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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Ausgetilgtsem im absolute" Nichts sichert, aus welchem er in keiner Gestalt
und auf keinerlei Weise wieder in den verhaßten Kreis der Existenzen hinein¬
geboren werden kann. Das blinde Verhängniß, welches alle Dinge in der
Welt beherrscht, hat keine Gewalt mehr über ihn.

Das blinde Verhängniß, sagen wir; denn, wie bemerkt, der ganze Buddhis¬
mus zeigt keine Spur von einer Idee Gottes. Der Mensch ist auf sich allein
angewiesen. In diese Welt geworfen, die er nicht begreift, ohne Vorsehung,
mit Gebrechen aller Art behaftet, hat er nur eine einzige Aufgabe: dem Leiden
Zu entgehen, welches er erduldet. Indem er sich nicht über das hinaus begibt,
was ihm die Sinne bezeugen, und indem er sich ungefähr ebenso übel ein¬
gerichtet weiß, als die Erscheinungen, vor denen er sein elendes Dasein hin¬
schleppt, findet er nicht den mindesten Grund, nach der Quelle zu forschen, aus
welcher er und die Welt hervorgegangen ist. Aus dem Nichts entsprossen, geht
er selbstverständlich darin wieder auf.

In seiner älteren Gestalt bestand der Buddhismus nur aus einer Ethik
und einer Metaphysik. Er war damals mehr ein philosophisches System als
eine Religion, trotz der Bemühungen der beiden ersten Konzilien, ihn zu einer
solchen umzumodeln. In der späteren Zeit aber hat er sich eine Art Mytho¬
logie geschaffen, die jedoch ganz gegen sein Wesen ist und im letzten Grunde
nichts mit dem Mythenschatze andrer Religionen gemein hat. Alle Kosten der
Kosmogonie und Theogonie der Sekte werden von der durch wechselseitige Ver¬
kettung der Ursachen sich vollziehenden Seelenwanderung getragen. Die Seelen¬
wanderung ist zugleich Ursache und Wirkung. Sie ist's, welche jedes Ding
und jedes Wesen durch die Wirkung einer Ursache entstehen läßt, die unter der
Herrschaft einer früheren Ursache steht, welche ihrerseits sich wieder als Wirkung
wie andern Wesen verkettet, und so weiter von der todten Materie bis hinauf
zu den Göttern, die der spätere Buddhismus sich ergrübelte. Der Buddha
hatte gesagt: "Das All existirt durch die Werke derer, die es bewohnen".
Gleichwohl mußte man, damit die metaphysische Spekulation in der Lehre von
der Beschaulichkeit, welche drei streng geschiedene Regionen, die der Begierde,
die der Formen und die des Wegfalls aller Formen, aufstellte, dem Buddhis¬
mus ein mythologisches System liefern, es mit Hülfe dessen entwickeln, was die
bramanische Mythologie an die Hand gab.

Der Brama des Buddhismus in seiner mythologischen Phase nennt sich
Adibuddha, der ursprüngliche, durch sich felbst existirende, endlose, allwissende
Buddha "auf dem Gipfel der Existenz". Gleichwohl heißt er auch Swabhawa,
"die Natur". Dann wieder wohnt dieses absolute Wesen, aus dem alles
Existirende hervorgeht, in der "Sphäre der Leere und Wüste", es ist also selbst
das Nichts und die Täuschung. Der Adibuddha bringt nun dadurch, daß er


Grenzboten N. 1877. 24

Ausgetilgtsem im absolute» Nichts sichert, aus welchem er in keiner Gestalt
und auf keinerlei Weise wieder in den verhaßten Kreis der Existenzen hinein¬
geboren werden kann. Das blinde Verhängniß, welches alle Dinge in der
Welt beherrscht, hat keine Gewalt mehr über ihn.

Das blinde Verhängniß, sagen wir; denn, wie bemerkt, der ganze Buddhis¬
mus zeigt keine Spur von einer Idee Gottes. Der Mensch ist auf sich allein
angewiesen. In diese Welt geworfen, die er nicht begreift, ohne Vorsehung,
mit Gebrechen aller Art behaftet, hat er nur eine einzige Aufgabe: dem Leiden
Zu entgehen, welches er erduldet. Indem er sich nicht über das hinaus begibt,
was ihm die Sinne bezeugen, und indem er sich ungefähr ebenso übel ein¬
gerichtet weiß, als die Erscheinungen, vor denen er sein elendes Dasein hin¬
schleppt, findet er nicht den mindesten Grund, nach der Quelle zu forschen, aus
welcher er und die Welt hervorgegangen ist. Aus dem Nichts entsprossen, geht
er selbstverständlich darin wieder auf.

In seiner älteren Gestalt bestand der Buddhismus nur aus einer Ethik
und einer Metaphysik. Er war damals mehr ein philosophisches System als
eine Religion, trotz der Bemühungen der beiden ersten Konzilien, ihn zu einer
solchen umzumodeln. In der späteren Zeit aber hat er sich eine Art Mytho¬
logie geschaffen, die jedoch ganz gegen sein Wesen ist und im letzten Grunde
nichts mit dem Mythenschatze andrer Religionen gemein hat. Alle Kosten der
Kosmogonie und Theogonie der Sekte werden von der durch wechselseitige Ver¬
kettung der Ursachen sich vollziehenden Seelenwanderung getragen. Die Seelen¬
wanderung ist zugleich Ursache und Wirkung. Sie ist's, welche jedes Ding
und jedes Wesen durch die Wirkung einer Ursache entstehen läßt, die unter der
Herrschaft einer früheren Ursache steht, welche ihrerseits sich wieder als Wirkung
wie andern Wesen verkettet, und so weiter von der todten Materie bis hinauf
zu den Göttern, die der spätere Buddhismus sich ergrübelte. Der Buddha
hatte gesagt: „Das All existirt durch die Werke derer, die es bewohnen".
Gleichwohl mußte man, damit die metaphysische Spekulation in der Lehre von
der Beschaulichkeit, welche drei streng geschiedene Regionen, die der Begierde,
die der Formen und die des Wegfalls aller Formen, aufstellte, dem Buddhis¬
mus ein mythologisches System liefern, es mit Hülfe dessen entwickeln, was die
bramanische Mythologie an die Hand gab.

Der Brama des Buddhismus in seiner mythologischen Phase nennt sich
Adibuddha, der ursprüngliche, durch sich felbst existirende, endlose, allwissende
Buddha „auf dem Gipfel der Existenz". Gleichwohl heißt er auch Swabhawa,
»die Natur". Dann wieder wohnt dieses absolute Wesen, aus dem alles
Existirende hervorgeht, in der „Sphäre der Leere und Wüste", es ist also selbst
das Nichts und die Täuschung. Der Adibuddha bringt nun dadurch, daß er


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[0189] Ausgetilgtsem im absolute» Nichts sichert, aus welchem er in keiner Gestalt und auf keinerlei Weise wieder in den verhaßten Kreis der Existenzen hinein¬ geboren werden kann. Das blinde Verhängniß, welches alle Dinge in der Welt beherrscht, hat keine Gewalt mehr über ihn. Das blinde Verhängniß, sagen wir; denn, wie bemerkt, der ganze Buddhis¬ mus zeigt keine Spur von einer Idee Gottes. Der Mensch ist auf sich allein angewiesen. In diese Welt geworfen, die er nicht begreift, ohne Vorsehung, mit Gebrechen aller Art behaftet, hat er nur eine einzige Aufgabe: dem Leiden Zu entgehen, welches er erduldet. Indem er sich nicht über das hinaus begibt, was ihm die Sinne bezeugen, und indem er sich ungefähr ebenso übel ein¬ gerichtet weiß, als die Erscheinungen, vor denen er sein elendes Dasein hin¬ schleppt, findet er nicht den mindesten Grund, nach der Quelle zu forschen, aus welcher er und die Welt hervorgegangen ist. Aus dem Nichts entsprossen, geht er selbstverständlich darin wieder auf. In seiner älteren Gestalt bestand der Buddhismus nur aus einer Ethik und einer Metaphysik. Er war damals mehr ein philosophisches System als eine Religion, trotz der Bemühungen der beiden ersten Konzilien, ihn zu einer solchen umzumodeln. In der späteren Zeit aber hat er sich eine Art Mytho¬ logie geschaffen, die jedoch ganz gegen sein Wesen ist und im letzten Grunde nichts mit dem Mythenschatze andrer Religionen gemein hat. Alle Kosten der Kosmogonie und Theogonie der Sekte werden von der durch wechselseitige Ver¬ kettung der Ursachen sich vollziehenden Seelenwanderung getragen. Die Seelen¬ wanderung ist zugleich Ursache und Wirkung. Sie ist's, welche jedes Ding und jedes Wesen durch die Wirkung einer Ursache entstehen läßt, die unter der Herrschaft einer früheren Ursache steht, welche ihrerseits sich wieder als Wirkung wie andern Wesen verkettet, und so weiter von der todten Materie bis hinauf zu den Göttern, die der spätere Buddhismus sich ergrübelte. Der Buddha hatte gesagt: „Das All existirt durch die Werke derer, die es bewohnen". Gleichwohl mußte man, damit die metaphysische Spekulation in der Lehre von der Beschaulichkeit, welche drei streng geschiedene Regionen, die der Begierde, die der Formen und die des Wegfalls aller Formen, aufstellte, dem Buddhis¬ mus ein mythologisches System liefern, es mit Hülfe dessen entwickeln, was die bramanische Mythologie an die Hand gab. Der Brama des Buddhismus in seiner mythologischen Phase nennt sich Adibuddha, der ursprüngliche, durch sich felbst existirende, endlose, allwissende Buddha „auf dem Gipfel der Existenz". Gleichwohl heißt er auch Swabhawa, »die Natur". Dann wieder wohnt dieses absolute Wesen, aus dem alles Existirende hervorgeht, in der „Sphäre der Leere und Wüste", es ist also selbst das Nichts und die Täuschung. Der Adibuddha bringt nun dadurch, daß er Grenzboten N. 1877. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/189>, abgerufen am 03.07.2024.