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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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auf ihre Geburt und bedenken nicht, daß die Früchte desselben Baumes des¬
selben Ursprungs sind. Der Weg zum Heile steht Allen offen, die Geburt
verdammt kein Wesen zur Unwissenheit und zum Unglück. Niemand kann
jenen Weg verschließen, als der Dämon der Sünde. Fliehet ihn oder vielmehr
bekämpfet ihn, indem ihr unablässig den Kriegsruf gegen eure Leidenschaften
ausstoßt. Vernichtet eure Leidenschaften, wie ein Elephant eine Schilfhütte
umstößt. Der täuscht sich, welcher seinen Leidenschaften entfliehen zu können
meint, indem er sich in einen Zufluchtsort in den einsamen Bergen setzt; die
beste Zuflucht vor dem Bösen ist die gesunde Wirklichkeit." Das waren Lehren
einer beifallswürdigen Moral, aber andrerseits hat Ssakjamnni auch den
Grund zu der trostlosen Metaphysik gelegt, an welcher der Buddhismus leidet.

Die Moral der Sekte geht von den "vier erhabenen Wahrheiten" (Arjani
Satjani) ans. Die erste ist das Vorhandensein des Schmerzes, von dem jeder
Mensch Physisch oder moralisch betroffen wird. Die zweite ist, daß der Schmerz
nur in der Begehrlichkeit und der Leidenschaft seine Ursache hat, die dritte,
daß er im Nirwana aufhören kann, die vierte endlich, daß es einen sichern
Weg, eine ursprüngliche Methode gibt, zum Nirwana, der absoluten Schmerz-
losigkeit, zu gelangen. Der Weg (Marga) zum Nirwana hat acht Theile oder
Bedingungen, welche der Mensch erfüllen muß, wenn er ewig erlöst sein will.
Die erste Bedingung ist der rechte Blick oder Glaube, die zweite das rechte
Urtheil, welches alle Ungewißheit zerstreut, die dritte die rechte Sprache, d. h.
vollkommene Wahrhaftigkeit, welche jede Lüge verabscheut. Viertens ist erfor¬
derlich, daß man sich in allem, was man thut, einen rechten Zweck setzt, der
das Verhalten regelt, fünftens, daß man seinen Unterhalt nur in einem nicht
mit Sünde befleckten Berufe, d. h. im geistlichen Berufe sucht, Sechstens, daß
man sein Augenmerk auf alle Vorschriften des Gesetzes richtet. Die siebente
Heilsbedingung ist ferner das rechte Gedächtniß, welches die Erinnerung an
vergangene Handlungen vor Dunkelheit und Irrthum bewahrt, die letzte endlich
ist die rechte Beschaulichkeit, die den Geist in eine dem Nirwana nahe
Ruhe führt.

Das sind die Wahrheiten, welche Ssakjamnni nach sechsjähriger Betrach¬
tung und Askese unter dem Baume Bodhidruma bei Uruwilwa erkannte, und
die er zu Anfang lehrte. Weil er sie begriffen, ist er Buddha geworden,, sie
sind die obersten Sätze seiner Moral. Unter ihnen stehen eine Anzahl ein¬
facher Lebensregeln und zwar zunächst die fünf Gebote: Dn sollst nicht tödten,
Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht ehebrechen, Dn sollst nicht lügen und
Du sollst dich nicht berauschen, und unter diesen wieder fünf andere, welche
nur von den Geistlichen zu beobachte" sind und das Essen außer der Zeit,
den Besuch von Tanzvergnügungen und Theatern, den Gebrauch von Schmuck-


auf ihre Geburt und bedenken nicht, daß die Früchte desselben Baumes des¬
selben Ursprungs sind. Der Weg zum Heile steht Allen offen, die Geburt
verdammt kein Wesen zur Unwissenheit und zum Unglück. Niemand kann
jenen Weg verschließen, als der Dämon der Sünde. Fliehet ihn oder vielmehr
bekämpfet ihn, indem ihr unablässig den Kriegsruf gegen eure Leidenschaften
ausstoßt. Vernichtet eure Leidenschaften, wie ein Elephant eine Schilfhütte
umstößt. Der täuscht sich, welcher seinen Leidenschaften entfliehen zu können
meint, indem er sich in einen Zufluchtsort in den einsamen Bergen setzt; die
beste Zuflucht vor dem Bösen ist die gesunde Wirklichkeit." Das waren Lehren
einer beifallswürdigen Moral, aber andrerseits hat Ssakjamnni auch den
Grund zu der trostlosen Metaphysik gelegt, an welcher der Buddhismus leidet.

Die Moral der Sekte geht von den „vier erhabenen Wahrheiten" (Arjani
Satjani) ans. Die erste ist das Vorhandensein des Schmerzes, von dem jeder
Mensch Physisch oder moralisch betroffen wird. Die zweite ist, daß der Schmerz
nur in der Begehrlichkeit und der Leidenschaft seine Ursache hat, die dritte,
daß er im Nirwana aufhören kann, die vierte endlich, daß es einen sichern
Weg, eine ursprüngliche Methode gibt, zum Nirwana, der absoluten Schmerz-
losigkeit, zu gelangen. Der Weg (Marga) zum Nirwana hat acht Theile oder
Bedingungen, welche der Mensch erfüllen muß, wenn er ewig erlöst sein will.
Die erste Bedingung ist der rechte Blick oder Glaube, die zweite das rechte
Urtheil, welches alle Ungewißheit zerstreut, die dritte die rechte Sprache, d. h.
vollkommene Wahrhaftigkeit, welche jede Lüge verabscheut. Viertens ist erfor¬
derlich, daß man sich in allem, was man thut, einen rechten Zweck setzt, der
das Verhalten regelt, fünftens, daß man seinen Unterhalt nur in einem nicht
mit Sünde befleckten Berufe, d. h. im geistlichen Berufe sucht, Sechstens, daß
man sein Augenmerk auf alle Vorschriften des Gesetzes richtet. Die siebente
Heilsbedingung ist ferner das rechte Gedächtniß, welches die Erinnerung an
vergangene Handlungen vor Dunkelheit und Irrthum bewahrt, die letzte endlich
ist die rechte Beschaulichkeit, die den Geist in eine dem Nirwana nahe
Ruhe führt.

Das sind die Wahrheiten, welche Ssakjamnni nach sechsjähriger Betrach¬
tung und Askese unter dem Baume Bodhidruma bei Uruwilwa erkannte, und
die er zu Anfang lehrte. Weil er sie begriffen, ist er Buddha geworden,, sie
sind die obersten Sätze seiner Moral. Unter ihnen stehen eine Anzahl ein¬
facher Lebensregeln und zwar zunächst die fünf Gebote: Dn sollst nicht tödten,
Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht ehebrechen, Dn sollst nicht lügen und
Du sollst dich nicht berauschen, und unter diesen wieder fünf andere, welche
nur von den Geistlichen zu beobachte» sind und das Essen außer der Zeit,
den Besuch von Tanzvergnügungen und Theatern, den Gebrauch von Schmuck-


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[0186] auf ihre Geburt und bedenken nicht, daß die Früchte desselben Baumes des¬ selben Ursprungs sind. Der Weg zum Heile steht Allen offen, die Geburt verdammt kein Wesen zur Unwissenheit und zum Unglück. Niemand kann jenen Weg verschließen, als der Dämon der Sünde. Fliehet ihn oder vielmehr bekämpfet ihn, indem ihr unablässig den Kriegsruf gegen eure Leidenschaften ausstoßt. Vernichtet eure Leidenschaften, wie ein Elephant eine Schilfhütte umstößt. Der täuscht sich, welcher seinen Leidenschaften entfliehen zu können meint, indem er sich in einen Zufluchtsort in den einsamen Bergen setzt; die beste Zuflucht vor dem Bösen ist die gesunde Wirklichkeit." Das waren Lehren einer beifallswürdigen Moral, aber andrerseits hat Ssakjamnni auch den Grund zu der trostlosen Metaphysik gelegt, an welcher der Buddhismus leidet. Die Moral der Sekte geht von den „vier erhabenen Wahrheiten" (Arjani Satjani) ans. Die erste ist das Vorhandensein des Schmerzes, von dem jeder Mensch Physisch oder moralisch betroffen wird. Die zweite ist, daß der Schmerz nur in der Begehrlichkeit und der Leidenschaft seine Ursache hat, die dritte, daß er im Nirwana aufhören kann, die vierte endlich, daß es einen sichern Weg, eine ursprüngliche Methode gibt, zum Nirwana, der absoluten Schmerz- losigkeit, zu gelangen. Der Weg (Marga) zum Nirwana hat acht Theile oder Bedingungen, welche der Mensch erfüllen muß, wenn er ewig erlöst sein will. Die erste Bedingung ist der rechte Blick oder Glaube, die zweite das rechte Urtheil, welches alle Ungewißheit zerstreut, die dritte die rechte Sprache, d. h. vollkommene Wahrhaftigkeit, welche jede Lüge verabscheut. Viertens ist erfor¬ derlich, daß man sich in allem, was man thut, einen rechten Zweck setzt, der das Verhalten regelt, fünftens, daß man seinen Unterhalt nur in einem nicht mit Sünde befleckten Berufe, d. h. im geistlichen Berufe sucht, Sechstens, daß man sein Augenmerk auf alle Vorschriften des Gesetzes richtet. Die siebente Heilsbedingung ist ferner das rechte Gedächtniß, welches die Erinnerung an vergangene Handlungen vor Dunkelheit und Irrthum bewahrt, die letzte endlich ist die rechte Beschaulichkeit, die den Geist in eine dem Nirwana nahe Ruhe führt. Das sind die Wahrheiten, welche Ssakjamnni nach sechsjähriger Betrach¬ tung und Askese unter dem Baume Bodhidruma bei Uruwilwa erkannte, und die er zu Anfang lehrte. Weil er sie begriffen, ist er Buddha geworden,, sie sind die obersten Sätze seiner Moral. Unter ihnen stehen eine Anzahl ein¬ facher Lebensregeln und zwar zunächst die fünf Gebote: Dn sollst nicht tödten, Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht ehebrechen, Dn sollst nicht lügen und Du sollst dich nicht berauschen, und unter diesen wieder fünf andere, welche nur von den Geistlichen zu beobachte» sind und das Essen außer der Zeit, den Besuch von Tanzvergnügungen und Theatern, den Gebrauch von Schmuck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/186>, abgerufen am 26.06.2024.