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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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die im Holze sitzen oder wohnen. Der Personenname Weinhold hat weder
mit dem Weine noch mit der Huld etwas zu schaffen; die erste Hälfte lautet
ursprünglich >vim oder vins, d. i. Freund, und ist in vielen deutschen Namen
als erstes oder zweites Glied enthalten; die zweite Hälfte heißt eigentlich
und kommt vom Walten her; auch ihr begegnen wir unter den mannigfachsten
Verkappnngen -- Wald, bald, hold, gold, sogar holz! -- in unzähligen deutschen
Namen. Balduin also oder Baldewiu ist nichts anderes als die Umkehr
von Weinhold, und Archenholz, der Name des bekannten Verfassers der
Geschichte des siebenjährigen Krieges, nichts andres als eine nach einer anderen
Richtung ausgewichene Nebenform von Arnold; der erste Theil lautet im
Altdeutschen ereilen, d. h. wahrhaft, vorzüglich, echt. Die Namen zweier
anderer Historiker, Wachsmuth und Kohlrausch, sind der eine in der ersten,
der andere in der zweiten Hülste umgedeutet; waelis ist aus was, d. h. scharf,
i'-infekt aus ruseii und ruls entstellt. Tell kämpf bedeutet ein mit jungen
Schößlingen beflecktes Feld und lautet eigentlich tölgsneamp, Pfoten Hauer
ist der, welcher die Psellen, d. h. die Dachbalken des Hauses beHaut, Wohlrab,
derselbe Name wie Walraff, bezeichnet den Raben der Walstatt, Sonnen¬
leiter denjenigen, der sich an einer Svnnenleite, d. h. an einem sonnigen
Bergabhange, Mill entzwei den, der sich mitten zwischen zwei anderen angebaut
hat. In Meisezahl ebenso wie in Rübezahl ist das altdeutsche Wort für
Schwanz, 5i!Z,Zei, erhalten, an Zahl ist nicht zu denken; derjenige also des Ge¬
schlechtes Meisezahl, der sich zuerst Mäusezahl schrieb, hat, während er viel¬
leicht an die Gleim'sche Fabel dachte: "Ein milchweiß Mäuschen war einmal
in einer großen Mäusezahl", unbewußt eine richtige und sinnvolle Neu¬
bildung geschaffen; hätte er freilich eine Ahnung davon gehabt, so würde er
wohl Mausezahl dafür gesagt haben. Auch zahlreiche Straßen-, selbst
einzelne Häusermauer sind durch Volksetymologie umgestaltet worden. Jede
größere Stadt hat Beispiele davon aufzuweisen; das moderne Publikum ahnt
selten, was hinter dem oder jenem alten Straßennamen sich verbirgt, für den
Lokalhistoriker ist es eine anziehende Aufgabe, auch dieser Seite der Lokalgeschichte
nachzuspüren. Die alte Heustraße Leipzigs, die rsgio toeni, wie sie im
sechzehnten Jahrhundert noch überall in lateinischen Urkunden heißt, ist allmähliche
die vornehmere Hainstraße umgeformt worden; die offizielle Umlaufe hat sich
schließlich dem Volksmunde angeschlossen. In Dresden ist aus der ehemaligen
S anitütsgasse eine Zahnsgasse geworden, in Hamburg aus derKaffa-
macher reihe, d. h. der Straße der Kaffcuuacher -- Kaffa ist eine Art
Taffet --- eine Kaffeemach erei! Das "Knabenmärchen", welches Goethe
in "Dichtung und Wahrheit" erzählt, verlegt er an die sogenannte "schlimme
Mauer" in Frankfurt; diesen ominösen Namen hatte aber nur der Volks-


die im Holze sitzen oder wohnen. Der Personenname Weinhold hat weder
mit dem Weine noch mit der Huld etwas zu schaffen; die erste Hälfte lautet
ursprünglich >vim oder vins, d. i. Freund, und ist in vielen deutschen Namen
als erstes oder zweites Glied enthalten; die zweite Hälfte heißt eigentlich
und kommt vom Walten her; auch ihr begegnen wir unter den mannigfachsten
Verkappnngen — Wald, bald, hold, gold, sogar holz! — in unzähligen deutschen
Namen. Balduin also oder Baldewiu ist nichts anderes als die Umkehr
von Weinhold, und Archenholz, der Name des bekannten Verfassers der
Geschichte des siebenjährigen Krieges, nichts andres als eine nach einer anderen
Richtung ausgewichene Nebenform von Arnold; der erste Theil lautet im
Altdeutschen ereilen, d. h. wahrhaft, vorzüglich, echt. Die Namen zweier
anderer Historiker, Wachsmuth und Kohlrausch, sind der eine in der ersten,
der andere in der zweiten Hülste umgedeutet; waelis ist aus was, d. h. scharf,
i'-infekt aus ruseii und ruls entstellt. Tell kämpf bedeutet ein mit jungen
Schößlingen beflecktes Feld und lautet eigentlich tölgsneamp, Pfoten Hauer
ist der, welcher die Psellen, d. h. die Dachbalken des Hauses beHaut, Wohlrab,
derselbe Name wie Walraff, bezeichnet den Raben der Walstatt, Sonnen¬
leiter denjenigen, der sich an einer Svnnenleite, d. h. an einem sonnigen
Bergabhange, Mill entzwei den, der sich mitten zwischen zwei anderen angebaut
hat. In Meisezahl ebenso wie in Rübezahl ist das altdeutsche Wort für
Schwanz, 5i!Z,Zei, erhalten, an Zahl ist nicht zu denken; derjenige also des Ge¬
schlechtes Meisezahl, der sich zuerst Mäusezahl schrieb, hat, während er viel¬
leicht an die Gleim'sche Fabel dachte: „Ein milchweiß Mäuschen war einmal
in einer großen Mäusezahl", unbewußt eine richtige und sinnvolle Neu¬
bildung geschaffen; hätte er freilich eine Ahnung davon gehabt, so würde er
wohl Mausezahl dafür gesagt haben. Auch zahlreiche Straßen-, selbst
einzelne Häusermauer sind durch Volksetymologie umgestaltet worden. Jede
größere Stadt hat Beispiele davon aufzuweisen; das moderne Publikum ahnt
selten, was hinter dem oder jenem alten Straßennamen sich verbirgt, für den
Lokalhistoriker ist es eine anziehende Aufgabe, auch dieser Seite der Lokalgeschichte
nachzuspüren. Die alte Heustraße Leipzigs, die rsgio toeni, wie sie im
sechzehnten Jahrhundert noch überall in lateinischen Urkunden heißt, ist allmähliche
die vornehmere Hainstraße umgeformt worden; die offizielle Umlaufe hat sich
schließlich dem Volksmunde angeschlossen. In Dresden ist aus der ehemaligen
S anitütsgasse eine Zahnsgasse geworden, in Hamburg aus derKaffa-
macher reihe, d. h. der Straße der Kaffcuuacher — Kaffa ist eine Art
Taffet —- eine Kaffeemach erei! Das „Knabenmärchen", welches Goethe
in „Dichtung und Wahrheit" erzählt, verlegt er an die sogenannte „schlimme
Mauer" in Frankfurt; diesen ominösen Namen hatte aber nur der Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/132>, abgerufen am 03.07.2024.