, mit welcher das Gesetz und das Herkommen sich einer
solchen Lebensweise gegenüberstellten, eine Bürgerin es kaum hätte wagen
dürfen, ihren Verwandten und irgend Nahestehenden diese Schmach anzuthun,
hätte sie auch für ihre Person der bürgerlichen Degradation sich unterziehe»
wollen.

In größerer Menge fand diejenige Klasse dieser Frauen, welche durch
höhere Begabung Einfluß zu gewinnen fähig war, erst zu Perikles' Zeit in
Athen und dem übrigen Hellas Eingang. Von da an aber bildeten sie die eigent¬
liche schöne Welt, suchten und fanden durch Anziehung bedeutender Mäuner
Macht und Einfluß und verschafften dem öffentlichen und socialen Leben einen
Zuwachs, den vor Allein die leichtlebigen und gerade jetzt in lebhafter Währung
begriffenen Athener mit Freuden begrüßten. Den deutlichsten Beweis von einer
veränderten Stellung und Auffassung des weiblichen Geschlechts geben uns die
mit Perikles gleichzeitige:: Dichter, namentlich Euripides und Aristophanes.
Die große Zahl weiblicher Personen, die in ihren Stücken auftreten, die Vor¬
liebe, mit welcher weibliche Charaktere behandelt, die tiefe und genaue Kennt¬
niß, mit der sie gezeichnet werden, das Vorwiegen von Verwickelungen, die
aus rein sinnlicher Liebe und anderen echt weiblichen Zügen hervorgehen, sind
etwas, das bei den früheren Dichtern in weit geringerem Maße sich findet
und deutlich bezeugt, daß den Dichtern der perikleischen und nachperikleischen
Zeit eine veränderte Frauenwelt gegenübergestanden haben und mehr Gelegen¬
heit, dieselbe genau kennen zu lernen, geboten gewesen sein muß.

Eine der gefeiertsten Hetären dieser Zeit war Phryne aus Thespiae, ur¬
sprünglich Mnesarete genannt. Den andern Namen, welcher „Kröte" bedeutet,
hatte man ihr ungalanterweise wegen ihrer Blässe beigelegt; aber er hinderte
nicht, daß sie sich der meisten Erorbernngen selbst uuter geistreichen und hoch¬
stehenden Zeitgenossen rühmen konnte. Die Alten sagen, daß außer dem
Philosophen Xenokrates niemand ihrem Liebreiz widerstanden habe. Selbst in
einem Prozeß vor den athenischen Geschworenen, in welchem der Redner
Hypereides sie vertheidigte, sollen die Richter durch ihre Schönheit sich zur
Freisprechung haben bestimmen lassen. Sie war es, die dem Praxiteles
als Vorbild für seine kindische Aphrodite gedient haben soll, und in
ihrer Bäterstadt, heißt es, durfte Praxiteles selbst in dem Tempel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138006"/>
          <p xml:id="ID_855" prev="#ID_854"> Schluß Thessaliens an die Perser gewirkt haben. Noch etwas früher lebte<lb/>
die Hetäre Leäna, welche bei der Verschwörung des Harmodios und<lb/>
Aristogeiton im Jahre 514, die Athen's Befreiung einleitete, betheiligt gewesen<lb/>
sein son. Selbst auf der Folter ließ sie sich kein verrätherisches Wort ent¬<lb/>
reißen, wofür die Athener ihr ein Standbild setzten, eine Löwin ohne Zunge<lb/>
darstellend. Wo diese Frauen lebten, waren sie fast stets Ausländerinnen,<lb/>
da bei der Strenge, mit welcher das Gesetz und das Herkommen sich einer<lb/>
solchen Lebensweise gegenüberstellten, eine Bürgerin es kaum hätte wagen<lb/>
dürfen, ihren Verwandten und irgend Nahestehenden diese Schmach anzuthun,<lb/>
hätte sie auch für ihre Person der bürgerlichen Degradation sich unterziehe»<lb/>
wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_856"> In größerer Menge fand diejenige Klasse dieser Frauen, welche durch<lb/>
höhere Begabung Einfluß zu gewinnen fähig war, erst zu Perikles' Zeit in<lb/>
Athen und dem übrigen Hellas Eingang. Von da an aber bildeten sie die eigent¬<lb/>
liche schöne Welt, suchten und fanden durch Anziehung bedeutender Mäuner<lb/>
Macht und Einfluß und verschafften dem öffentlichen und socialen Leben einen<lb/>
Zuwachs, den vor Allein die leichtlebigen und gerade jetzt in lebhafter Währung<lb/>
begriffenen Athener mit Freuden begrüßten. Den deutlichsten Beweis von einer<lb/>
veränderten Stellung und Auffassung des weiblichen Geschlechts geben uns die<lb/>
mit Perikles gleichzeitige:: Dichter, namentlich Euripides und Aristophanes.<lb/>
Die große Zahl weiblicher Personen, die in ihren Stücken auftreten, die Vor¬<lb/>
liebe, mit welcher weibliche Charaktere behandelt, die tiefe und genaue Kennt¬<lb/>
niß, mit der sie gezeichnet werden, das Vorwiegen von Verwickelungen, die<lb/>
aus rein sinnlicher Liebe und anderen echt weiblichen Zügen hervorgehen, sind<lb/>
etwas, das bei den früheren Dichtern in weit geringerem Maße sich findet<lb/>
und deutlich bezeugt, daß den Dichtern der perikleischen und nachperikleischen<lb/>
Zeit eine veränderte Frauenwelt gegenübergestanden haben und mehr Gelegen¬<lb/>
heit, dieselbe genau kennen zu lernen, geboten gewesen sein muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_857" next="#ID_858"> Eine der gefeiertsten Hetären dieser Zeit war Phryne aus Thespiae, ur¬<lb/>
sprünglich Mnesarete genannt. Den andern Namen, welcher &#x201E;Kröte" bedeutet,<lb/>
hatte man ihr ungalanterweise wegen ihrer Blässe beigelegt; aber er hinderte<lb/>
nicht, daß sie sich der meisten Erorbernngen selbst uuter geistreichen und hoch¬<lb/>
stehenden Zeitgenossen rühmen konnte. Die Alten sagen, daß außer dem<lb/>
Philosophen Xenokrates niemand ihrem Liebreiz widerstanden habe. Selbst in<lb/>
einem Prozeß vor den athenischen Geschworenen, in welchem der Redner<lb/>
Hypereides sie vertheidigte, sollen die Richter durch ihre Schönheit sich zur<lb/>
Freisprechung haben bestimmen lassen. Sie war es, die dem Praxiteles<lb/>
als Vorbild für seine kindische Aphrodite gedient haben soll, und in<lb/>
ihrer Bäterstadt, heißt es, durfte  Praxiteles selbst in  dem Tempel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0305] Schluß Thessaliens an die Perser gewirkt haben. Noch etwas früher lebte die Hetäre Leäna, welche bei der Verschwörung des Harmodios und Aristogeiton im Jahre 514, die Athen's Befreiung einleitete, betheiligt gewesen sein son. Selbst auf der Folter ließ sie sich kein verrätherisches Wort ent¬ reißen, wofür die Athener ihr ein Standbild setzten, eine Löwin ohne Zunge darstellend. Wo diese Frauen lebten, waren sie fast stets Ausländerinnen, da bei der Strenge, mit welcher das Gesetz und das Herkommen sich einer solchen Lebensweise gegenüberstellten, eine Bürgerin es kaum hätte wagen dürfen, ihren Verwandten und irgend Nahestehenden diese Schmach anzuthun, hätte sie auch für ihre Person der bürgerlichen Degradation sich unterziehe» wollen. In größerer Menge fand diejenige Klasse dieser Frauen, welche durch höhere Begabung Einfluß zu gewinnen fähig war, erst zu Perikles' Zeit in Athen und dem übrigen Hellas Eingang. Von da an aber bildeten sie die eigent¬ liche schöne Welt, suchten und fanden durch Anziehung bedeutender Mäuner Macht und Einfluß und verschafften dem öffentlichen und socialen Leben einen Zuwachs, den vor Allein die leichtlebigen und gerade jetzt in lebhafter Währung begriffenen Athener mit Freuden begrüßten. Den deutlichsten Beweis von einer veränderten Stellung und Auffassung des weiblichen Geschlechts geben uns die mit Perikles gleichzeitige:: Dichter, namentlich Euripides und Aristophanes. Die große Zahl weiblicher Personen, die in ihren Stücken auftreten, die Vor¬ liebe, mit welcher weibliche Charaktere behandelt, die tiefe und genaue Kennt¬ niß, mit der sie gezeichnet werden, das Vorwiegen von Verwickelungen, die aus rein sinnlicher Liebe und anderen echt weiblichen Zügen hervorgehen, sind etwas, das bei den früheren Dichtern in weit geringerem Maße sich findet und deutlich bezeugt, daß den Dichtern der perikleischen und nachperikleischen Zeit eine veränderte Frauenwelt gegenübergestanden haben und mehr Gelegen¬ heit, dieselbe genau kennen zu lernen, geboten gewesen sein muß. Eine der gefeiertsten Hetären dieser Zeit war Phryne aus Thespiae, ur¬ sprünglich Mnesarete genannt. Den andern Namen, welcher „Kröte" bedeutet, hatte man ihr ungalanterweise wegen ihrer Blässe beigelegt; aber er hinderte nicht, daß sie sich der meisten Erorbernngen selbst uuter geistreichen und hoch¬ stehenden Zeitgenossen rühmen konnte. Die Alten sagen, daß außer dem Philosophen Xenokrates niemand ihrem Liebreiz widerstanden habe. Selbst in einem Prozeß vor den athenischen Geschworenen, in welchem der Redner Hypereides sie vertheidigte, sollen die Richter durch ihre Schönheit sich zur Freisprechung haben bestimmen lassen. Sie war es, die dem Praxiteles als Vorbild für seine kindische Aphrodite gedient haben soll, und in ihrer Bäterstadt, heißt es, durfte Praxiteles selbst in dem Tempel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/305
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/305>, abgerufen am 03.07.2024.