Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.Ein klassisches Beispiel für den ersten Fall bildet die scheinbare Zusammen¬ Für den zweiten Fall, daß ein nicht mehr verstandenes altdeutsches Wort Der dritte Fall, daß das Sprachbewußtsein des Volkes bei der Erklärung Ein klassisches Beispiel für den ersten Fall bildet die scheinbare Zusammen¬ Für den zweiten Fall, daß ein nicht mehr verstandenes altdeutsches Wort Der dritte Fall, daß das Sprachbewußtsein des Volkes bei der Erklärung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137828"/> <p xml:id="ID_313"> Ein klassisches Beispiel für den ersten Fall bildet die scheinbare Zusammen¬<lb/> setzung Armbrust. Das Wort hat weder mit dem Arm noch mit der Brust<lb/> etwas zu thun, auch ist es nicht etwa als Arad-rust, Rüstung oder Wehr<lb/> des Armes aufzufassen, wie man es zu erklären versucht hat, sondern es ist<lb/> ein bis zu völliger Unkenntniß entstelltes mittellateinisches Wort. Das mittel¬<lb/> alterliche Latein bildete aus wllistg., dem bekannten Wurfgeschoß der Römer,<lb/> und arcus, dem Bogen, die Zusammensetzung areudaI1i8ta. Diese wurde im<lb/> Laufe der Zeit verstümmelt zunächst zu arbalistg,, dann wahrscheinlich zu<lb/> ardlistÄ, arvlest, arbrtzst, arbrost, von welchen Formen die letzte<lb/> urkundlich nachweisbar ist, während auf die übrigen als auf nothwendige<lb/> Uebergangsformen wenigstens geschlossen werden kann, und nun ruhte der<lb/> Bolksmund nicht eher, als bis er das längst nicht mehr verstandene Wort sich<lb/> soweit umgemodelt hatte, daß es ihm wieder an deutsche Worte anklang. Der<lb/> Wandel, den das Wort durchgemacht hat, erinnert allerdings stark an jene<lb/> boshafte Verspottung etymologischer Hirngespinste, welche das griechische<lb/> ilwpex mit dem deutschen Fuchs durch die Mittelstufen loxex, oxsx, xex, xix,<lb/> pax, xux in Verbindung setzt, aber dennoch ist nicht im mindesten an der<lb/> Richtigkeit der Ableitung zu zweifeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_314"> Für den zweiten Fall, daß ein nicht mehr verstandenes altdeutsches Wort<lb/> an neudeutsche angelehnt wird, bildet das Wort Leumund ein instruktives<lb/> Beispiel. In der Volksschule wurde uns bei Gelegenheit der Luther'schen Er¬<lb/> klärung des achten Gebotes bei den Worten „afterreden oder bösen Leumund<lb/> >uneben" gesagt, Leumund sei entstanden aus „der Leute Mund"; in bösen<lb/> Leumund komme derjenige, dem „in der Leute Mund" übel mitgespielt<lb/> werde — sachlich sehr richtig, sprachlich total verkehrt. Das Wort stammt her<lb/> von der Wurzel ein, eh, eil, altdeutsch Mu oder no, hören, derselben Wurzel,<lb/> von der auch unser Laut und laut, das lateinische ob^of, berühmt, und<lb/> der Client, d. i. der Hörige, abgeleitet ist, und lautet noch im Mittelhoch¬<lb/> deutschen liuwunt, d. i. Ruf, Ruhm, Gerücht; die vollklingende Endung wurde<lb/> dann, wie in Jugend und Abend, zu Uumeut abgeschwächt, hieraus wurde<lb/> Annee und Isumet, und während sich das Zeitwort verleumden natürlich<lb/> an die abgeschliffene Form angeschlossen hat, ist in Leumund durch die hier<lb/> frühzeitig thätige Volksetymologie die volle Endung gewahrt geblieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> Der dritte Fall, daß das Sprachbewußtsein des Volkes bei der Erklärung<lb/> eines Fremdwortes irrthümlicher Weise zu einem zweiten Fremdworte griff,<lb/> findet ein merkwürdiges Beispiel in dem Worte Miniatur. Wenn wir heute<lb/> von „Miniaturausgaben mit Goldschnitt" reden, so ist zehn gegen eins zu<lb/> wetten, daß auch gebildete Leute im Stillen dabei die Vorstellung haben, Mi¬<lb/> niaturausgabe müsse, weil es ein Buch in besonders kleinem und zierlichem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0127]
Ein klassisches Beispiel für den ersten Fall bildet die scheinbare Zusammen¬
setzung Armbrust. Das Wort hat weder mit dem Arm noch mit der Brust
etwas zu thun, auch ist es nicht etwa als Arad-rust, Rüstung oder Wehr
des Armes aufzufassen, wie man es zu erklären versucht hat, sondern es ist
ein bis zu völliger Unkenntniß entstelltes mittellateinisches Wort. Das mittel¬
alterliche Latein bildete aus wllistg., dem bekannten Wurfgeschoß der Römer,
und arcus, dem Bogen, die Zusammensetzung areudaI1i8ta. Diese wurde im
Laufe der Zeit verstümmelt zunächst zu arbalistg,, dann wahrscheinlich zu
ardlistÄ, arvlest, arbrtzst, arbrost, von welchen Formen die letzte
urkundlich nachweisbar ist, während auf die übrigen als auf nothwendige
Uebergangsformen wenigstens geschlossen werden kann, und nun ruhte der
Bolksmund nicht eher, als bis er das längst nicht mehr verstandene Wort sich
soweit umgemodelt hatte, daß es ihm wieder an deutsche Worte anklang. Der
Wandel, den das Wort durchgemacht hat, erinnert allerdings stark an jene
boshafte Verspottung etymologischer Hirngespinste, welche das griechische
ilwpex mit dem deutschen Fuchs durch die Mittelstufen loxex, oxsx, xex, xix,
pax, xux in Verbindung setzt, aber dennoch ist nicht im mindesten an der
Richtigkeit der Ableitung zu zweifeln.
Für den zweiten Fall, daß ein nicht mehr verstandenes altdeutsches Wort
an neudeutsche angelehnt wird, bildet das Wort Leumund ein instruktives
Beispiel. In der Volksschule wurde uns bei Gelegenheit der Luther'schen Er¬
klärung des achten Gebotes bei den Worten „afterreden oder bösen Leumund
>uneben" gesagt, Leumund sei entstanden aus „der Leute Mund"; in bösen
Leumund komme derjenige, dem „in der Leute Mund" übel mitgespielt
werde — sachlich sehr richtig, sprachlich total verkehrt. Das Wort stammt her
von der Wurzel ein, eh, eil, altdeutsch Mu oder no, hören, derselben Wurzel,
von der auch unser Laut und laut, das lateinische ob^of, berühmt, und
der Client, d. i. der Hörige, abgeleitet ist, und lautet noch im Mittelhoch¬
deutschen liuwunt, d. i. Ruf, Ruhm, Gerücht; die vollklingende Endung wurde
dann, wie in Jugend und Abend, zu Uumeut abgeschwächt, hieraus wurde
Annee und Isumet, und während sich das Zeitwort verleumden natürlich
an die abgeschliffene Form angeschlossen hat, ist in Leumund durch die hier
frühzeitig thätige Volksetymologie die volle Endung gewahrt geblieben.
Der dritte Fall, daß das Sprachbewußtsein des Volkes bei der Erklärung
eines Fremdwortes irrthümlicher Weise zu einem zweiten Fremdworte griff,
findet ein merkwürdiges Beispiel in dem Worte Miniatur. Wenn wir heute
von „Miniaturausgaben mit Goldschnitt" reden, so ist zehn gegen eins zu
wetten, daß auch gebildete Leute im Stillen dabei die Vorstellung haben, Mi¬
niaturausgabe müsse, weil es ein Buch in besonders kleinem und zierlichem
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