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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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dem größten Theile der Bevölkerung Süddeutschlands in: Dienste der reaktio¬
nären, deutschfeindlichen Politik Oesterreichs breit machte. Die hier begangenen
Sünden sind groß in Darmstadt wie in Dresden, in Stuttgart wie in Karls¬
ruhe, in München und Hannover. Die neue Aera für Baden kam, und sie brachte
eine entschiedene Zuwendung zu dem nationalen Gedanken, insbesondere nachdem
Freiherr v. Roggenbach an die Spitze des Ministeriums der auswärtigen Angelegen¬
heiten getreten war (1. Mai 1861). Robert v. Mohl ging als badischer Bundestags¬
gesandter nach Frankfurt, und mit vollster Offenheitproklamirteu der Großherzog und
seine Minister vor der zustimmenden Volksvertretung das Programm in der
deutschen Frage. Es ging, kurz gesagt, dahin: Aufrechterhaltung des Partiku¬
larismus auf allen Gebieten der inneren Entwickelung, hinsichtlich der Bezie¬
hungen zum Anstand, straffe Centralisation der rein deutschen Ländergebiete in
einem, von dem zu erhaltenden größeren Verbände umschlossenen engeren Bun-
desstaat unter Preußens Führung. Eingehend entwickelte v. Rvggenbach dieses
Programm gegenüber dem Reformprojekt des in krankhaftem Preußenhaß und
delirirender Großmannssucht^ fieberhaft thätigen Herrn v. Beust (28. Januar
1862): die Neugestaltung müsse über die Schranken des Staatenbundes hin¬
ausgehen, das Vertheidignngswesen, der diplomatische Verkehr müsse mit Aus¬
schließung aller Konkurrenz der Eiuzelstaciten und unter Fernhaltung jeder
konsöderativen Mitwirkung in der höchsten Spitze in die Hand einer einheit¬
lichen, persönlich verantwortlichen Exekutivgewalt gelegt werden*). Mißbilligend
blickten die mittelstaatlichen Fürsten auf den badischen Großherzog, der für
solche Pläne mit der vollen Wärme des hingebendsten Patriotismus eintrat,
bewundernd richteten sich die Augen .des deutschen Volkes nach der kleinen süd¬
deutschen Residenzstadt. Es folgte das Jahr 1863 und mit ihm der Frank¬
furter Fürstentag, dieser mit eben so viel Pomp in Scene gesetzte wie in traurig
kläglichem Ende erstorbene letzte Versuch Oesterreichs, Deutschland den Zwecken
der Habsburger Haus- und Jesuitenpolitik dienstbar zu machen, Preußen zum
Vasallen des Kaiserstaats an der Donau zu degradiren. Preußen, bereits unter
Bismarcks Führung, blieb ferne. Großherzog Friedrich nahm an den Ver¬
handlungen Theil, aber unter der von vornherein ausgesprochenen Wahrung
der Rechte der verfassungsmäßig zur Mitwirkung bei solchem Reformwerk be¬
rufenen Volksvertretung und jede endgültige Mitwirkung ablehnend, so lange
Preußen nicht beigetreten sei. Bei der Schlußabstimmung gab Baden seine
Stimme gegen das Projekt ab unter scharfer Betonung der durch Oesterreichs
Vorschlüge schwer verletzten Idee eines wahren Bundesstaates. Das Ende des



*) Berge, die eingehende Darlegung der gerade in unseren Tagen wieder aufs neue
Mtercsscmtcn Vorschläge bei: Klüpfel, Geschichte der deutschen Einl, eitsbestrc-
bungen 1343-1871. Band I, S> 2S6 f.
Grenzboten U. 1377. 23

dem größten Theile der Bevölkerung Süddeutschlands in: Dienste der reaktio¬
nären, deutschfeindlichen Politik Oesterreichs breit machte. Die hier begangenen
Sünden sind groß in Darmstadt wie in Dresden, in Stuttgart wie in Karls¬
ruhe, in München und Hannover. Die neue Aera für Baden kam, und sie brachte
eine entschiedene Zuwendung zu dem nationalen Gedanken, insbesondere nachdem
Freiherr v. Roggenbach an die Spitze des Ministeriums der auswärtigen Angelegen¬
heiten getreten war (1. Mai 1861). Robert v. Mohl ging als badischer Bundestags¬
gesandter nach Frankfurt, und mit vollster Offenheitproklamirteu der Großherzog und
seine Minister vor der zustimmenden Volksvertretung das Programm in der
deutschen Frage. Es ging, kurz gesagt, dahin: Aufrechterhaltung des Partiku¬
larismus auf allen Gebieten der inneren Entwickelung, hinsichtlich der Bezie¬
hungen zum Anstand, straffe Centralisation der rein deutschen Ländergebiete in
einem, von dem zu erhaltenden größeren Verbände umschlossenen engeren Bun-
desstaat unter Preußens Führung. Eingehend entwickelte v. Rvggenbach dieses
Programm gegenüber dem Reformprojekt des in krankhaftem Preußenhaß und
delirirender Großmannssucht^ fieberhaft thätigen Herrn v. Beust (28. Januar
1862): die Neugestaltung müsse über die Schranken des Staatenbundes hin¬
ausgehen, das Vertheidignngswesen, der diplomatische Verkehr müsse mit Aus¬
schließung aller Konkurrenz der Eiuzelstaciten und unter Fernhaltung jeder
konsöderativen Mitwirkung in der höchsten Spitze in die Hand einer einheit¬
lichen, persönlich verantwortlichen Exekutivgewalt gelegt werden*). Mißbilligend
blickten die mittelstaatlichen Fürsten auf den badischen Großherzog, der für
solche Pläne mit der vollen Wärme des hingebendsten Patriotismus eintrat,
bewundernd richteten sich die Augen .des deutschen Volkes nach der kleinen süd¬
deutschen Residenzstadt. Es folgte das Jahr 1863 und mit ihm der Frank¬
furter Fürstentag, dieser mit eben so viel Pomp in Scene gesetzte wie in traurig
kläglichem Ende erstorbene letzte Versuch Oesterreichs, Deutschland den Zwecken
der Habsburger Haus- und Jesuitenpolitik dienstbar zu machen, Preußen zum
Vasallen des Kaiserstaats an der Donau zu degradiren. Preußen, bereits unter
Bismarcks Führung, blieb ferne. Großherzog Friedrich nahm an den Ver¬
handlungen Theil, aber unter der von vornherein ausgesprochenen Wahrung
der Rechte der verfassungsmäßig zur Mitwirkung bei solchem Reformwerk be¬
rufenen Volksvertretung und jede endgültige Mitwirkung ablehnend, so lange
Preußen nicht beigetreten sei. Bei der Schlußabstimmung gab Baden seine
Stimme gegen das Projekt ab unter scharfer Betonung der durch Oesterreichs
Vorschlüge schwer verletzten Idee eines wahren Bundesstaates. Das Ende des



*) Berge, die eingehende Darlegung der gerade in unseren Tagen wieder aufs neue
Mtercsscmtcn Vorschläge bei: Klüpfel, Geschichte der deutschen Einl, eitsbestrc-
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[0181] dem größten Theile der Bevölkerung Süddeutschlands in: Dienste der reaktio¬ nären, deutschfeindlichen Politik Oesterreichs breit machte. Die hier begangenen Sünden sind groß in Darmstadt wie in Dresden, in Stuttgart wie in Karls¬ ruhe, in München und Hannover. Die neue Aera für Baden kam, und sie brachte eine entschiedene Zuwendung zu dem nationalen Gedanken, insbesondere nachdem Freiherr v. Roggenbach an die Spitze des Ministeriums der auswärtigen Angelegen¬ heiten getreten war (1. Mai 1861). Robert v. Mohl ging als badischer Bundestags¬ gesandter nach Frankfurt, und mit vollster Offenheitproklamirteu der Großherzog und seine Minister vor der zustimmenden Volksvertretung das Programm in der deutschen Frage. Es ging, kurz gesagt, dahin: Aufrechterhaltung des Partiku¬ larismus auf allen Gebieten der inneren Entwickelung, hinsichtlich der Bezie¬ hungen zum Anstand, straffe Centralisation der rein deutschen Ländergebiete in einem, von dem zu erhaltenden größeren Verbände umschlossenen engeren Bun- desstaat unter Preußens Führung. Eingehend entwickelte v. Rvggenbach dieses Programm gegenüber dem Reformprojekt des in krankhaftem Preußenhaß und delirirender Großmannssucht^ fieberhaft thätigen Herrn v. Beust (28. Januar 1862): die Neugestaltung müsse über die Schranken des Staatenbundes hin¬ ausgehen, das Vertheidignngswesen, der diplomatische Verkehr müsse mit Aus¬ schließung aller Konkurrenz der Eiuzelstaciten und unter Fernhaltung jeder konsöderativen Mitwirkung in der höchsten Spitze in die Hand einer einheit¬ lichen, persönlich verantwortlichen Exekutivgewalt gelegt werden*). Mißbilligend blickten die mittelstaatlichen Fürsten auf den badischen Großherzog, der für solche Pläne mit der vollen Wärme des hingebendsten Patriotismus eintrat, bewundernd richteten sich die Augen .des deutschen Volkes nach der kleinen süd¬ deutschen Residenzstadt. Es folgte das Jahr 1863 und mit ihm der Frank¬ furter Fürstentag, dieser mit eben so viel Pomp in Scene gesetzte wie in traurig kläglichem Ende erstorbene letzte Versuch Oesterreichs, Deutschland den Zwecken der Habsburger Haus- und Jesuitenpolitik dienstbar zu machen, Preußen zum Vasallen des Kaiserstaats an der Donau zu degradiren. Preußen, bereits unter Bismarcks Führung, blieb ferne. Großherzog Friedrich nahm an den Ver¬ handlungen Theil, aber unter der von vornherein ausgesprochenen Wahrung der Rechte der verfassungsmäßig zur Mitwirkung bei solchem Reformwerk be¬ rufenen Volksvertretung und jede endgültige Mitwirkung ablehnend, so lange Preußen nicht beigetreten sei. Bei der Schlußabstimmung gab Baden seine Stimme gegen das Projekt ab unter scharfer Betonung der durch Oesterreichs Vorschlüge schwer verletzten Idee eines wahren Bundesstaates. Das Ende des *) Berge, die eingehende Darlegung der gerade in unseren Tagen wieder aufs neue Mtercsscmtcn Vorschläge bei: Klüpfel, Geschichte der deutschen Einl, eitsbestrc- bungen 1343-1871. Band I, S> 2S6 f. Grenzboten U. 1377. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/181>, abgerufen am 29.06.2024.