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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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mund aus dem Namen des ehemaligen Besitzers Slymme gemacht. Ganz
dieselbe Bewandniß hat es mit dem abschreckenden Namen des berühmten
Rauben Hauses bei Hamburg. Das Haus gehörte ehedem einem gewissen
Rüge; das plattdeutsche IwM's uns aber klingt, wenn das erste Wort nicht
mehr als Eigenname verstanden wird, hochdeutsch genau so, wie jetzt der
Name lautet.

Die sämmtlichen hier aufgeführten Fälle von Volksetymologie haben fast
ausnahmslos auch in der Schriftsprache Bürgerrecht erlangt, sie sind voll¬
ständig durchgedrungen, und keinem Menschen kann es in den Sinn kommen,
hier etwa die Sprache meistern und zu der alten Form zurückkehren zu wollen.
Von demselben Erfolge sind aber nicht alle volksetymologischen Regungen be¬
gleitet gewesen. Bisweilen hat die Wissenschaft ihre bessere Erkenntniß dagegen
geltend zu machen gesucht. Sie hat dies bald mit mehr, bald mit weniger
Recht, auch bald mit mehr oder weniger Glück gethan. Wenn der Volksmund
heute vom Schlittschuh redet, so liegt hier allerdings nur eine nachträgliche
Anlehnung an Schlitten vor; die ältere Sprache kennt nur 8enritösenuoeli
und sourittelsenunen. Der Gebildete, der dies weiß, sagt denn wohl nun auch
geflissentlich und auffällig Schrittschuh, und so liegen die beiden Formen
gegenwärtig geradezu mit einander im Kampfe. Wahrscheinlich wird aber doch
die volksetymologische Form schließlich den Sieg behalten. Derselbe Kampf
hat sich in neuerer Zeit zwischen Sündfluth und Sinfluth entsponnen.
Unzweifelhaft ist die letztere Form die alte und echte; 8in bedeutet etwas ver¬
stärktes oder dauerndes, wie auch in Singrün für Immergrün; daher Sin¬
fluth die große Fluth. Aber die Volksetymologie ist in diesem Falle, ähnlich
wie in dem oben erwähnten Friedhof, einen so glücklichen Weg gegangen, daß
man sie ruhig laufen lassen und nicht zur Umkehr zu bringen suchen sollte,
Etwas anderes ist es mit Abenteuer; hier kann man sich drüber freuen,
daß es gelungen ist, die thörichte Schreibung des vorigen Jahrhunderts.
Ab entHeuer, die doch jedenfalls nicht bloß eine unorthographische, sondern
eine volksetymologische war, insofern sie darauf anspielte, daß die Abenteuer
oft am "Abend" stattfinden und "theuer" zu stehen kommen, wieder zu be¬
seitigen und uns wieder allgemein das Bewußtsein der richtigen Herleitung von
avenwro beizubringen. In einem Falle aber hat die Schriftsprache das größte
Recht, mit Argusaugen darüber zu wachen, daß die volksthümliche Auffassung
nicht etwa durchdringe; dann nämlich, wenn das volksetymologische Gewächs
jüngeren oder gar jüngsten Datums ist. Ein gemeinschaftlicher Zug aller in
die Schriftsprache recipirten Volksetymologieen ist der, daß sie aus sehr alter
Zeit stammen, daß sie sich in einer Periode gebildet haben, wo die Schrift¬
sprache noch nicht fixirt war. Nur dadurch erklärt sich überhaupt ihre Auf-


Grenzboten II. 1877. 17

mund aus dem Namen des ehemaligen Besitzers Slymme gemacht. Ganz
dieselbe Bewandniß hat es mit dem abschreckenden Namen des berühmten
Rauben Hauses bei Hamburg. Das Haus gehörte ehedem einem gewissen
Rüge; das plattdeutsche IwM's uns aber klingt, wenn das erste Wort nicht
mehr als Eigenname verstanden wird, hochdeutsch genau so, wie jetzt der
Name lautet.

Die sämmtlichen hier aufgeführten Fälle von Volksetymologie haben fast
ausnahmslos auch in der Schriftsprache Bürgerrecht erlangt, sie sind voll¬
ständig durchgedrungen, und keinem Menschen kann es in den Sinn kommen,
hier etwa die Sprache meistern und zu der alten Form zurückkehren zu wollen.
Von demselben Erfolge sind aber nicht alle volksetymologischen Regungen be¬
gleitet gewesen. Bisweilen hat die Wissenschaft ihre bessere Erkenntniß dagegen
geltend zu machen gesucht. Sie hat dies bald mit mehr, bald mit weniger
Recht, auch bald mit mehr oder weniger Glück gethan. Wenn der Volksmund
heute vom Schlittschuh redet, so liegt hier allerdings nur eine nachträgliche
Anlehnung an Schlitten vor; die ältere Sprache kennt nur 8enritösenuoeli
und sourittelsenunen. Der Gebildete, der dies weiß, sagt denn wohl nun auch
geflissentlich und auffällig Schrittschuh, und so liegen die beiden Formen
gegenwärtig geradezu mit einander im Kampfe. Wahrscheinlich wird aber doch
die volksetymologische Form schließlich den Sieg behalten. Derselbe Kampf
hat sich in neuerer Zeit zwischen Sündfluth und Sinfluth entsponnen.
Unzweifelhaft ist die letztere Form die alte und echte; 8in bedeutet etwas ver¬
stärktes oder dauerndes, wie auch in Singrün für Immergrün; daher Sin¬
fluth die große Fluth. Aber die Volksetymologie ist in diesem Falle, ähnlich
wie in dem oben erwähnten Friedhof, einen so glücklichen Weg gegangen, daß
man sie ruhig laufen lassen und nicht zur Umkehr zu bringen suchen sollte,
Etwas anderes ist es mit Abenteuer; hier kann man sich drüber freuen,
daß es gelungen ist, die thörichte Schreibung des vorigen Jahrhunderts.
Ab entHeuer, die doch jedenfalls nicht bloß eine unorthographische, sondern
eine volksetymologische war, insofern sie darauf anspielte, daß die Abenteuer
oft am „Abend" stattfinden und „theuer" zu stehen kommen, wieder zu be¬
seitigen und uns wieder allgemein das Bewußtsein der richtigen Herleitung von
avenwro beizubringen. In einem Falle aber hat die Schriftsprache das größte
Recht, mit Argusaugen darüber zu wachen, daß die volksthümliche Auffassung
nicht etwa durchdringe; dann nämlich, wenn das volksetymologische Gewächs
jüngeren oder gar jüngsten Datums ist. Ein gemeinschaftlicher Zug aller in
die Schriftsprache recipirten Volksetymologieen ist der, daß sie aus sehr alter
Zeit stammen, daß sie sich in einer Periode gebildet haben, wo die Schrift¬
sprache noch nicht fixirt war. Nur dadurch erklärt sich überhaupt ihre Auf-


Grenzboten II. 1877. 17
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[0133] mund aus dem Namen des ehemaligen Besitzers Slymme gemacht. Ganz dieselbe Bewandniß hat es mit dem abschreckenden Namen des berühmten Rauben Hauses bei Hamburg. Das Haus gehörte ehedem einem gewissen Rüge; das plattdeutsche IwM's uns aber klingt, wenn das erste Wort nicht mehr als Eigenname verstanden wird, hochdeutsch genau so, wie jetzt der Name lautet. Die sämmtlichen hier aufgeführten Fälle von Volksetymologie haben fast ausnahmslos auch in der Schriftsprache Bürgerrecht erlangt, sie sind voll¬ ständig durchgedrungen, und keinem Menschen kann es in den Sinn kommen, hier etwa die Sprache meistern und zu der alten Form zurückkehren zu wollen. Von demselben Erfolge sind aber nicht alle volksetymologischen Regungen be¬ gleitet gewesen. Bisweilen hat die Wissenschaft ihre bessere Erkenntniß dagegen geltend zu machen gesucht. Sie hat dies bald mit mehr, bald mit weniger Recht, auch bald mit mehr oder weniger Glück gethan. Wenn der Volksmund heute vom Schlittschuh redet, so liegt hier allerdings nur eine nachträgliche Anlehnung an Schlitten vor; die ältere Sprache kennt nur 8enritösenuoeli und sourittelsenunen. Der Gebildete, der dies weiß, sagt denn wohl nun auch geflissentlich und auffällig Schrittschuh, und so liegen die beiden Formen gegenwärtig geradezu mit einander im Kampfe. Wahrscheinlich wird aber doch die volksetymologische Form schließlich den Sieg behalten. Derselbe Kampf hat sich in neuerer Zeit zwischen Sündfluth und Sinfluth entsponnen. Unzweifelhaft ist die letztere Form die alte und echte; 8in bedeutet etwas ver¬ stärktes oder dauerndes, wie auch in Singrün für Immergrün; daher Sin¬ fluth die große Fluth. Aber die Volksetymologie ist in diesem Falle, ähnlich wie in dem oben erwähnten Friedhof, einen so glücklichen Weg gegangen, daß man sie ruhig laufen lassen und nicht zur Umkehr zu bringen suchen sollte, Etwas anderes ist es mit Abenteuer; hier kann man sich drüber freuen, daß es gelungen ist, die thörichte Schreibung des vorigen Jahrhunderts. Ab entHeuer, die doch jedenfalls nicht bloß eine unorthographische, sondern eine volksetymologische war, insofern sie darauf anspielte, daß die Abenteuer oft am „Abend" stattfinden und „theuer" zu stehen kommen, wieder zu be¬ seitigen und uns wieder allgemein das Bewußtsein der richtigen Herleitung von avenwro beizubringen. In einem Falle aber hat die Schriftsprache das größte Recht, mit Argusaugen darüber zu wachen, daß die volksthümliche Auffassung nicht etwa durchdringe; dann nämlich, wenn das volksetymologische Gewächs jüngeren oder gar jüngsten Datums ist. Ein gemeinschaftlicher Zug aller in die Schriftsprache recipirten Volksetymologieen ist der, daß sie aus sehr alter Zeit stammen, daß sie sich in einer Periode gebildet haben, wo die Schrift¬ sprache noch nicht fixirt war. Nur dadurch erklärt sich überhaupt ihre Auf- Grenzboten II. 1877. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/133>, abgerufen am 23.07.2024.