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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Anwendung der Ausländer im Amiant zu Begriffsunterschieden benutzt haben:
backen und packen, Bein und Pein, Dorf und Torf, glimmen und klimmen,
Gram und Kram. Aufgeben wäre ärmer werden, und gerade das reicher
Werden ist höchste Aufgabe der Sprache. Wir können also unbedingt die
Regel aufstellen: sprich b, d, g und p, t, k im Amiant, wo sie geschrieben stehen".

"Die Frage über die Verwandelung des g vor e und i in j läßt sich
objektiv auf folgende Weise beantworten. Die Umlautung ist zwar organisch
richtig, schafft aber eine für die Orthographie höchst störende Inkonsequenz
und ist von der Majorität entschieden verworfen. Die Norddeutschen, welche
z. B. jegangen sagen, werden allerdings gegangen unbequem finden, aber un¬
bequem ist jedes Ungewohnte, und an die größere Härte gewöhnt sich das Ohr
in kurzer Zeit. Dasselbe aber gilt von dem inlautenden g nach e und i und
Konsonanten: bewegen, liegen, Berge darf nicht bewejen, liejen, Berje ausge¬
sprochen werden, und so ergibt sich hier die Regel: sprich g an- und inlautend
wie g nicht wie j aus". "G lautet im Norden (Schlesien ausgenommen) auslautend
wie es, im Süden (Westfranken ausgenommen) wie normales k. Darüber läßt sich
Folgendes feststellen. Ch ist organisch richtig, wenn und so lange g im Um¬
laute wie j gesprochen wird (j--es); da sich aber die Majorität für hartes
anlautendes g entschieden hat, ist Bernb, Balg, Tach, geruch und dergl. un¬
organisch (g--k). Für die Umwandlung des g in k spricht also Richtigkeit,
Konsequenz und Majorität, und so müssen wir die Regel aufstellen: sprich
auslautendes g wie k."

"An ist aus u (Hus, Haus), hanpsächlich aber ans on entstanden und
lautet zum Theil noch jetzt wie on, z. B. schwäbisch in vielen Wörtern: Hors,
Bouer, Mont und brandenburgisch überall. Da nun on natürlicher und be¬
quemer ist und durch Sprechuug und Schreibung on der Amiant an zu on
würde, also der durch an zu bezeichnende Laut eine richtigere Stellung gewänne,
so stände zu wünschen, daß wir allgemein das an auf der zweiten und dritten
Unterstelle artikulirten; allein die Majorität steht einer solchen Reform zu stark
entgegen, und so sind wir gezwungen zu sagen: beginne an auf der ersten, nicht
auf der zweiten Unterstelle. -- Durch al und el hätten wir Begriffsunterschiede
darstellen können, z. B. zwischen Saite und Seite, Waise und Weise; allein
dies ist lautlich nicht geschehen, und so haben wir die Wahl: al oder el. Nach
der jetzt herrschenden Schreibung ist der Laut el (erste und zweite Oberstelle)
richtig, etwa wie man ihn in Obersachsen, Schwaben und am Unterrhein hört
(wir hätten statt Obersachsen, wo dieser Laut nicht vorkommt, sondern al ge¬
sprochen wird, Ostpreußen genannt), und da al nicht allein unorganisch und
durch seine Breite unmusikalisch ist, sondern auch der Schreibung sehr lästig
fallen würde, so haben wir diesmal der Majorität zuwider die Regel aufzu-


Anwendung der Ausländer im Amiant zu Begriffsunterschieden benutzt haben:
backen und packen, Bein und Pein, Dorf und Torf, glimmen und klimmen,
Gram und Kram. Aufgeben wäre ärmer werden, und gerade das reicher
Werden ist höchste Aufgabe der Sprache. Wir können also unbedingt die
Regel aufstellen: sprich b, d, g und p, t, k im Amiant, wo sie geschrieben stehen".

„Die Frage über die Verwandelung des g vor e und i in j läßt sich
objektiv auf folgende Weise beantworten. Die Umlautung ist zwar organisch
richtig, schafft aber eine für die Orthographie höchst störende Inkonsequenz
und ist von der Majorität entschieden verworfen. Die Norddeutschen, welche
z. B. jegangen sagen, werden allerdings gegangen unbequem finden, aber un¬
bequem ist jedes Ungewohnte, und an die größere Härte gewöhnt sich das Ohr
in kurzer Zeit. Dasselbe aber gilt von dem inlautenden g nach e und i und
Konsonanten: bewegen, liegen, Berge darf nicht bewejen, liejen, Berje ausge¬
sprochen werden, und so ergibt sich hier die Regel: sprich g an- und inlautend
wie g nicht wie j aus". „G lautet im Norden (Schlesien ausgenommen) auslautend
wie es, im Süden (Westfranken ausgenommen) wie normales k. Darüber läßt sich
Folgendes feststellen. Ch ist organisch richtig, wenn und so lange g im Um¬
laute wie j gesprochen wird (j—es); da sich aber die Majorität für hartes
anlautendes g entschieden hat, ist Bernb, Balg, Tach, geruch und dergl. un¬
organisch (g—k). Für die Umwandlung des g in k spricht also Richtigkeit,
Konsequenz und Majorität, und so müssen wir die Regel aufstellen: sprich
auslautendes g wie k."

„An ist aus u (Hus, Haus), hanpsächlich aber ans on entstanden und
lautet zum Theil noch jetzt wie on, z. B. schwäbisch in vielen Wörtern: Hors,
Bouer, Mont und brandenburgisch überall. Da nun on natürlicher und be¬
quemer ist und durch Sprechuug und Schreibung on der Amiant an zu on
würde, also der durch an zu bezeichnende Laut eine richtigere Stellung gewänne,
so stände zu wünschen, daß wir allgemein das an auf der zweiten und dritten
Unterstelle artikulirten; allein die Majorität steht einer solchen Reform zu stark
entgegen, und so sind wir gezwungen zu sagen: beginne an auf der ersten, nicht
auf der zweiten Unterstelle. — Durch al und el hätten wir Begriffsunterschiede
darstellen können, z. B. zwischen Saite und Seite, Waise und Weise; allein
dies ist lautlich nicht geschehen, und so haben wir die Wahl: al oder el. Nach
der jetzt herrschenden Schreibung ist der Laut el (erste und zweite Oberstelle)
richtig, etwa wie man ihn in Obersachsen, Schwaben und am Unterrhein hört
(wir hätten statt Obersachsen, wo dieser Laut nicht vorkommt, sondern al ge¬
sprochen wird, Ostpreußen genannt), und da al nicht allein unorganisch und
durch seine Breite unmusikalisch ist, sondern auch der Schreibung sehr lästig
fallen würde, so haben wir diesmal der Majorität zuwider die Regel aufzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/289>, abgerufen am 03.07.2024.