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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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"Zunächst (man beachte die Anführungszeichen; denn wir sind keines¬
wegs in allen Stücken mit den folgenden Forderungen des Verfassers und am
Wenigsten mit seiner tragischen Auffassung der Sache und den von ihm bean¬
tragten Gewaltmaßregeln einverstanden) dürfte eine neue Konferenz als kousti-
tuirendcs Organ zu berufen sein, bestehend aus etwa acht Lehrern (Elementar-,
Real- und Gymnasiallehrern), zwei Sprachforschern, zwei Schriftstellern, zwei
Zeitmlgsredaeteureu, einem Industriellen und einem Buchdrucker. Gewählt
dazu können nur Phouetiker werden, da sich die Nation gegen die Historiker
bereits aufs Entschiedenste erklärt hat. Die Lehrer müssen ihrer Abstammung
nach Nord- und Süddeutsche sein, ihrer Gesinnung uach aber weder Preuße"
noch Sachse", Baiern, Württemberger oder Mecklenburger, souderu Deutsche". --
"sind die Gesetze festgestellt, so in"ß eine ausübende Gewalt hi"zutreten, am
Besten die Reichsregierung im Einvernehmen mit alle" Einzelstaaten". --
"Jedenfalls wird die Einheit in der Orthographie, wenn auch nicht mit Blut
und Eisen, so doch nur mit Gewalt ausgeführt werden können; darüber dürfen
wir uus keine Illusionen machen. Das Vertrauen auf guten Willen, erleuchtete
Einsicht, echt deutsche Gesinnung u. s. w. erweist sich stets als ein kraftloser
Traum, weil die Gewohnheit stärker ist als jene Tugenden". -- "Nach einer
vernünftigen Orthographie sehnt sich die Nation vielleicht in noch ausgedehnterem
Maße, als sie sich in ihrem gauzeu Jahrhundert nach dein einigen Deutschland
gesehnt hat ("a, na, das heißt doch im Eifer die Backen gar zu voll nehmen),
wird ihr aber, sobald sie kommt, einen noch heftigeren Widerstand entgegen¬
setzen als dem endlich wieder erstandenen Deutschen Reiche. Das Alte ist be¬
quem geworden, war es auch noch so unvollkommen, und das Neue schreckt
durch die Mühe, welche es Anfangs bringt". "Jede orthographische Neuerung
findet in der Gewohnheit des Auges einen erbitterten, vernunftlosen und eben
darum schwer zu bekämpfenden Gegner. Als man anfing, statt zwey, seyn,
Huth, Mährchen, Creutz, zwei, sein, Hut, Märchen, Kreuz zu schreiben, hatte
die Meuge weiter nichts dagegen einzuwenden als: Wie kahl, wie abgeschmackt
sieht das aus! -- und solche Neuerungen wie Kurfürst, Karte, Kapitän er¬
schienen dein Auge geradezu unerklärlich, während doch Mancher, der vor
zwanzig, dreißig Jahren in diesen Ruf einstimmte, jetzt das Ange von Chur¬
fürst, Charte und Capital" beleidigt abwenden wird. Nach Richtigkeit, Nütz¬
lichkeit, Konsequenz fragt man dabei nicht, sonst würde die hier und da ver¬
suchte Schreibung Wirt, Turm, Mut neben Gut, Blut, Hut nicht auf so heftiges
Widerstreben stoßen."

"Aus diesen Erscheinungen dürften die Reformer mancherlei Belehrung zu
schöpfen im Stande sein. Erstlich die Mahnung, nicht zu erschrecken, wenn
ihnen das nach, ihrer eignen Theorie ungeänderte Wortbild real vor die Augen


„Zunächst (man beachte die Anführungszeichen; denn wir sind keines¬
wegs in allen Stücken mit den folgenden Forderungen des Verfassers und am
Wenigsten mit seiner tragischen Auffassung der Sache und den von ihm bean¬
tragten Gewaltmaßregeln einverstanden) dürfte eine neue Konferenz als kousti-
tuirendcs Organ zu berufen sein, bestehend aus etwa acht Lehrern (Elementar-,
Real- und Gymnasiallehrern), zwei Sprachforschern, zwei Schriftstellern, zwei
Zeitmlgsredaeteureu, einem Industriellen und einem Buchdrucker. Gewählt
dazu können nur Phouetiker werden, da sich die Nation gegen die Historiker
bereits aufs Entschiedenste erklärt hat. Die Lehrer müssen ihrer Abstammung
nach Nord- und Süddeutsche sein, ihrer Gesinnung uach aber weder Preuße»
noch Sachse», Baiern, Württemberger oder Mecklenburger, souderu Deutsche". —
„sind die Gesetze festgestellt, so in»ß eine ausübende Gewalt hi»zutreten, am
Besten die Reichsregierung im Einvernehmen mit alle» Einzelstaaten". —
„Jedenfalls wird die Einheit in der Orthographie, wenn auch nicht mit Blut
und Eisen, so doch nur mit Gewalt ausgeführt werden können; darüber dürfen
wir uus keine Illusionen machen. Das Vertrauen auf guten Willen, erleuchtete
Einsicht, echt deutsche Gesinnung u. s. w. erweist sich stets als ein kraftloser
Traum, weil die Gewohnheit stärker ist als jene Tugenden". — „Nach einer
vernünftigen Orthographie sehnt sich die Nation vielleicht in noch ausgedehnterem
Maße, als sie sich in ihrem gauzeu Jahrhundert nach dein einigen Deutschland
gesehnt hat (»a, na, das heißt doch im Eifer die Backen gar zu voll nehmen),
wird ihr aber, sobald sie kommt, einen noch heftigeren Widerstand entgegen¬
setzen als dem endlich wieder erstandenen Deutschen Reiche. Das Alte ist be¬
quem geworden, war es auch noch so unvollkommen, und das Neue schreckt
durch die Mühe, welche es Anfangs bringt". „Jede orthographische Neuerung
findet in der Gewohnheit des Auges einen erbitterten, vernunftlosen und eben
darum schwer zu bekämpfenden Gegner. Als man anfing, statt zwey, seyn,
Huth, Mährchen, Creutz, zwei, sein, Hut, Märchen, Kreuz zu schreiben, hatte
die Meuge weiter nichts dagegen einzuwenden als: Wie kahl, wie abgeschmackt
sieht das aus! — und solche Neuerungen wie Kurfürst, Karte, Kapitän er¬
schienen dein Auge geradezu unerklärlich, während doch Mancher, der vor
zwanzig, dreißig Jahren in diesen Ruf einstimmte, jetzt das Ange von Chur¬
fürst, Charte und Capital» beleidigt abwenden wird. Nach Richtigkeit, Nütz¬
lichkeit, Konsequenz fragt man dabei nicht, sonst würde die hier und da ver¬
suchte Schreibung Wirt, Turm, Mut neben Gut, Blut, Hut nicht auf so heftiges
Widerstreben stoßen."

„Aus diesen Erscheinungen dürften die Reformer mancherlei Belehrung zu
schöpfen im Stande sein. Erstlich die Mahnung, nicht zu erschrecken, wenn
ihnen das nach, ihrer eignen Theorie ungeänderte Wortbild real vor die Augen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/295>, abgerufen am 01.07.2024.