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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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kommt der Grundsatz der Selbstverwaltung in sehr richtiger Weise zur Geltung,
und es ist ein Rahmen geschaffen, in den noch manches, was bis jetzt aus¬
schließlich dem Ressort der Staatsbehörden zugetheilt ist, eingefügt werden
kann. Lamey, der Schöpfer dieser Verwaltungsorganisation, hat sich durch die¬
selbe, wiewohl im einzelnen noch da und dort zu bessern sein mag, bleibendes
Verdienst erworben. Bereits in der Reaktionszeit (1857) war die Trennung
der Justiz von der Verwaltung in Vollzug gesetzt wordeu. Eine durchgreifende
Justizreform (1864) wurde den Anforderungen der Neuzeit gerecht, indem sie,
in der Organisation der Gerichtsbehörden den: Kollegialsystem huldigend, das
Prinzip der Öffentlichkeit und der Mündlichkeit einführte. Den Amtsgerichten
sind Schöffen beigegeben, die Kreisgerichte und das Oberhofgericht sind aus-
schließlich mit Fachjuristen besetzt. Das Recht der Anklage ist der Staats¬
anwaltschaft zugewiesen. Ein Gesetz über die Rechtsverhältnisse und die Be¬
soldungen der Richter garantirt deren volle Unabhängigkeit. Die Bahnen, in
denen die Justizreform einherschritt, waren mit richtigem Verständniß einge¬
schlagen. Die Einführung der Reichsjustizgesetze wird in Baden irgend welche
bedeutende Aenderungen nicht zur Folge haben. Erwähnen wir noch das Ge¬
setz über die Verantwortlichkeit der Minister und die Feststellung des Verfahrens
bei Ministeranklagen, die Ueberweisung der politischen und der Preßvergehen
an die Schwurgerichte, sowie die tiefeingreifendeu Verfassungsänderungen in
freiheitlichen Sinn (Aufhebung aller Beschränkungen des aktiven und passiven
Wahlrechts für die zweite Kammer, Zuweisung des Rechts der Initiative in
der Gesetzgebung an die Volksvertretung u. s. w.), endlich das auf dem letzte"
Landtag zu Stande gekommene Gesetz über die Einrichtung und Befugnisse
der Oberrechuuugskammer, so erhellt, daß die Zusage der Osterproklcunation
sich in umfassender Weise bestätigt hat und daß der höchste Träger der Staats¬
gewalt allezeit treu gestanden ist zu dein schonen Wort der Thronrede bei
Schluß des Landtags von 1860: "Ich konnte nicht finden, daß ein feindlicher
Gegensatz sei zwischen Fürstenrecht und Volksrecht". Wir müssen darauf ver¬
zichten, auch nur andeutend von den Leistungen zu reden, die Großherzog
Friedrichs Regierung bezüglich der bis dahin nicht berührten Einzelverhältnisse
des Volkslebens auszuweisen hat. Das Vorstehende möge genügen, zu zeigen,
wie wirklich ein frischer Hauch ächt konstitutionellen Lebens reinigend, kräf¬
tigend, befreiend das schöne Ländchen an Deutschlands südwestlicher Ecke durch¬
zieht zum Segen des in ihm sich findenden Volkes.

Das Programm der neuen Aera wurde von dem Volk und seiner Ver¬
tretung gebilligt. Die Kirchen waren dnrch die Ereignisse des Jahres 1860
zunächst berührt. Die aus der bevormundenden Gewalt des Staates entlassene
evangelische Kirche hat, die geschaffene Lage anerkennend, sich mit dem Grund-


kommt der Grundsatz der Selbstverwaltung in sehr richtiger Weise zur Geltung,
und es ist ein Rahmen geschaffen, in den noch manches, was bis jetzt aus¬
schließlich dem Ressort der Staatsbehörden zugetheilt ist, eingefügt werden
kann. Lamey, der Schöpfer dieser Verwaltungsorganisation, hat sich durch die¬
selbe, wiewohl im einzelnen noch da und dort zu bessern sein mag, bleibendes
Verdienst erworben. Bereits in der Reaktionszeit (1857) war die Trennung
der Justiz von der Verwaltung in Vollzug gesetzt wordeu. Eine durchgreifende
Justizreform (1864) wurde den Anforderungen der Neuzeit gerecht, indem sie,
in der Organisation der Gerichtsbehörden den: Kollegialsystem huldigend, das
Prinzip der Öffentlichkeit und der Mündlichkeit einführte. Den Amtsgerichten
sind Schöffen beigegeben, die Kreisgerichte und das Oberhofgericht sind aus-
schließlich mit Fachjuristen besetzt. Das Recht der Anklage ist der Staats¬
anwaltschaft zugewiesen. Ein Gesetz über die Rechtsverhältnisse und die Be¬
soldungen der Richter garantirt deren volle Unabhängigkeit. Die Bahnen, in
denen die Justizreform einherschritt, waren mit richtigem Verständniß einge¬
schlagen. Die Einführung der Reichsjustizgesetze wird in Baden irgend welche
bedeutende Aenderungen nicht zur Folge haben. Erwähnen wir noch das Ge¬
setz über die Verantwortlichkeit der Minister und die Feststellung des Verfahrens
bei Ministeranklagen, die Ueberweisung der politischen und der Preßvergehen
an die Schwurgerichte, sowie die tiefeingreifendeu Verfassungsänderungen in
freiheitlichen Sinn (Aufhebung aller Beschränkungen des aktiven und passiven
Wahlrechts für die zweite Kammer, Zuweisung des Rechts der Initiative in
der Gesetzgebung an die Volksvertretung u. s. w.), endlich das auf dem letzte»
Landtag zu Stande gekommene Gesetz über die Einrichtung und Befugnisse
der Oberrechuuugskammer, so erhellt, daß die Zusage der Osterproklcunation
sich in umfassender Weise bestätigt hat und daß der höchste Träger der Staats¬
gewalt allezeit treu gestanden ist zu dein schonen Wort der Thronrede bei
Schluß des Landtags von 1860: „Ich konnte nicht finden, daß ein feindlicher
Gegensatz sei zwischen Fürstenrecht und Volksrecht". Wir müssen darauf ver¬
zichten, auch nur andeutend von den Leistungen zu reden, die Großherzog
Friedrichs Regierung bezüglich der bis dahin nicht berührten Einzelverhältnisse
des Volkslebens auszuweisen hat. Das Vorstehende möge genügen, zu zeigen,
wie wirklich ein frischer Hauch ächt konstitutionellen Lebens reinigend, kräf¬
tigend, befreiend das schöne Ländchen an Deutschlands südwestlicher Ecke durch¬
zieht zum Segen des in ihm sich findenden Volkes.

Das Programm der neuen Aera wurde von dem Volk und seiner Ver¬
tretung gebilligt. Die Kirchen waren dnrch die Ereignisse des Jahres 1860
zunächst berührt. Die aus der bevormundenden Gewalt des Staates entlassene
evangelische Kirche hat, die geschaffene Lage anerkennend, sich mit dem Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/178>, abgerufen am 03.07.2024.