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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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wurden dem Erzbischof gewährt die unbehinderte Aufsicht über den Religions¬
unterricht in den Schulen, die Errichtung von Konvikten und Knabenseminaren,
wobei die Regierung hilfreich zur Hand zu gehen versprach, die unbedingte
Leitung und Beaufsichtigung der theologischen Fakultät in Freiburg, die Mit¬
verwaltung des Kirchenvermögens u. s. w.

Wir haben die Reaktion speziell auf dem Gebiet der staatlich kirchlichen
Verhältnisse ins Auge gefaßt, weil sie hier in ihren Ursachen wie in den er¬
zielten Wirkungen am evidentesten zu Tage tritt. Gefehlt aber hat sie auch
im übrigen nicht. Sie hat ihre unablässige, emsige Arbeit nicht vor allem
auf dem Wege der Gesetzgebung geleistet, obwohl man auch hier nicht müßig
ging, sintemal die allezeit gefügigen Kammern stets die Hand boten. Offene
und geheime Ordonnanzen der Ministerien, der Mittelstellen, der Kirchen- und
Schulbehörden, der Bezirksämter, ein bis ins minutiöseste hinein sich erstreckendes
Polizeiliches Spionier- und Ueberwachungssystem, unumschränktes Walten einer
stramm disziplinirten, schreibseligen, alles kommandirenden und regulirenden
Bureaukratie, das waren die Faktoren, mittelst deren die Reaktion in alle Poren
des Volkslebens eindrang. Die Schulen und ihre Lehrer standen unter der
strengsten geistlichen Aufsicht, und sorgfältigst wurde jede Regung eines freien
Geistes bei ihnen überwacht; die Freiheit der Presse, die Vereinsfreiheit wur¬
den aufs äußerste beschränkt, die Volksvergnügungen polizeilich geregelt und
überwacht, die öffentliche Meinung wurde in den Ministerialbureaux fabrizirt
und durch die amtlichen Verkündigungsblätter unter das Volk gebracht. Ri¬
gorose Gewaltmaßregeln, die Reaktion durchzuführen, waren kaum nöthig, nach¬
dem die Standgerichte ihre Thätigkeit geübt hatten, das Militär reorganisirt^
der Beamtenstand neu disziplinirt war. Das Volk war müde und schlafbe¬
dürftig. Es hörte das von der Reaktion ihm vorgesungene Schlummerlied
mit halbem Ohre, bis es endlich träumend die Augen zuthat und dann alles
sich in Ordnung und Ruhe fand.

Da, als eben die Reaktion mit dem Konkordat ihren höchsten Triumph zu
feiern vermeinte, war die Sache an dem Wendepunkt angelangt. Nur von dem
Boden des religiösen und kirchlichen Lebens aus konnte ein Aufraffen erfolgen.
Einzig die auf diesem Gebiete stattgehabte Kränkung und Verletzung der heilig¬
sten Gewissensrechte von Tausenden mochte das Volk aus absoluter Apathie
aufrütteln. Das Bewußtsein der protestantischen Kirchengenossen hatte bereits
in scharfer Weise gegen die hochkirchlichen Beschlüsse der Generalsynode von
1855 reagirt. Aber was der Agentenstreit nicht vermocht hatte, das brachte
das Konkordat zu Wege: die tiefste Erregung der Gemüther bis hinab in die
untersten Schichten der Gesellschaft, ein zornsprühendes Sichanfbäumen des
Volksgeisies gleicherweise bei Protestanten wie bei aufgeklärten Katholiken,


wurden dem Erzbischof gewährt die unbehinderte Aufsicht über den Religions¬
unterricht in den Schulen, die Errichtung von Konvikten und Knabenseminaren,
wobei die Regierung hilfreich zur Hand zu gehen versprach, die unbedingte
Leitung und Beaufsichtigung der theologischen Fakultät in Freiburg, die Mit¬
verwaltung des Kirchenvermögens u. s. w.

Wir haben die Reaktion speziell auf dem Gebiet der staatlich kirchlichen
Verhältnisse ins Auge gefaßt, weil sie hier in ihren Ursachen wie in den er¬
zielten Wirkungen am evidentesten zu Tage tritt. Gefehlt aber hat sie auch
im übrigen nicht. Sie hat ihre unablässige, emsige Arbeit nicht vor allem
auf dem Wege der Gesetzgebung geleistet, obwohl man auch hier nicht müßig
ging, sintemal die allezeit gefügigen Kammern stets die Hand boten. Offene
und geheime Ordonnanzen der Ministerien, der Mittelstellen, der Kirchen- und
Schulbehörden, der Bezirksämter, ein bis ins minutiöseste hinein sich erstreckendes
Polizeiliches Spionier- und Ueberwachungssystem, unumschränktes Walten einer
stramm disziplinirten, schreibseligen, alles kommandirenden und regulirenden
Bureaukratie, das waren die Faktoren, mittelst deren die Reaktion in alle Poren
des Volkslebens eindrang. Die Schulen und ihre Lehrer standen unter der
strengsten geistlichen Aufsicht, und sorgfältigst wurde jede Regung eines freien
Geistes bei ihnen überwacht; die Freiheit der Presse, die Vereinsfreiheit wur¬
den aufs äußerste beschränkt, die Volksvergnügungen polizeilich geregelt und
überwacht, die öffentliche Meinung wurde in den Ministerialbureaux fabrizirt
und durch die amtlichen Verkündigungsblätter unter das Volk gebracht. Ri¬
gorose Gewaltmaßregeln, die Reaktion durchzuführen, waren kaum nöthig, nach¬
dem die Standgerichte ihre Thätigkeit geübt hatten, das Militär reorganisirt^
der Beamtenstand neu disziplinirt war. Das Volk war müde und schlafbe¬
dürftig. Es hörte das von der Reaktion ihm vorgesungene Schlummerlied
mit halbem Ohre, bis es endlich träumend die Augen zuthat und dann alles
sich in Ordnung und Ruhe fand.

Da, als eben die Reaktion mit dem Konkordat ihren höchsten Triumph zu
feiern vermeinte, war die Sache an dem Wendepunkt angelangt. Nur von dem
Boden des religiösen und kirchlichen Lebens aus konnte ein Aufraffen erfolgen.
Einzig die auf diesem Gebiete stattgehabte Kränkung und Verletzung der heilig¬
sten Gewissensrechte von Tausenden mochte das Volk aus absoluter Apathie
aufrütteln. Das Bewußtsein der protestantischen Kirchengenossen hatte bereits
in scharfer Weise gegen die hochkirchlichen Beschlüsse der Generalsynode von
1855 reagirt. Aber was der Agentenstreit nicht vermocht hatte, das brachte
das Konkordat zu Wege: die tiefste Erregung der Gemüther bis hinab in die
untersten Schichten der Gesellschaft, ein zornsprühendes Sichanfbäumen des
Volksgeisies gleicherweise bei Protestanten wie bei aufgeklärten Katholiken,


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[0171] wurden dem Erzbischof gewährt die unbehinderte Aufsicht über den Religions¬ unterricht in den Schulen, die Errichtung von Konvikten und Knabenseminaren, wobei die Regierung hilfreich zur Hand zu gehen versprach, die unbedingte Leitung und Beaufsichtigung der theologischen Fakultät in Freiburg, die Mit¬ verwaltung des Kirchenvermögens u. s. w. Wir haben die Reaktion speziell auf dem Gebiet der staatlich kirchlichen Verhältnisse ins Auge gefaßt, weil sie hier in ihren Ursachen wie in den er¬ zielten Wirkungen am evidentesten zu Tage tritt. Gefehlt aber hat sie auch im übrigen nicht. Sie hat ihre unablässige, emsige Arbeit nicht vor allem auf dem Wege der Gesetzgebung geleistet, obwohl man auch hier nicht müßig ging, sintemal die allezeit gefügigen Kammern stets die Hand boten. Offene und geheime Ordonnanzen der Ministerien, der Mittelstellen, der Kirchen- und Schulbehörden, der Bezirksämter, ein bis ins minutiöseste hinein sich erstreckendes Polizeiliches Spionier- und Ueberwachungssystem, unumschränktes Walten einer stramm disziplinirten, schreibseligen, alles kommandirenden und regulirenden Bureaukratie, das waren die Faktoren, mittelst deren die Reaktion in alle Poren des Volkslebens eindrang. Die Schulen und ihre Lehrer standen unter der strengsten geistlichen Aufsicht, und sorgfältigst wurde jede Regung eines freien Geistes bei ihnen überwacht; die Freiheit der Presse, die Vereinsfreiheit wur¬ den aufs äußerste beschränkt, die Volksvergnügungen polizeilich geregelt und überwacht, die öffentliche Meinung wurde in den Ministerialbureaux fabrizirt und durch die amtlichen Verkündigungsblätter unter das Volk gebracht. Ri¬ gorose Gewaltmaßregeln, die Reaktion durchzuführen, waren kaum nöthig, nach¬ dem die Standgerichte ihre Thätigkeit geübt hatten, das Militär reorganisirt^ der Beamtenstand neu disziplinirt war. Das Volk war müde und schlafbe¬ dürftig. Es hörte das von der Reaktion ihm vorgesungene Schlummerlied mit halbem Ohre, bis es endlich träumend die Augen zuthat und dann alles sich in Ordnung und Ruhe fand. Da, als eben die Reaktion mit dem Konkordat ihren höchsten Triumph zu feiern vermeinte, war die Sache an dem Wendepunkt angelangt. Nur von dem Boden des religiösen und kirchlichen Lebens aus konnte ein Aufraffen erfolgen. Einzig die auf diesem Gebiete stattgehabte Kränkung und Verletzung der heilig¬ sten Gewissensrechte von Tausenden mochte das Volk aus absoluter Apathie aufrütteln. Das Bewußtsein der protestantischen Kirchengenossen hatte bereits in scharfer Weise gegen die hochkirchlichen Beschlüsse der Generalsynode von 1855 reagirt. Aber was der Agentenstreit nicht vermocht hatte, das brachte das Konkordat zu Wege: die tiefste Erregung der Gemüther bis hinab in die untersten Schichten der Gesellschaft, ein zornsprühendes Sichanfbäumen des Volksgeisies gleicherweise bei Protestanten wie bei aufgeklärten Katholiken,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/171>, abgerufen am 23.07.2024.