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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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der revolutionären und freiheitlichen Gelüste bereits geschlossene Alliance zwischen
Thron und Altar. In der protestantischen Kirche wurde in dieser Zeit der
"inneren Mission" das orthodoxe Kirchenthum neu gekräftigt. Daß man die
Kirche als Polizeianstalt gebrauche, war ja nicht unerhört. Warum sollte man
es nicht auch jetzt mit Glück versuchen können? So wurde denn die dem
Ministerium des Innern untergeordnete protestantische Oberkirchenbehörde mit
gesinnungstüchtigen Elementen besetzt, die "geistlichen Ortsvorgesetzten", deren
weit verbreiteten hierarchischen Gelüsten dies schmeicheln mußte, bildeten eine
sehr wirksame Polizei, und ihr Einfluß erstreckte sich weiter, als mancher Amts-
vorstand, der sich dieser Polizei seinerseits auch bediente, glauben mochte. Die
Kirche that die verlangten Dienste. Wie hätte man ihr die geistlichen Mittel
versagen können, die sie in Anspruch nahm, sie nachhaltig wirksam zu thun?
Rückkehr zum Bekenntuißglauben war die Losung. Bekenntnißtreue Religions¬
lehrbücher, ein Kirchenbuch (Agende) starrend von der massiven Dogmatik des
korrekten Lutherthums, katholisirende Gottesdienstformen, dabei leise Hindeu¬
tungen auf Kirchenzucht, Ertödtung der vorhandenen schwachen Reste von Ge-
meindefreiheit, in erster Linie aber kirchengesetzliche strenge Fixirung eines
orthodoxen Bekenntnißstandes, um freigerichteten Geistlichen nöthigenfalls die
Schlinge um den Hals legen zu können -- in diesem Kreise etwa bewegte
sich die innerkirchliche Arbeit der für die badische evangelische Landeskirche ver-
hüngnißvoll gewordenen Generalsynode des Jahres 1855. Das waren freilich
Dinge, die an und für sich das Interesse der Staatsgewalt nicht in Anspruch
nahmen, aber die Kirchenmänner wollten diese Waffen schmieden zur Ueber¬
windung des gefährlichen Lindwurms freiheitlicher Volksbewegung, den die
Bajonette allein nicht ertödten gekonnt. Da durfte und konnte die Staats-
regierung nicht versagen. Die Sanktionirung der Beschlüsse der kirchlichen
Vertretung erfolgte, und die durch Ministerialreskript in die Gottesdienste be¬
fehligten Staatsbeamten hatten Gelegenheit sich zu überzeugen, wie prächtig
jene Mittel sich wirksam erwiesen, das Volk einzuschläfern und es in stummem
Gehorsam Unterthan zu machen der Obrigkeit, die Gewalt hatte. "Ich ging
zur Tempelhalle, Da hört' ich christlich Recht: Hier innen Brüder alle, Da
draußen Herr und Knecht! Der Festesrede Giebel War: Duck' dich, schweig
dabei! Als ob die ganze Bibel Ein Buch der Kön'ge sei". Uhland hat dieses
ätzend scharfe Wort nicht von Baden gesungen, aber es traf zu in der Kirche
dieses Landes, wie sie war in den fünfziger Jahren.

Werthvoller als die protestantische Kirchengemeinschaft hat sich für die
Dienste der staatlichen Reaktion zu allen Zeiten die katholische Kirche erwiesen.
Denn diese wirkt vermöge ihrer gestimmten Organisation weit intensiver und
nachhaltiger auf die Massen, als jene, und während der Protestant doch immerhin


der revolutionären und freiheitlichen Gelüste bereits geschlossene Alliance zwischen
Thron und Altar. In der protestantischen Kirche wurde in dieser Zeit der
„inneren Mission" das orthodoxe Kirchenthum neu gekräftigt. Daß man die
Kirche als Polizeianstalt gebrauche, war ja nicht unerhört. Warum sollte man
es nicht auch jetzt mit Glück versuchen können? So wurde denn die dem
Ministerium des Innern untergeordnete protestantische Oberkirchenbehörde mit
gesinnungstüchtigen Elementen besetzt, die „geistlichen Ortsvorgesetzten", deren
weit verbreiteten hierarchischen Gelüsten dies schmeicheln mußte, bildeten eine
sehr wirksame Polizei, und ihr Einfluß erstreckte sich weiter, als mancher Amts-
vorstand, der sich dieser Polizei seinerseits auch bediente, glauben mochte. Die
Kirche that die verlangten Dienste. Wie hätte man ihr die geistlichen Mittel
versagen können, die sie in Anspruch nahm, sie nachhaltig wirksam zu thun?
Rückkehr zum Bekenntuißglauben war die Losung. Bekenntnißtreue Religions¬
lehrbücher, ein Kirchenbuch (Agende) starrend von der massiven Dogmatik des
korrekten Lutherthums, katholisirende Gottesdienstformen, dabei leise Hindeu¬
tungen auf Kirchenzucht, Ertödtung der vorhandenen schwachen Reste von Ge-
meindefreiheit, in erster Linie aber kirchengesetzliche strenge Fixirung eines
orthodoxen Bekenntnißstandes, um freigerichteten Geistlichen nöthigenfalls die
Schlinge um den Hals legen zu können — in diesem Kreise etwa bewegte
sich die innerkirchliche Arbeit der für die badische evangelische Landeskirche ver-
hüngnißvoll gewordenen Generalsynode des Jahres 1855. Das waren freilich
Dinge, die an und für sich das Interesse der Staatsgewalt nicht in Anspruch
nahmen, aber die Kirchenmänner wollten diese Waffen schmieden zur Ueber¬
windung des gefährlichen Lindwurms freiheitlicher Volksbewegung, den die
Bajonette allein nicht ertödten gekonnt. Da durfte und konnte die Staats-
regierung nicht versagen. Die Sanktionirung der Beschlüsse der kirchlichen
Vertretung erfolgte, und die durch Ministerialreskript in die Gottesdienste be¬
fehligten Staatsbeamten hatten Gelegenheit sich zu überzeugen, wie prächtig
jene Mittel sich wirksam erwiesen, das Volk einzuschläfern und es in stummem
Gehorsam Unterthan zu machen der Obrigkeit, die Gewalt hatte. „Ich ging
zur Tempelhalle, Da hört' ich christlich Recht: Hier innen Brüder alle, Da
draußen Herr und Knecht! Der Festesrede Giebel War: Duck' dich, schweig
dabei! Als ob die ganze Bibel Ein Buch der Kön'ge sei". Uhland hat dieses
ätzend scharfe Wort nicht von Baden gesungen, aber es traf zu in der Kirche
dieses Landes, wie sie war in den fünfziger Jahren.

Werthvoller als die protestantische Kirchengemeinschaft hat sich für die
Dienste der staatlichen Reaktion zu allen Zeiten die katholische Kirche erwiesen.
Denn diese wirkt vermöge ihrer gestimmten Organisation weit intensiver und
nachhaltiger auf die Massen, als jene, und während der Protestant doch immerhin


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[0168] der revolutionären und freiheitlichen Gelüste bereits geschlossene Alliance zwischen Thron und Altar. In der protestantischen Kirche wurde in dieser Zeit der „inneren Mission" das orthodoxe Kirchenthum neu gekräftigt. Daß man die Kirche als Polizeianstalt gebrauche, war ja nicht unerhört. Warum sollte man es nicht auch jetzt mit Glück versuchen können? So wurde denn die dem Ministerium des Innern untergeordnete protestantische Oberkirchenbehörde mit gesinnungstüchtigen Elementen besetzt, die „geistlichen Ortsvorgesetzten", deren weit verbreiteten hierarchischen Gelüsten dies schmeicheln mußte, bildeten eine sehr wirksame Polizei, und ihr Einfluß erstreckte sich weiter, als mancher Amts- vorstand, der sich dieser Polizei seinerseits auch bediente, glauben mochte. Die Kirche that die verlangten Dienste. Wie hätte man ihr die geistlichen Mittel versagen können, die sie in Anspruch nahm, sie nachhaltig wirksam zu thun? Rückkehr zum Bekenntuißglauben war die Losung. Bekenntnißtreue Religions¬ lehrbücher, ein Kirchenbuch (Agende) starrend von der massiven Dogmatik des korrekten Lutherthums, katholisirende Gottesdienstformen, dabei leise Hindeu¬ tungen auf Kirchenzucht, Ertödtung der vorhandenen schwachen Reste von Ge- meindefreiheit, in erster Linie aber kirchengesetzliche strenge Fixirung eines orthodoxen Bekenntnißstandes, um freigerichteten Geistlichen nöthigenfalls die Schlinge um den Hals legen zu können — in diesem Kreise etwa bewegte sich die innerkirchliche Arbeit der für die badische evangelische Landeskirche ver- hüngnißvoll gewordenen Generalsynode des Jahres 1855. Das waren freilich Dinge, die an und für sich das Interesse der Staatsgewalt nicht in Anspruch nahmen, aber die Kirchenmänner wollten diese Waffen schmieden zur Ueber¬ windung des gefährlichen Lindwurms freiheitlicher Volksbewegung, den die Bajonette allein nicht ertödten gekonnt. Da durfte und konnte die Staats- regierung nicht versagen. Die Sanktionirung der Beschlüsse der kirchlichen Vertretung erfolgte, und die durch Ministerialreskript in die Gottesdienste be¬ fehligten Staatsbeamten hatten Gelegenheit sich zu überzeugen, wie prächtig jene Mittel sich wirksam erwiesen, das Volk einzuschläfern und es in stummem Gehorsam Unterthan zu machen der Obrigkeit, die Gewalt hatte. „Ich ging zur Tempelhalle, Da hört' ich christlich Recht: Hier innen Brüder alle, Da draußen Herr und Knecht! Der Festesrede Giebel War: Duck' dich, schweig dabei! Als ob die ganze Bibel Ein Buch der Kön'ge sei". Uhland hat dieses ätzend scharfe Wort nicht von Baden gesungen, aber es traf zu in der Kirche dieses Landes, wie sie war in den fünfziger Jahren. Werthvoller als die protestantische Kirchengemeinschaft hat sich für die Dienste der staatlichen Reaktion zu allen Zeiten die katholische Kirche erwiesen. Denn diese wirkt vermöge ihrer gestimmten Organisation weit intensiver und nachhaltiger auf die Massen, als jene, und während der Protestant doch immerhin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/168>, abgerufen am 29.06.2024.