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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Geburtsstadt, indem er die zu seiner Bewachung bestellten Diener des Königs
buschte. Mit einem letzten Blicke auf die theuren Orte sagte er mit sanfter
Stimme: "Bevor ich nicht das Aufhören von Geburt und Tod erreicht habe,
werde ich Kapilawastu nicht wieder betreten; ich werde nicht eher dahin zurück¬
kehren, als bis ich die erhabne Wohnung, da weder Alter noch Tod ist, und
das reine Wissen erreicht habe. Wenn ich wieder hierher komme, wird Kapila¬
wastu wach sein und nicht mehr vom Schlafe befangen." Nachdem er die
Grenze der Staaten seines Vaters gewonnen, legte er seine Prunkgewänder ab,
schnitt sich das Haar, zog das Kleid eines büßenden Bettlers an und nannte
sich Ssakjamuni, "Einsiedler vom Stamme der Ssakias" und Ssrcimana
Gautama, "Asket vom Geschlecht Gautamas".

Zunächst zog Ssakjamuni nicht in die Einsamkeit; denn er wollte vorher
mit der bramanischen Lehre genauer bekannt werden und sich an ihr prüfen.
So wanderte er, fortan von Almosen lebend, nach der Stadt Waißali, wo er
in die Schule des berühmten Bramanen Arata Kalcuna eintrat. Aber bald
Zerließ er ihn, indem er sagte: "Diese Weisheit Aratas ist keine wahrhaft
befreiende, nach ihr leben heißt nicht wirklich Erlösung gewinnen und das Elend
^'schöpfen. Aber ich bedarf noch tieferer Nachforschung." Damit begab er sich
uach Radjagriha, der Hauptstadt von Magadha, wohin ihm der Ruf
des Opfers, das er durch seinen Verzicht auf den Thron gebracht,
seines Wissens und seiner strengen Lebensweise vorausgegangen war.
Hier wurde er Schüler des Bramanen Rudrccka, der sür einen noch
größeren Weisen galt als Arata. Bald aber trennte er sich auch von
diesem, indem er zu ihm sprach: "Freund, dieser Weg führt nicht zur Gleich¬
gültigkeit gegen die Dinge dieser Welt, nicht zur Befreiung von der Leiden¬
schaft, nicht zur Verhinderung des Wechsels im Dasein, nicht zur Ruhe, zur
vollkommnen Erkenntniß, zum Nirwana." Fünf Mitschüler folgten ihm, als
^r sich nun in die Einsamkeit begab, die er zuerst auf dem Berge Gaja, dann an
einem Orte Namens Uruwilwa am Ufer der Naircmdjana suchte. Hier er¬
kannte er vollkommen das Ungenügende des Wissens der Bramanen und begann
sich stärker als sie zu fühlen. Aber es blieb ihm noch übrig, sich gegen sich
selbst zu befestigen, und obwohl er die Uebertreibung der bramanischen Askese
uicht billigte, beschloß er, sich zu vollständiger Dämpfung seiner Sinnlichkeit
eine Zeitlang den härtesten Entbehrungen auszusetzen. Nachdem er sich sechs
ganze Jahre lasten, erkannte er, daß die übertriebenen Fasten seine Denkkraft
schwachem. Er begann also reichlichere Nahrung zu sich zu nehmen, und als
seine Gefährten dies sahen, verließen sie ihn als einen Schwächling, der seine
Gelübde gebrochen. Allein in Uruwilwa zurückgeblieben, setzte der Sohn
Ssuddhodanas seine Betrachtungen fort. Er pflegte dabei unter einem großen


Geburtsstadt, indem er die zu seiner Bewachung bestellten Diener des Königs
buschte. Mit einem letzten Blicke auf die theuren Orte sagte er mit sanfter
Stimme: „Bevor ich nicht das Aufhören von Geburt und Tod erreicht habe,
werde ich Kapilawastu nicht wieder betreten; ich werde nicht eher dahin zurück¬
kehren, als bis ich die erhabne Wohnung, da weder Alter noch Tod ist, und
das reine Wissen erreicht habe. Wenn ich wieder hierher komme, wird Kapila¬
wastu wach sein und nicht mehr vom Schlafe befangen." Nachdem er die
Grenze der Staaten seines Vaters gewonnen, legte er seine Prunkgewänder ab,
schnitt sich das Haar, zog das Kleid eines büßenden Bettlers an und nannte
sich Ssakjamuni, „Einsiedler vom Stamme der Ssakias" und Ssrcimana
Gautama, „Asket vom Geschlecht Gautamas".

Zunächst zog Ssakjamuni nicht in die Einsamkeit; denn er wollte vorher
mit der bramanischen Lehre genauer bekannt werden und sich an ihr prüfen.
So wanderte er, fortan von Almosen lebend, nach der Stadt Waißali, wo er
in die Schule des berühmten Bramanen Arata Kalcuna eintrat. Aber bald
Zerließ er ihn, indem er sagte: „Diese Weisheit Aratas ist keine wahrhaft
befreiende, nach ihr leben heißt nicht wirklich Erlösung gewinnen und das Elend
^'schöpfen. Aber ich bedarf noch tieferer Nachforschung." Damit begab er sich
uach Radjagriha, der Hauptstadt von Magadha, wohin ihm der Ruf
des Opfers, das er durch seinen Verzicht auf den Thron gebracht,
seines Wissens und seiner strengen Lebensweise vorausgegangen war.
Hier wurde er Schüler des Bramanen Rudrccka, der sür einen noch
größeren Weisen galt als Arata. Bald aber trennte er sich auch von
diesem, indem er zu ihm sprach: „Freund, dieser Weg führt nicht zur Gleich¬
gültigkeit gegen die Dinge dieser Welt, nicht zur Befreiung von der Leiden¬
schaft, nicht zur Verhinderung des Wechsels im Dasein, nicht zur Ruhe, zur
vollkommnen Erkenntniß, zum Nirwana." Fünf Mitschüler folgten ihm, als
^r sich nun in die Einsamkeit begab, die er zuerst auf dem Berge Gaja, dann an
einem Orte Namens Uruwilwa am Ufer der Naircmdjana suchte. Hier er¬
kannte er vollkommen das Ungenügende des Wissens der Bramanen und begann
sich stärker als sie zu fühlen. Aber es blieb ihm noch übrig, sich gegen sich
selbst zu befestigen, und obwohl er die Uebertreibung der bramanischen Askese
uicht billigte, beschloß er, sich zu vollständiger Dämpfung seiner Sinnlichkeit
eine Zeitlang den härtesten Entbehrungen auszusetzen. Nachdem er sich sechs
ganze Jahre lasten, erkannte er, daß die übertriebenen Fasten seine Denkkraft
schwachem. Er begann also reichlichere Nahrung zu sich zu nehmen, und als
seine Gefährten dies sahen, verließen sie ihn als einen Schwächling, der seine
Gelübde gebrochen. Allein in Uruwilwa zurückgeblieben, setzte der Sohn
Ssuddhodanas seine Betrachtungen fort. Er pflegte dabei unter einem großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/139>, abgerufen am 03.07.2024.