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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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der modernen Bauernfänger, welches in dem geschickten Durcheinanderwerfen
dreier Karten besteht, ist nichts andres als das Gimelblättchen, welches die
Gaunersprache nach dem dritten Buchstaben des hebräischen Alphabets, Zimel,
der auch die Dreizahl bedeutet, benannt hat. Den Boden, auf dem die Volks¬
etymologie gewachsen ist, meint man in diesem Falle fast mit Händen greifen
Zu können, denn nirgends in der Welt wird der "Kümmel" so deutlich und
sauber "Gunnel" ausgesprochen wie in Leipzig, und die Leipziger Messe ist ja
noch heute das ergiebigste Arbeitsfeld aller Kümmelblättchenspieler.

Einige der interessantesten Umbildungen echt deutscher Wörter, die nicht
mehr in ihrer eigentlichen Bedeutung empfunden wurden, sind noch die folgenden.
Der Maulwurf scheint jetzt seinen Namen vom Maule zusahen; in Wahr¬
heit bezeichnet sein Name ein Thier, welches Erde aufwirft, wie die Formen
molwertö und moltnurte beweisen; denn moll, verwandt mit malen und mÄ,
bezeichnet den Staub. Der Schachtelhalm hat mit der Schachtel nicht das
mindeste zu thun, sondern ist aus Schasthalm entstanden; Schacht ist die nieder¬
deutsche Form für das hochdeutsche Schaft, das Verhältniß zwischen beiden
ist dasselbe wie zwischen Schlucht und Schluft, sacht und sanft, Lachter und
Klafter. Durch eine sehr glückliche Umdeutung ist Wetterleuchten aus
dem alten nicht mehr vorhandenen ^vewrleicn, d. h. Wettererscheinung, ge¬
worden, und durch eine nicht minder glückliche unser Fried Hof, mit sinniger
Beziehung auf den Frieden des Todes, aus dem altdeutschen vritliok, der vom
vriten, d. h. schonen, genannt ist und eigentlich nur einen eingehegten, ge¬
schützten Raum bedeutet. In Weichbild, dem alten Namen für Stadtbild
oder Stadtwappen, ist die erste Hälfte wahrscheinlich nichts anderes als das in
allen indogermanischen Sprachen verbreitete Wort für Ort, Flecken, lateinisch
viens; in den zahlreichen englischen Ortsnamen auf wich, (Greenwich), den zahl¬
losen slawischen auf Witz, witsch, itz, itsch, auch in Braunschweig, welches aus
Lruiumis viens entstanden ist, steckt dasselbe Element. Den Flursch nez denken
wir uns am liebsten mit einer Schußwaffe ausgerüstet und zum Schießen be¬
reit; aber auch hier ertappt uns die Wissenschaft auf einer Volksetymologie,
denn wirklich hat er seinen Namen nur davon, daß er die Flur schützt.

Ein unerschöpflich reiches Gebiet für ihre Thätigkeit findet die Volks¬
etymologie in den Eigennamen, den Orts- wie den Personennamen. Das keltische
Ac-Kdlivimm hat sich der Volksmund zu Mailand gemacht, den laeus Lväs.-
olens, der nach dem Orte Bodama genannt ist, mit dem Nebengedanken an
seine bodenlose Tiefe zum Bodensee, aus Vogosus ist Wasgau, aus
VlauSii lorum Klagenfurt entstanden. Wenn wir Holstein vom Holze ab¬
leiten, so haben wir Recht, aber den Stein müssen wir fernhalten; die Be¬
wohner von Holstein, die Holsten, hießen ursprünglich noltsstsn, d. h. Leute,


der modernen Bauernfänger, welches in dem geschickten Durcheinanderwerfen
dreier Karten besteht, ist nichts andres als das Gimelblättchen, welches die
Gaunersprache nach dem dritten Buchstaben des hebräischen Alphabets, Zimel,
der auch die Dreizahl bedeutet, benannt hat. Den Boden, auf dem die Volks¬
etymologie gewachsen ist, meint man in diesem Falle fast mit Händen greifen
Zu können, denn nirgends in der Welt wird der „Kümmel" so deutlich und
sauber „Gunnel" ausgesprochen wie in Leipzig, und die Leipziger Messe ist ja
noch heute das ergiebigste Arbeitsfeld aller Kümmelblättchenspieler.

Einige der interessantesten Umbildungen echt deutscher Wörter, die nicht
mehr in ihrer eigentlichen Bedeutung empfunden wurden, sind noch die folgenden.
Der Maulwurf scheint jetzt seinen Namen vom Maule zusahen; in Wahr¬
heit bezeichnet sein Name ein Thier, welches Erde aufwirft, wie die Formen
molwertö und moltnurte beweisen; denn moll, verwandt mit malen und mÄ,
bezeichnet den Staub. Der Schachtelhalm hat mit der Schachtel nicht das
mindeste zu thun, sondern ist aus Schasthalm entstanden; Schacht ist die nieder¬
deutsche Form für das hochdeutsche Schaft, das Verhältniß zwischen beiden
ist dasselbe wie zwischen Schlucht und Schluft, sacht und sanft, Lachter und
Klafter. Durch eine sehr glückliche Umdeutung ist Wetterleuchten aus
dem alten nicht mehr vorhandenen ^vewrleicn, d. h. Wettererscheinung, ge¬
worden, und durch eine nicht minder glückliche unser Fried Hof, mit sinniger
Beziehung auf den Frieden des Todes, aus dem altdeutschen vritliok, der vom
vriten, d. h. schonen, genannt ist und eigentlich nur einen eingehegten, ge¬
schützten Raum bedeutet. In Weichbild, dem alten Namen für Stadtbild
oder Stadtwappen, ist die erste Hälfte wahrscheinlich nichts anderes als das in
allen indogermanischen Sprachen verbreitete Wort für Ort, Flecken, lateinisch
viens; in den zahlreichen englischen Ortsnamen auf wich, (Greenwich), den zahl¬
losen slawischen auf Witz, witsch, itz, itsch, auch in Braunschweig, welches aus
Lruiumis viens entstanden ist, steckt dasselbe Element. Den Flursch nez denken
wir uns am liebsten mit einer Schußwaffe ausgerüstet und zum Schießen be¬
reit; aber auch hier ertappt uns die Wissenschaft auf einer Volksetymologie,
denn wirklich hat er seinen Namen nur davon, daß er die Flur schützt.

Ein unerschöpflich reiches Gebiet für ihre Thätigkeit findet die Volks¬
etymologie in den Eigennamen, den Orts- wie den Personennamen. Das keltische
Ac-Kdlivimm hat sich der Volksmund zu Mailand gemacht, den laeus Lväs.-
olens, der nach dem Orte Bodama genannt ist, mit dem Nebengedanken an
seine bodenlose Tiefe zum Bodensee, aus Vogosus ist Wasgau, aus
VlauSii lorum Klagenfurt entstanden. Wenn wir Holstein vom Holze ab¬
leiten, so haben wir Recht, aber den Stein müssen wir fernhalten; die Be¬
wohner von Holstein, die Holsten, hießen ursprünglich noltsstsn, d. h. Leute,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/131>, abgerufen am 22.07.2024.