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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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man nach Niederwerfung des Aufstandes von 1849 auch von der denkbar besten
Regierung und dem deutsch gesinntesten Fürsten nicht erwarten. Jedes andere
Streben war jetzt naturgemäß zurückgedrängt durch das Bemühen um die
Selbsterhaltung, um Befestigung der eigenen, wenn auch noch so kleinen
Souveränetät und Machtstellung. In solchem Streben und Bemühen suchte
der Kleinstaat vor allem festen Anschluß und Halt zu gewinnen, um, also ge¬
kräftigt, die Aufgabe der vollen Wiederherstellung seiner Souveränetät nachhaltig
lösen zu können. Dabei war nicht ausgeschlossen, daß tiefer gehende nationale
Sympathien mit innerer Nothwendigkeit zum Anschluß nach dieser oder jener
Richtung bestimmend mitwirkten. Das badische Fürstenhaus war durch preu¬
ßische Waffen restituirt worden. Die Pflicht der Dankbarkeit sowohl als die
Klugheit mußten zum Anschluß an Preußen mahnen. Bereits anfangs Juli
1849 war Großherzog Leopold dem Dreikönigsbündniß vom 26. Mai bei¬
getreten, welches Bündniß bekanntlich den Kern zu einem engeren deutschen
Bundesstaat unter Preußens Leitung und mit Ausschluß Oesterreichs bilden
sollte. Trotz der reichlichst zur Anwendung gelangten österreichischen Machina¬
tionen hielt die badische Regierung unter Billigung der Volksvertretung an der
preußischen Union fest und gab noch auf den Dresdener Konferenzen (Ja¬
nuar 1851) ihr Votum nicht zu Gunsten der österreichischen Politik ab. Doch
hatte sich, seit Freiherr v. Rüdt an der Stelle Klöbers das Ministerium des
Auswärtigen übernommen hatte (Oktober 1850), eine Wiederannäherung an
Oesterreich bemerklich gemacht, und in der That verfolgte denn auch Baden,
nachdem es seine Zustimmung zur Wiederherstellung des Bundestages gegeben
hatte, in den Verhandlungen über die Zollvereinsangelegenheit immer deutlicher
erkennbar die Politik der Hinneigung zum Haus Habsburg. Großherzog
Friedrich war durch seine Verlobung (20. September 1855) und sodann Ver¬
mählung (20. September 1856) mit der Prinzessin Luise Marie Elisabeths,
Tochter des damaligen Prinzen, jetzt Königs von Preußen und deutschen Kaisers
Wilhelm I. in die innigste Beziehung zu dem preußischen Herrscherhaus ge¬
treten. Die Vermählung erfolgte in demselben Jahr, in welchem (Mai 1856)
der gut österreichisch gesinnte Freiherr v. Meysenburg die Führung der Ge¬
schäfte des auswärtigen Amtes übernahm und die Konkordatspolitik mit voller
Kraft neu inaugurirte. Wir wollen rasch hinweggehen über diese tief betrübende
Zeit deutscher Geschichte, in der Herr v. Beust den Beschützer der politischen
Unabhängigkeit der Mittelstaaten spielte und die "nationale Kraft" am Bundes¬
tag entfalten wollte gegen eine Partei, welche Umsturz des Bundes durch
Preußen predige. Wir wollen nicht reden von der traurigen Haltung der
Mittelstaaten während der Zeit des französisch-italienischen Krieges, nicht von
der wahrhaft erschreckenden Tiefe politischen Unverstandes, der sich damals in


man nach Niederwerfung des Aufstandes von 1849 auch von der denkbar besten
Regierung und dem deutsch gesinntesten Fürsten nicht erwarten. Jedes andere
Streben war jetzt naturgemäß zurückgedrängt durch das Bemühen um die
Selbsterhaltung, um Befestigung der eigenen, wenn auch noch so kleinen
Souveränetät und Machtstellung. In solchem Streben und Bemühen suchte
der Kleinstaat vor allem festen Anschluß und Halt zu gewinnen, um, also ge¬
kräftigt, die Aufgabe der vollen Wiederherstellung seiner Souveränetät nachhaltig
lösen zu können. Dabei war nicht ausgeschlossen, daß tiefer gehende nationale
Sympathien mit innerer Nothwendigkeit zum Anschluß nach dieser oder jener
Richtung bestimmend mitwirkten. Das badische Fürstenhaus war durch preu¬
ßische Waffen restituirt worden. Die Pflicht der Dankbarkeit sowohl als die
Klugheit mußten zum Anschluß an Preußen mahnen. Bereits anfangs Juli
1849 war Großherzog Leopold dem Dreikönigsbündniß vom 26. Mai bei¬
getreten, welches Bündniß bekanntlich den Kern zu einem engeren deutschen
Bundesstaat unter Preußens Leitung und mit Ausschluß Oesterreichs bilden
sollte. Trotz der reichlichst zur Anwendung gelangten österreichischen Machina¬
tionen hielt die badische Regierung unter Billigung der Volksvertretung an der
preußischen Union fest und gab noch auf den Dresdener Konferenzen (Ja¬
nuar 1851) ihr Votum nicht zu Gunsten der österreichischen Politik ab. Doch
hatte sich, seit Freiherr v. Rüdt an der Stelle Klöbers das Ministerium des
Auswärtigen übernommen hatte (Oktober 1850), eine Wiederannäherung an
Oesterreich bemerklich gemacht, und in der That verfolgte denn auch Baden,
nachdem es seine Zustimmung zur Wiederherstellung des Bundestages gegeben
hatte, in den Verhandlungen über die Zollvereinsangelegenheit immer deutlicher
erkennbar die Politik der Hinneigung zum Haus Habsburg. Großherzog
Friedrich war durch seine Verlobung (20. September 1855) und sodann Ver¬
mählung (20. September 1856) mit der Prinzessin Luise Marie Elisabeths,
Tochter des damaligen Prinzen, jetzt Königs von Preußen und deutschen Kaisers
Wilhelm I. in die innigste Beziehung zu dem preußischen Herrscherhaus ge¬
treten. Die Vermählung erfolgte in demselben Jahr, in welchem (Mai 1856)
der gut österreichisch gesinnte Freiherr v. Meysenburg die Führung der Ge¬
schäfte des auswärtigen Amtes übernahm und die Konkordatspolitik mit voller
Kraft neu inaugurirte. Wir wollen rasch hinweggehen über diese tief betrübende
Zeit deutscher Geschichte, in der Herr v. Beust den Beschützer der politischen
Unabhängigkeit der Mittelstaaten spielte und die „nationale Kraft" am Bundes¬
tag entfalten wollte gegen eine Partei, welche Umsturz des Bundes durch
Preußen predige. Wir wollen nicht reden von der traurigen Haltung der
Mittelstaaten während der Zeit des französisch-italienischen Krieges, nicht von
der wahrhaft erschreckenden Tiefe politischen Unverstandes, der sich damals in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/180>, abgerufen am 01.07.2024.