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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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gegenständen und Parfümerien, den Besitz eines großen Bettes und die An¬
nahme von Gold oder Silber untersagen. Das geistliche Leben strebt auf ein
Ideal zu, welches nur der Buddha ganz erreicht hat. Aber Alle können
wenigstens gewisse Tugenden üben, unter denen unbegrenzte opferwillige Barm¬
herzigkeit gegen alle Geschöpfe obenan steht. Eine andere Tugend, welche der
Buddha mit stets gleichem Eifer predigte, ist die Demuth, und offenbar im
Hinblick auf diese hat er das Institut der Beichte eingeführt, bei welcher alle
vierzehn Tage, bei Neu- und bei Vollmond, die Geistlichen vor ihm und der
versammelten Gemeinde mit lauter Stimme ihre Sünden zu bekennen hatten.
Nur durch Reue und Scham vor sich selbst und Andern konnte man diese los¬
werden, und das erkannten selbst mächtige Könige an, indem sie sich zu dieser
Beichte herbeiließen.

Der Buddhismus hat die bramanische Seelenwanderungslehre übrigens
nicht beseitigt, sondern nur eingeschränkt. Auch nach seiner Anschauung hat
der Mensch vor seiner Geburt eine Anzahl von Existenzen durchlebt, und wenn
er sich nicht ernstlich bemüht, läuft er Gefahr, noch viel mehr durchmachen zu
müssen. Er muß daher beständig darauf bedacht sein, sich dem verhängniß-
vollen Gesetze zu entziehen, welches die Geburt ihm auferlegt. Der Buddha
theilt die allen indischen Religionen und Schulen gemeinsame Ansicht, daß das
Leben eine Kette von Leiden ist, und daß das Heil darin besteht, daß man
nie wieder in diese Kette tritt. Nur darin ist er originell, daß er ein neues
Mittel weiß, sich aus jener Leidenskette los zu machen. Auch im Buddhismus
gibt es eine Menge von Zuständen und Formen, welche die Seele durch¬
wandern kann, und welche die Folgen von dem ihnen jedesmal unmittelbar
vorausgehenden Vorleben sind. Aber wie diese lange Reihe von Prüfungszu-
ständen begonnen hat, und warum ihr der Mensch überhaupt unterworfen ist,
hat seltsamer Weise weder Ssakjumini noch einer der Kirchenväter der Bud¬
dhisten sich gefragt. Der Buddha hat überhaupt niemals versucht, die Dinge
dieser Welt durch Zurückgehen in das Dunkel ihres Ursprungs zu erklären.
Er hat ihre Erklärung in der "durch wechselseitige Ursachen verbundenen Pro¬
duktion" zu finden geglaubt, welche die Grundlage seiner Lehre ausmacht.
Jene Ursachen sind derartig mit einander verbunden, daß jede Ursache Wirkung
und jede Wirkung Ursache ist, und es gibt deren zwölf. Zuerst ist das Nicht¬
wissen oder Nichtsein da, aus dem die Ideen hervorgehen; diese erzengen das
Bewußtsein, welches den Namen oder die Form hervorbringt, durch welche die
Gegenstände erfaßbar werden und die fünf äußeren nebst dem sechsten, inneren,
Sinne entstehen. Diese bewirken ihrerseits das Zusammentreffen, welches die
Empfindung erzeugt, aus der wieder die Begierde hervorgeht. Dieser entspringt
dann die Verbindung, dieser wieder das Dasein und diesem die Geburt, die


gegenständen und Parfümerien, den Besitz eines großen Bettes und die An¬
nahme von Gold oder Silber untersagen. Das geistliche Leben strebt auf ein
Ideal zu, welches nur der Buddha ganz erreicht hat. Aber Alle können
wenigstens gewisse Tugenden üben, unter denen unbegrenzte opferwillige Barm¬
herzigkeit gegen alle Geschöpfe obenan steht. Eine andere Tugend, welche der
Buddha mit stets gleichem Eifer predigte, ist die Demuth, und offenbar im
Hinblick auf diese hat er das Institut der Beichte eingeführt, bei welcher alle
vierzehn Tage, bei Neu- und bei Vollmond, die Geistlichen vor ihm und der
versammelten Gemeinde mit lauter Stimme ihre Sünden zu bekennen hatten.
Nur durch Reue und Scham vor sich selbst und Andern konnte man diese los¬
werden, und das erkannten selbst mächtige Könige an, indem sie sich zu dieser
Beichte herbeiließen.

Der Buddhismus hat die bramanische Seelenwanderungslehre übrigens
nicht beseitigt, sondern nur eingeschränkt. Auch nach seiner Anschauung hat
der Mensch vor seiner Geburt eine Anzahl von Existenzen durchlebt, und wenn
er sich nicht ernstlich bemüht, läuft er Gefahr, noch viel mehr durchmachen zu
müssen. Er muß daher beständig darauf bedacht sein, sich dem verhängniß-
vollen Gesetze zu entziehen, welches die Geburt ihm auferlegt. Der Buddha
theilt die allen indischen Religionen und Schulen gemeinsame Ansicht, daß das
Leben eine Kette von Leiden ist, und daß das Heil darin besteht, daß man
nie wieder in diese Kette tritt. Nur darin ist er originell, daß er ein neues
Mittel weiß, sich aus jener Leidenskette los zu machen. Auch im Buddhismus
gibt es eine Menge von Zuständen und Formen, welche die Seele durch¬
wandern kann, und welche die Folgen von dem ihnen jedesmal unmittelbar
vorausgehenden Vorleben sind. Aber wie diese lange Reihe von Prüfungszu-
ständen begonnen hat, und warum ihr der Mensch überhaupt unterworfen ist,
hat seltsamer Weise weder Ssakjumini noch einer der Kirchenväter der Bud¬
dhisten sich gefragt. Der Buddha hat überhaupt niemals versucht, die Dinge
dieser Welt durch Zurückgehen in das Dunkel ihres Ursprungs zu erklären.
Er hat ihre Erklärung in der „durch wechselseitige Ursachen verbundenen Pro¬
duktion" zu finden geglaubt, welche die Grundlage seiner Lehre ausmacht.
Jene Ursachen sind derartig mit einander verbunden, daß jede Ursache Wirkung
und jede Wirkung Ursache ist, und es gibt deren zwölf. Zuerst ist das Nicht¬
wissen oder Nichtsein da, aus dem die Ideen hervorgehen; diese erzengen das
Bewußtsein, welches den Namen oder die Form hervorbringt, durch welche die
Gegenstände erfaßbar werden und die fünf äußeren nebst dem sechsten, inneren,
Sinne entstehen. Diese bewirken ihrerseits das Zusammentreffen, welches die
Empfindung erzeugt, aus der wieder die Begierde hervorgeht. Dieser entspringt
dann die Verbindung, dieser wieder das Dasein und diesem die Geburt, die


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[0187] gegenständen und Parfümerien, den Besitz eines großen Bettes und die An¬ nahme von Gold oder Silber untersagen. Das geistliche Leben strebt auf ein Ideal zu, welches nur der Buddha ganz erreicht hat. Aber Alle können wenigstens gewisse Tugenden üben, unter denen unbegrenzte opferwillige Barm¬ herzigkeit gegen alle Geschöpfe obenan steht. Eine andere Tugend, welche der Buddha mit stets gleichem Eifer predigte, ist die Demuth, und offenbar im Hinblick auf diese hat er das Institut der Beichte eingeführt, bei welcher alle vierzehn Tage, bei Neu- und bei Vollmond, die Geistlichen vor ihm und der versammelten Gemeinde mit lauter Stimme ihre Sünden zu bekennen hatten. Nur durch Reue und Scham vor sich selbst und Andern konnte man diese los¬ werden, und das erkannten selbst mächtige Könige an, indem sie sich zu dieser Beichte herbeiließen. Der Buddhismus hat die bramanische Seelenwanderungslehre übrigens nicht beseitigt, sondern nur eingeschränkt. Auch nach seiner Anschauung hat der Mensch vor seiner Geburt eine Anzahl von Existenzen durchlebt, und wenn er sich nicht ernstlich bemüht, läuft er Gefahr, noch viel mehr durchmachen zu müssen. Er muß daher beständig darauf bedacht sein, sich dem verhängniß- vollen Gesetze zu entziehen, welches die Geburt ihm auferlegt. Der Buddha theilt die allen indischen Religionen und Schulen gemeinsame Ansicht, daß das Leben eine Kette von Leiden ist, und daß das Heil darin besteht, daß man nie wieder in diese Kette tritt. Nur darin ist er originell, daß er ein neues Mittel weiß, sich aus jener Leidenskette los zu machen. Auch im Buddhismus gibt es eine Menge von Zuständen und Formen, welche die Seele durch¬ wandern kann, und welche die Folgen von dem ihnen jedesmal unmittelbar vorausgehenden Vorleben sind. Aber wie diese lange Reihe von Prüfungszu- ständen begonnen hat, und warum ihr der Mensch überhaupt unterworfen ist, hat seltsamer Weise weder Ssakjumini noch einer der Kirchenväter der Bud¬ dhisten sich gefragt. Der Buddha hat überhaupt niemals versucht, die Dinge dieser Welt durch Zurückgehen in das Dunkel ihres Ursprungs zu erklären. Er hat ihre Erklärung in der „durch wechselseitige Ursachen verbundenen Pro¬ duktion" zu finden geglaubt, welche die Grundlage seiner Lehre ausmacht. Jene Ursachen sind derartig mit einander verbunden, daß jede Ursache Wirkung und jede Wirkung Ursache ist, und es gibt deren zwölf. Zuerst ist das Nicht¬ wissen oder Nichtsein da, aus dem die Ideen hervorgehen; diese erzengen das Bewußtsein, welches den Namen oder die Form hervorbringt, durch welche die Gegenstände erfaßbar werden und die fünf äußeren nebst dem sechsten, inneren, Sinne entstehen. Diese bewirken ihrerseits das Zusammentreffen, welches die Empfindung erzeugt, aus der wieder die Begierde hervorgeht. Dieser entspringt dann die Verbindung, dieser wieder das Dasein und diesem die Geburt, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/187>, abgerufen am 28.09.2024.