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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Jahres 1803 brachte den Schleswig-Hvlsteinschen Streit. Unter der Wirkung
des preußischen Verfassungskonfliktes nahm derselbe alsbald eine verhängniß-
volle Wendung, indem er den weitaus größten Theil der Nationalgesinnten,
denen der Einblick in Bismarcks große Pläne uicht offen stand, zu Gegnern
Preußens machte. Der badische Gesandte am Bundestag führte im Auftrag
des Herzogs von Augustenburg die holsteinische Stimme. Roggenbach, dadurch
sehr gegen seine Absicht von vornherein in eine schiefe Stellung zu Preußen
gerathen, legte, als er die Ziele der Bismarckschen Politik ahnend, unmöglich
auf Seite der Gegner Preußens stehen konnte, sein Amt nieder (19. Oktober
1865). Er wurde durch Freiherrn v. Edelsheim ersetzt. Dieser, Adept des
Herrn v. Beust, wie v. Treitschke ihn treffend nennt, steuerte entgegen den in¬
nersten Intentionen des Fürsten, aber, zum tiefsten Kummer desselben, ge¬
meinschaftlich mit dem gesammten Ministerium, den einzigen Mathy aus¬
genommen, mit vollen Segeln in das österreichische Fahrwasser. Die Forderung
der Neutralität in dem ausbrechenden preußisch-österreichischen Krieg, welche
namentlich von Mathy, Bluntschli, Jolly energisch geltend gemacht wurde, ver¬
mochte nicht durchzudringen. Die Politik der sittlichen Entrüstung ob des
preußischen Frevels an dem bereits seit Jahrzehnten zum Spott Europas ge¬
wordenen Bundestag gewann die Oberhand, der Großherzog wurde in das
Lager der Feinde Deutschlands gedrängt. Mathy schied aus dem Rath der
Krone (30. Juni 1866). Die rasche Wendung der Dinge ist bekannt. Sie
gab dem Großherzog die Freiheit der Entschließung zurück. Am 28. Juli trat
Mathy als Staatsminister an die Spitze der Geschäfte und bildete mit Frey-
dvrf (Justiz) und Jolly (Inneres) ein homogenes nationales und liberales
Ministerium. Freudig trat Baden in das geheime Schutz- und Trutzbündniß
zwischen Preußen und den Südstaaten ein. Die Thronrede vom 5. September
1867 verkündete dem Landtag den "festen Entschluß" des Fürsten, der nationalen
Einigung mit dem norddeutschen Bund "unausgesetzt" nachzustreben und gerne
die Opfer zu bringen, welche mit dem Eintritt in dieselbe unzertrennlich seien.
Die Durchführung der Militärreorganisation nach preußischem Muster, die Auf¬
hebung des badischen Kadetteninstituts und Aufnahme der badischen Kadetten
in die preußischen Militüranstalten (1868), die Schaffung der militärischen Frei¬
zügigkeit zwischen Baden und dem norddeutschen Bund (1869), diese und ähn¬
liche Maßnahmen bekundeten ebenso den festen Willen des Großherzogs, das
nationale Werk zu fördern, als auch die energische Führung des Staatsruders
durch den nach Mathys Tode (12. Februar 1868) an die Spitze der Geschäfte
getretenen Staatsminister Jolly. Die aus Gründen europäischer Politik zweimal
erfolgte Abweisung des Antrages auf Eintritt Badens in den norddeutschen
Bund konnte weder den Fürsten noch seine Rathgeber beirren. "Und wir thun


Jahres 1803 brachte den Schleswig-Hvlsteinschen Streit. Unter der Wirkung
des preußischen Verfassungskonfliktes nahm derselbe alsbald eine verhängniß-
volle Wendung, indem er den weitaus größten Theil der Nationalgesinnten,
denen der Einblick in Bismarcks große Pläne uicht offen stand, zu Gegnern
Preußens machte. Der badische Gesandte am Bundestag führte im Auftrag
des Herzogs von Augustenburg die holsteinische Stimme. Roggenbach, dadurch
sehr gegen seine Absicht von vornherein in eine schiefe Stellung zu Preußen
gerathen, legte, als er die Ziele der Bismarckschen Politik ahnend, unmöglich
auf Seite der Gegner Preußens stehen konnte, sein Amt nieder (19. Oktober
1865). Er wurde durch Freiherrn v. Edelsheim ersetzt. Dieser, Adept des
Herrn v. Beust, wie v. Treitschke ihn treffend nennt, steuerte entgegen den in¬
nersten Intentionen des Fürsten, aber, zum tiefsten Kummer desselben, ge¬
meinschaftlich mit dem gesammten Ministerium, den einzigen Mathy aus¬
genommen, mit vollen Segeln in das österreichische Fahrwasser. Die Forderung
der Neutralität in dem ausbrechenden preußisch-österreichischen Krieg, welche
namentlich von Mathy, Bluntschli, Jolly energisch geltend gemacht wurde, ver¬
mochte nicht durchzudringen. Die Politik der sittlichen Entrüstung ob des
preußischen Frevels an dem bereits seit Jahrzehnten zum Spott Europas ge¬
wordenen Bundestag gewann die Oberhand, der Großherzog wurde in das
Lager der Feinde Deutschlands gedrängt. Mathy schied aus dem Rath der
Krone (30. Juni 1866). Die rasche Wendung der Dinge ist bekannt. Sie
gab dem Großherzog die Freiheit der Entschließung zurück. Am 28. Juli trat
Mathy als Staatsminister an die Spitze der Geschäfte und bildete mit Frey-
dvrf (Justiz) und Jolly (Inneres) ein homogenes nationales und liberales
Ministerium. Freudig trat Baden in das geheime Schutz- und Trutzbündniß
zwischen Preußen und den Südstaaten ein. Die Thronrede vom 5. September
1867 verkündete dem Landtag den „festen Entschluß" des Fürsten, der nationalen
Einigung mit dem norddeutschen Bund „unausgesetzt" nachzustreben und gerne
die Opfer zu bringen, welche mit dem Eintritt in dieselbe unzertrennlich seien.
Die Durchführung der Militärreorganisation nach preußischem Muster, die Auf¬
hebung des badischen Kadetteninstituts und Aufnahme der badischen Kadetten
in die preußischen Militüranstalten (1868), die Schaffung der militärischen Frei¬
zügigkeit zwischen Baden und dem norddeutschen Bund (1869), diese und ähn¬
liche Maßnahmen bekundeten ebenso den festen Willen des Großherzogs, das
nationale Werk zu fördern, als auch die energische Führung des Staatsruders
durch den nach Mathys Tode (12. Februar 1868) an die Spitze der Geschäfte
getretenen Staatsminister Jolly. Die aus Gründen europäischer Politik zweimal
erfolgte Abweisung des Antrages auf Eintritt Badens in den norddeutschen
Bund konnte weder den Fürsten noch seine Rathgeber beirren. „Und wir thun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/182>, abgerufen am 26.06.2024.