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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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wenigstens in etwas religiöse und politische Fragen auseinanderzuhalten versteht,
ist dem Katholiken das Gebot seiner Kirche eine religiöse Vorschrift auch wo
es rein auf die sogenannten weltlichen Dinge sich erstreckt. Es ist bekannt, wie fein
die deutschen Bischöfe uuter dem Jubel der Fanatiker des Prinzips gewußt
hatten, die in den "Grundrechten" proklamirten abstrakten Theorien für sich
und ihr hierarchisches Streben in Anspruch zu nehmen. Und sie waren keines¬
wegs gesonnen, das, was die Revolution ihnen hatte gewähren wollen, sich
durch die Reaktion vorenthalten zu lassen. Insbesondere waren die Bischöfe
der oberrheinischen Kirchenprovinz furchtlos in ihrem Begehren. Anfänglich
begnügten sie sich, die Beseitigung einzelner "Mißstände" zu verlangen, als
da waren: Abschaffung des landesherrliche" Plaeet, Ueberantwortung des
Vermögens der Abteien, Klöster und Stifte an die Kirche zur freien Verwaltung
und Verfügung, Widerrufung aller feit der Säkularisation von 180Z erlassenen,
die Kirche betreffenden Gesetze. Aber der Appetit kam während des Essens,
und wenige Tage vor der Thronbesteigung des Priuzregenten erklärten sie den
betheiligten Regierungen in einer Kollektivdeukschrift, daß das bisherige System
des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche von Grund aus ein anderes
werden müsse im Sinne der "freien Kirche im freien (?) Staate." Eine per¬
sönlich tief schmerzende Erfahrung wurde sofort dem neuen Regenten zu Theil.
Der durch landesherrliche Entschließung für alle Kirchen des Landes angeordnete
Trauergottesdienst für den verewigten Großherzog Leopold wurde von dem
Freiburger erzbischöflischen Ordinariat für die katholischen Kirchen untersagt,
da diese Feier für einen außerhalb der allein seligmachenden Kirche Gestan¬
denen nicht zulässig sei. Nur ein Abendgottesdienst mit Gesang wurde gestattet.
Die Regierung protestirte, aber der Erzbischof griff durch, und diejenigen Geistlichen,
welche mit Abhaltung des Trauergottesdienstes der staatlichen Anordnung
gehorsame hatten,, mochten nun, von der Staatsregierung schutzlos gelassen,
während der unter Leitung des Jesuitenpater Roh in Se. Peter mit ihnen
abgehaltenen Strafexerzitien Betrachtungen anstellen über die Macht der beiden
Schwerter, deren jedes drohend über ihre" Häuptern geschwebt hatte. Die
Schwäche der Regierung war offenbar geworden. Furcht vor dem rothen
Gespenst der Revolution hatte zu dieser Schwäche verurtheilt. Denn die
Dienste der Kirche konnte man zur Pazifizirung nicht entbehren. Kanzel und
Beichtstuhl, Schulaufsicht der Geistliche", soweit dies nicht für ausreichend
befunden wurde zahlreiche Jesuitenmissionen, sollten sich wirksam erweisen.
So machte die Regierung der Kurie Konzession auf Konzession, einiges
Säbelgerassel gegen den Rebellen in der Sutane, wie z. B. die Verhängung
einer nenn-tägigen Untersuchungshaft über den Erzbischof von Vicari (22. Mai 1854),
änderte an dem System nichts. Unter dem gut österreichisch gesinnten


wenigstens in etwas religiöse und politische Fragen auseinanderzuhalten versteht,
ist dem Katholiken das Gebot seiner Kirche eine religiöse Vorschrift auch wo
es rein auf die sogenannten weltlichen Dinge sich erstreckt. Es ist bekannt, wie fein
die deutschen Bischöfe uuter dem Jubel der Fanatiker des Prinzips gewußt
hatten, die in den „Grundrechten" proklamirten abstrakten Theorien für sich
und ihr hierarchisches Streben in Anspruch zu nehmen. Und sie waren keines¬
wegs gesonnen, das, was die Revolution ihnen hatte gewähren wollen, sich
durch die Reaktion vorenthalten zu lassen. Insbesondere waren die Bischöfe
der oberrheinischen Kirchenprovinz furchtlos in ihrem Begehren. Anfänglich
begnügten sie sich, die Beseitigung einzelner „Mißstände" zu verlangen, als
da waren: Abschaffung des landesherrliche« Plaeet, Ueberantwortung des
Vermögens der Abteien, Klöster und Stifte an die Kirche zur freien Verwaltung
und Verfügung, Widerrufung aller feit der Säkularisation von 180Z erlassenen,
die Kirche betreffenden Gesetze. Aber der Appetit kam während des Essens,
und wenige Tage vor der Thronbesteigung des Priuzregenten erklärten sie den
betheiligten Regierungen in einer Kollektivdeukschrift, daß das bisherige System
des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche von Grund aus ein anderes
werden müsse im Sinne der „freien Kirche im freien (?) Staate." Eine per¬
sönlich tief schmerzende Erfahrung wurde sofort dem neuen Regenten zu Theil.
Der durch landesherrliche Entschließung für alle Kirchen des Landes angeordnete
Trauergottesdienst für den verewigten Großherzog Leopold wurde von dem
Freiburger erzbischöflischen Ordinariat für die katholischen Kirchen untersagt,
da diese Feier für einen außerhalb der allein seligmachenden Kirche Gestan¬
denen nicht zulässig sei. Nur ein Abendgottesdienst mit Gesang wurde gestattet.
Die Regierung protestirte, aber der Erzbischof griff durch, und diejenigen Geistlichen,
welche mit Abhaltung des Trauergottesdienstes der staatlichen Anordnung
gehorsame hatten,, mochten nun, von der Staatsregierung schutzlos gelassen,
während der unter Leitung des Jesuitenpater Roh in Se. Peter mit ihnen
abgehaltenen Strafexerzitien Betrachtungen anstellen über die Macht der beiden
Schwerter, deren jedes drohend über ihre» Häuptern geschwebt hatte. Die
Schwäche der Regierung war offenbar geworden. Furcht vor dem rothen
Gespenst der Revolution hatte zu dieser Schwäche verurtheilt. Denn die
Dienste der Kirche konnte man zur Pazifizirung nicht entbehren. Kanzel und
Beichtstuhl, Schulaufsicht der Geistliche«, soweit dies nicht für ausreichend
befunden wurde zahlreiche Jesuitenmissionen, sollten sich wirksam erweisen.
So machte die Regierung der Kurie Konzession auf Konzession, einiges
Säbelgerassel gegen den Rebellen in der Sutane, wie z. B. die Verhängung
einer nenn-tägigen Untersuchungshaft über den Erzbischof von Vicari (22. Mai 1854),
änderte an dem System nichts. Unter dem gut österreichisch gesinnten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/169>, abgerufen am 01.07.2024.