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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Formate bedeute, mit nimvi-, Minute, Minuend u. a. zusammenhängen.
Und wie verkehrt ist diese Zusammenstellung! Das Wort hat folgenden Ur¬
sprung. Im Lateinischen bedeutet ininiuin den Zinnober oder Mennig, und
mmiare roth färben; als alni^tui-a.6 bezeichnete man im Mittelalter die
großen, anfangs gewöhnlich roth gemalten Anfangsbuchstaben in den Perga¬
menthandschriften, und als diese später in reichster Farbenpracht ausgeführt,
ja sogar mit kleinen Bildern, die zugleich zur Illustration des geschriebenen
Textes dienten, ausgefüllt wurden, so nannte man nun auch diese prächtigen
Initialen ebenso wie die darin befindlichen bildlichen Darstellungen Miniaturen.
Nun war dem Mißverständniß Thür und Thor geöffnet. Ein Miniatur-
gemälde mußte nun natürlich dem Wand- oder Staffeleigemälde gegenüber
jedes "kleine" Gemälde bezeichnen, auch wenn es sich nicht in einem Kodex
befand, und von den Miniaturbildern war zu den Miniaturausgaben, diesen
"Mignons" der Literatur, nur noch ein kleiner Schritt.

Ein interessantes Beispiel desselben Falles haben wir im Laufe des letzten
Jahrzehnts vor unsern eignen Augen sich bilden sehen; von sprachkundiger
Seite wurde wiederholt auf den volksetymologischen Eindringling in der Presse
aufmerksam gemacht, doch halfen alle Warnungen nichts, das einmal irrege¬
leitete Sprachbewußtsein ließ sich nicht mehr auf die richtige Fährte zurück¬
bringen. Im Jahre 1870 konnte man eine Zeit lang keine Zeitung zur Hand
nehmen, in der man nicht dem Worte Repressalie begegnet wäre. Man
schrieb z. B. bei Gelegenheit der Austreibung von Deutschen aus Paris:
"Sollen wir für diese Barbarei Repressalien ergreifen?" oder "Sollen wir
Repressalie üben und Gleiches mit Gleichem vergelten?" Offenbar leitete
man, wie das Doppel-s beweist, das Wort vom lateinischen r<zxrimere, dagegen-
drücken, ab und dachte sich unter Repressalie etwas ähnliches wie Pression,
Druckmittel oder Nöthigungsmittel. Die Herren Diplomaten und Journalisten
waren aber dabei gründlich der Volksetymologie in die Hände gefallen. Die
Repressalien, die sie meinten, sollten offenbar die französischen repräsailws
sein -- italienisch ripresg-Zug., spanisch reprssaliÄ -- sie sind abzuleiten vom
lateinischen rexrelienÄers, bedeuten Entschädigung, Wiedervergeltung, Rache
und sind schlechterdings mit einem s zu schreiben.

Der vierte Fall endlich, daß dem Volksohr ein von Hause aus deutsches
Wort an ein Fremdwort anklingt, liegt in Equipage vor. Die meisten
werden geneigt sein, hierbei an den mit Pferden bespannten Wagen und folglich
an Lquus zu denken, während das Wort ursprünglich die Ausrüstung eines
Schiffes, dann, wie noch im vorigen Jahrhundert, z. B. in Lessings "Minna
von Barnhelm", die militärische Ausstattung, das, was wir heute Equipirung


Formate bedeute, mit nimvi-, Minute, Minuend u. a. zusammenhängen.
Und wie verkehrt ist diese Zusammenstellung! Das Wort hat folgenden Ur¬
sprung. Im Lateinischen bedeutet ininiuin den Zinnober oder Mennig, und
mmiare roth färben; als alni^tui-a.6 bezeichnete man im Mittelalter die
großen, anfangs gewöhnlich roth gemalten Anfangsbuchstaben in den Perga¬
menthandschriften, und als diese später in reichster Farbenpracht ausgeführt,
ja sogar mit kleinen Bildern, die zugleich zur Illustration des geschriebenen
Textes dienten, ausgefüllt wurden, so nannte man nun auch diese prächtigen
Initialen ebenso wie die darin befindlichen bildlichen Darstellungen Miniaturen.
Nun war dem Mißverständniß Thür und Thor geöffnet. Ein Miniatur-
gemälde mußte nun natürlich dem Wand- oder Staffeleigemälde gegenüber
jedes „kleine" Gemälde bezeichnen, auch wenn es sich nicht in einem Kodex
befand, und von den Miniaturbildern war zu den Miniaturausgaben, diesen
„Mignons" der Literatur, nur noch ein kleiner Schritt.

Ein interessantes Beispiel desselben Falles haben wir im Laufe des letzten
Jahrzehnts vor unsern eignen Augen sich bilden sehen; von sprachkundiger
Seite wurde wiederholt auf den volksetymologischen Eindringling in der Presse
aufmerksam gemacht, doch halfen alle Warnungen nichts, das einmal irrege¬
leitete Sprachbewußtsein ließ sich nicht mehr auf die richtige Fährte zurück¬
bringen. Im Jahre 1870 konnte man eine Zeit lang keine Zeitung zur Hand
nehmen, in der man nicht dem Worte Repressalie begegnet wäre. Man
schrieb z. B. bei Gelegenheit der Austreibung von Deutschen aus Paris:
„Sollen wir für diese Barbarei Repressalien ergreifen?" oder „Sollen wir
Repressalie üben und Gleiches mit Gleichem vergelten?" Offenbar leitete
man, wie das Doppel-s beweist, das Wort vom lateinischen r<zxrimere, dagegen-
drücken, ab und dachte sich unter Repressalie etwas ähnliches wie Pression,
Druckmittel oder Nöthigungsmittel. Die Herren Diplomaten und Journalisten
waren aber dabei gründlich der Volksetymologie in die Hände gefallen. Die
Repressalien, die sie meinten, sollten offenbar die französischen repräsailws
sein — italienisch ripresg-Zug., spanisch reprssaliÄ — sie sind abzuleiten vom
lateinischen rexrelienÄers, bedeuten Entschädigung, Wiedervergeltung, Rache
und sind schlechterdings mit einem s zu schreiben.

Der vierte Fall endlich, daß dem Volksohr ein von Hause aus deutsches
Wort an ein Fremdwort anklingt, liegt in Equipage vor. Die meisten
werden geneigt sein, hierbei an den mit Pferden bespannten Wagen und folglich
an Lquus zu denken, während das Wort ursprünglich die Ausrüstung eines
Schiffes, dann, wie noch im vorigen Jahrhundert, z. B. in Lessings „Minna
von Barnhelm", die militärische Ausstattung, das, was wir heute Equipirung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/128>, abgerufen am 29.06.2024.