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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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stellen: beginne el auf der ersten und endige es ans der zweiten Oberstelle." --
"En und an sind durch Umlantung aus an, und en auch mit aus in ent-
standen: Haut, Häute, Heu (gothisch hawi) hauen, Leute (althochdeutsch Liuti).
Maßgebend für uns kann nur noch die Umlantung sein, und da der Amiant
entweder el oder ol klingt, so haben wir zwischen beiden zu Wahlen. Nun ent¬
spricht, wenn wir uns a und u als umgelautet denken, el dem on (an, ä -- e,
n -- i), ol oder si dem on (on, ü -- i, also ol), und da der Laut an (el) die
Majorität für sich hat, so müßten wir folgerichtig el als normal annehmen.
Allein die Sprache hat ol und el logisch verwerthet: Eier, euer, Scheine,
Scheune, Eiter, Euter, freien, freuen, zeigen, zeugen, und sie würde als Be¬
griffsorgan durch Aufgeben des ol unvollkommner. Wir müssen uns also für
die Regel entscheiden: beginne en (an) auf der zweiten Mittelstelle und endige
es auf der zweiten Oberstelle."

Die Möglichkeit einer zweckmäßigen Reform der jetzt üblichen Schreibung,
so fährt der Verfasser fort, ergibt sich aus der Betrachtung des deutschen
Lautsystems, welches, mit andern Sprachen verglichen, kaum nennenswerthe
Schwierigkeiten bietet, und ans dem Umstände, daß in unsrer Rechtschreibung
von jeher das phonetische Prinzip gewaltet und eine Schreibung zur Gewohn¬
heit gemacht hat, die keine Revolution, sondern nur eine Reform verlangt, um
dem Ideal nahe zu kommen. Dieses hat drei Seiten, eine wissenschaftliche,
eine pädagogische und eine nationalökonomische. Das wissenschaftliche Ideal
verlangt, daß die Schreibung den grammatischen Verhältnissen der Rede Rech¬
nung trage, daß sie vollständig sei, indem sie die Elemente des Wortes, den
Laut (für jeden Laut ein Zeichen), die Quantität (für Länge und Kürze die
nöthigen Zeichen), den Accent, den Ton (Zeichen für Höhe und Tiefes, das
Wort selbst, die Bildung desselben und die Biegung darstellt, ferner, daß sie
organisch sei, d. h. daß nichts sich widerspreche, daß jedes Element zu seinem
Elemente und zum Ganzen passe, endlich daß die Schreibung die logischen
Verhältnisse berücksichtige, daß kein Zeichen ohne Begriff und kein Begriff ohne
Zeichen sei. Nach dem pädagogischen Ideal muß die Schreibung den Bedürf¬
nissen des Lesenden und des Schreibenden beim Lernen genügen, d. h. sie muß
in Betreff des Lesens einem allgemeinen Gesetze folgen, aus welchem das Ein¬
zelne von selbst hervorgeht, und für keinen Laut zwei Zeichen geben, sie muß
sodann bequem sein, d. h. in leicht ausführbaren Zeichen bestehen und nicht
zwei Striche erfordern, wo einer genügt. Dein nationalökonomischen Ideal
zufolge endlich soll die Schreibung so beschaffen sein, daß möglichst wenig Zeit
und Kraft durch Lesen und Schreiben in Anspruch genommen werde. In
letzterer Beziehung erinnert der Verfasser daran, daß schon Wolke 1812 darauf
aufmerksam gemacht hat, daß die deutsche Nation jedes Jahr zehntausend


stellen: beginne el auf der ersten und endige es ans der zweiten Oberstelle." —
„En und an sind durch Umlantung aus an, und en auch mit aus in ent-
standen: Haut, Häute, Heu (gothisch hawi) hauen, Leute (althochdeutsch Liuti).
Maßgebend für uns kann nur noch die Umlantung sein, und da der Amiant
entweder el oder ol klingt, so haben wir zwischen beiden zu Wahlen. Nun ent¬
spricht, wenn wir uns a und u als umgelautet denken, el dem on (an, ä — e,
n — i), ol oder si dem on (on, ü — i, also ol), und da der Laut an (el) die
Majorität für sich hat, so müßten wir folgerichtig el als normal annehmen.
Allein die Sprache hat ol und el logisch verwerthet: Eier, euer, Scheine,
Scheune, Eiter, Euter, freien, freuen, zeigen, zeugen, und sie würde als Be¬
griffsorgan durch Aufgeben des ol unvollkommner. Wir müssen uns also für
die Regel entscheiden: beginne en (an) auf der zweiten Mittelstelle und endige
es auf der zweiten Oberstelle."

Die Möglichkeit einer zweckmäßigen Reform der jetzt üblichen Schreibung,
so fährt der Verfasser fort, ergibt sich aus der Betrachtung des deutschen
Lautsystems, welches, mit andern Sprachen verglichen, kaum nennenswerthe
Schwierigkeiten bietet, und ans dem Umstände, daß in unsrer Rechtschreibung
von jeher das phonetische Prinzip gewaltet und eine Schreibung zur Gewohn¬
heit gemacht hat, die keine Revolution, sondern nur eine Reform verlangt, um
dem Ideal nahe zu kommen. Dieses hat drei Seiten, eine wissenschaftliche,
eine pädagogische und eine nationalökonomische. Das wissenschaftliche Ideal
verlangt, daß die Schreibung den grammatischen Verhältnissen der Rede Rech¬
nung trage, daß sie vollständig sei, indem sie die Elemente des Wortes, den
Laut (für jeden Laut ein Zeichen), die Quantität (für Länge und Kürze die
nöthigen Zeichen), den Accent, den Ton (Zeichen für Höhe und Tiefes, das
Wort selbst, die Bildung desselben und die Biegung darstellt, ferner, daß sie
organisch sei, d. h. daß nichts sich widerspreche, daß jedes Element zu seinem
Elemente und zum Ganzen passe, endlich daß die Schreibung die logischen
Verhältnisse berücksichtige, daß kein Zeichen ohne Begriff und kein Begriff ohne
Zeichen sei. Nach dem pädagogischen Ideal muß die Schreibung den Bedürf¬
nissen des Lesenden und des Schreibenden beim Lernen genügen, d. h. sie muß
in Betreff des Lesens einem allgemeinen Gesetze folgen, aus welchem das Ein¬
zelne von selbst hervorgeht, und für keinen Laut zwei Zeichen geben, sie muß
sodann bequem sein, d. h. in leicht ausführbaren Zeichen bestehen und nicht
zwei Striche erfordern, wo einer genügt. Dein nationalökonomischen Ideal
zufolge endlich soll die Schreibung so beschaffen sein, daß möglichst wenig Zeit
und Kraft durch Lesen und Schreiben in Anspruch genommen werde. In
letzterer Beziehung erinnert der Verfasser daran, daß schon Wolke 1812 darauf
aufmerksam gemacht hat, daß die deutsche Nation jedes Jahr zehntausend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/290>, abgerufen am 22.07.2024.