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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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ein Reagiren des mit einem Male wie aus schweren Banden entfesselten freien
Bürgersinnes gegen diesen die staatliche Selbständigkeit preisgebenden, die Frei¬
heit des Volkslebens vernichtenden, den Frieden der Konfessionen in dem
paritätischen Lande (zwei Drittel Katholiken) aufs tiefste bedrohenden Gewalt¬
streich jesuitischer Kurialpolitik und reaktionärer Staatskunst. Die Erregung
fand ihren korrektesten Ausdruck in dem Beschlusse des Landtags. Der nach¬
malige Justizminister Stahel, damals Oberhofrichter, zugleich Vicepräsident
der ersten Kammer hatte in einer besonderen Schrift staatsrechtlich den Nach¬
weis geführt, daß das Konkordat die Verfassung verletze, die Einführung des¬
selben eine Verfassungsänderung voraussetze und somit ohne Zustimmung der
Kammern nicht statthaben könne. In der zweiten Kaminer vertrat der Be¬
richterstatter der zur Prüfung der Frage niedergesetzten Kommission, Hofgerichts¬
rath Hildebrandt, in glänzender Weise insbesondere von Lamey fekundirt, den¬
selben Standpunkt. Die zweitägige, nnter athemlosem Aufhorchen des Landes
geführte Debatte fand ihren Abschluß in dein mit 45 gegen 15 Stimmen ge¬
faßten Beschluß: das ohne Vorbehalt der ständischen Zustimmung abgeschlossene
Vertragswerk für uicht rechtsverbindlich zu erklären und den Großherzog zu
bitten, dasselbe uicht in Wirksamkeit treten zu lassen. Es war am 30. März
1860. Spät wie weiland Jsolcmi kam dann auch die erste Kammer, und trat
am 15. Mai mit Majoritätsbeschluß dein Votum der zweiten Kammer bei.
Aber bereits am 2. April waren v. Meyseuburg und v. Stengel von ihren
Posten abberufen worden. Ein Zwischenfall hatte das Ereignis; beschleunigt.
Der Minister des Innern, v, Stengel, hatte nämlich sofort nach dem Beschluß
der zweiten Kammer unter dem 31. März durch Generalverfügung an die Amts¬
vorstände diese dahin verständigt, daß die Regierung sest entschlossen sei, das
Konkordat zur Ausführung zu bringen. Zugleich erhielten die Amtsvorstände
Weisung, beschwichtigend auf die öffentliche Meinung einzuwirken, erforderlichen
Falls aber auch vor Anwendung strengerer Maßnahmen .nicht zurückzuschrecken.
Es war das ein Handstreich, von Stengel im EinVerständniß mit Meysenbnrg,
aber ohne Vorwissen des Großherzogs ausgeführt. Hiermit war der Tropfen
eingegossen, der das Glas überschäumen machte. Der Großherzog erkannte,
daß in dieser Weise nicht ferner regiert werden könne. Stahel trat als Staats¬
minister der Justiz an die Spitze der Geschäfte, Lamey, wohl der populärste
Abgeordnete der zweiten Kanuner, wurde zum Präsidenten des Ministeriums
des Innern ernannt. Eine Proklamation vom 7. April, in welcher der Gro߬
herzog "aus der Tiefe des Herzens Friedensworte an Mein theures Volk"
richtete, gab das Programm der neuen Regierung. Es wurde in derselben
verheißen, daß der Grundsatz der Selbständigkeit der katholischen Kirche in
Ordnung ihrer Angelegenheiten zur vollen Geltung gebracht werden solle. Ein Gesetz


ein Reagiren des mit einem Male wie aus schweren Banden entfesselten freien
Bürgersinnes gegen diesen die staatliche Selbständigkeit preisgebenden, die Frei¬
heit des Volkslebens vernichtenden, den Frieden der Konfessionen in dem
paritätischen Lande (zwei Drittel Katholiken) aufs tiefste bedrohenden Gewalt¬
streich jesuitischer Kurialpolitik und reaktionärer Staatskunst. Die Erregung
fand ihren korrektesten Ausdruck in dem Beschlusse des Landtags. Der nach¬
malige Justizminister Stahel, damals Oberhofrichter, zugleich Vicepräsident
der ersten Kammer hatte in einer besonderen Schrift staatsrechtlich den Nach¬
weis geführt, daß das Konkordat die Verfassung verletze, die Einführung des¬
selben eine Verfassungsänderung voraussetze und somit ohne Zustimmung der
Kammern nicht statthaben könne. In der zweiten Kaminer vertrat der Be¬
richterstatter der zur Prüfung der Frage niedergesetzten Kommission, Hofgerichts¬
rath Hildebrandt, in glänzender Weise insbesondere von Lamey fekundirt, den¬
selben Standpunkt. Die zweitägige, nnter athemlosem Aufhorchen des Landes
geführte Debatte fand ihren Abschluß in dein mit 45 gegen 15 Stimmen ge¬
faßten Beschluß: das ohne Vorbehalt der ständischen Zustimmung abgeschlossene
Vertragswerk für uicht rechtsverbindlich zu erklären und den Großherzog zu
bitten, dasselbe uicht in Wirksamkeit treten zu lassen. Es war am 30. März
1860. Spät wie weiland Jsolcmi kam dann auch die erste Kammer, und trat
am 15. Mai mit Majoritätsbeschluß dein Votum der zweiten Kammer bei.
Aber bereits am 2. April waren v. Meyseuburg und v. Stengel von ihren
Posten abberufen worden. Ein Zwischenfall hatte das Ereignis; beschleunigt.
Der Minister des Innern, v, Stengel, hatte nämlich sofort nach dem Beschluß
der zweiten Kammer unter dem 31. März durch Generalverfügung an die Amts¬
vorstände diese dahin verständigt, daß die Regierung sest entschlossen sei, das
Konkordat zur Ausführung zu bringen. Zugleich erhielten die Amtsvorstände
Weisung, beschwichtigend auf die öffentliche Meinung einzuwirken, erforderlichen
Falls aber auch vor Anwendung strengerer Maßnahmen .nicht zurückzuschrecken.
Es war das ein Handstreich, von Stengel im EinVerständniß mit Meysenbnrg,
aber ohne Vorwissen des Großherzogs ausgeführt. Hiermit war der Tropfen
eingegossen, der das Glas überschäumen machte. Der Großherzog erkannte,
daß in dieser Weise nicht ferner regiert werden könne. Stahel trat als Staats¬
minister der Justiz an die Spitze der Geschäfte, Lamey, wohl der populärste
Abgeordnete der zweiten Kanuner, wurde zum Präsidenten des Ministeriums
des Innern ernannt. Eine Proklamation vom 7. April, in welcher der Gro߬
herzog „aus der Tiefe des Herzens Friedensworte an Mein theures Volk"
richtete, gab das Programm der neuen Regierung. Es wurde in derselben
verheißen, daß der Grundsatz der Selbständigkeit der katholischen Kirche in
Ordnung ihrer Angelegenheiten zur vollen Geltung gebracht werden solle. Ein Gesetz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/172>, abgerufen am 23.07.2024.