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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Mit Recht hat man behauptet, daß bis zur Mannbarkeit zwischen beiden
Geschlechtern in geistiger Beziehung nur ein geringer Unterschied herrsche, ja
daß der Vortheil -- wenn ein solcher vorhanden -- sich auf Seiten des Mäd¬
chens finde. Daraus läßt sich aber keineswegs auf eine geistige Gleichstellung
der Geschlechter schließen. Je höher ein Thier oder eine Pflanze auf der na¬
türlichen Rangstufe steht, desto langsamer erlangt es seine höchste Entwickelung,
und so ist es mit den Knaben, die später reifen als die Mädchen, sowohl in
leiblicher als geistiger Beziehung. Aber abgesehen hiervon kann man schon in
früher Jugend auf den gewaltigen geistigen Unterschied beider Geschlechter
schließen, wenn man nur die charakteristischen Spieläußerungen beobachtet, die
sich bei allen Völkern über den ganzen Erdball gleich bleiben.

Die Knaben sind aktiver, lieben den Lärm, kriegerische Spiele, Pferde,
spielen Soldaten, Räuber u. dergl., ja selbst der kleinste greift zur Pickelhaube,
wie der als Mädchen verkleidete Achilles zum Schwert. Puppen, Spiegel,
Putz sind die Attribute der Mädchen, und bei den meisten Naturvölkern finden
wir Puppen, wie bei uns, für die Mädchen -- nicht für die Knaben.
Spielt eine Drehorgel auf der Straße und versammeln sich die Kinder um
dieselbe, so wird man überall die Beobachtung machen können, daß es vor¬
zugsweise die Mädchen sind, welche nach deren Tönen tanzen.

Aber wie gesagt, der große Unterschied tritt erst hervor zur Zeit der
Mannbarkeit. Während der Mann nun, das nachreisen abgerechnet, in phy¬
sischer Beziehung fertig dasteht, ist das Weib zwanzig oder dreißig Jahre lang
der wunderbare Apparat für den Reproduktionsprozeß. Ob die Menstruation
dem Weibe eigen ist, oder ob sie dieselbe noch mit anderen Säugethieren theilt,
gleichviel, sie charakterisirt die Frauen aller Rassen, wenn auch dieser Prozeß
je nach Rasse, nach Temperament und Gesundheit in Bezug auf seine Dauer
verschieden ist. So viel aber ist sicher, daß während dieses Prozesses, der
lo ganzen Jahre zusammengerechnet mindestens einen Monat in Anspruch nimmt,
das Weib zu großer geistiger oder Physischer Arbeit ungeeignet erscheint. In
dieser Periode bezeichnet Michelet das Weib geradezu als "invalide", und so
ist es auch im Vergleiche mit dem Manne. Noch mehr treten diese Erwä¬
gungen auf, wenn man das Weib in der Schwangerschaft betrachtet, wo es
am ersten des Schutzes und der Hilfe des Mannes bedarf, und gewiß thun jene
der Frau einen größeren Dienst, welche an den großen physiologischen Unter¬
schied erinnern und danach die Stellung des Weibes in der Gesellschaft bemessen
haben wollen, als jene, die den natürlichen Unterschied ignoriren. Mit Dekla¬
mationen wie: "Nur die größere physische Kraft des Mannes hat ihn zur
Herrschaft gebracht" ist gar nichts gethan; läge es an dieser allein, dann


Mit Recht hat man behauptet, daß bis zur Mannbarkeit zwischen beiden
Geschlechtern in geistiger Beziehung nur ein geringer Unterschied herrsche, ja
daß der Vortheil — wenn ein solcher vorhanden — sich auf Seiten des Mäd¬
chens finde. Daraus läßt sich aber keineswegs auf eine geistige Gleichstellung
der Geschlechter schließen. Je höher ein Thier oder eine Pflanze auf der na¬
türlichen Rangstufe steht, desto langsamer erlangt es seine höchste Entwickelung,
und so ist es mit den Knaben, die später reifen als die Mädchen, sowohl in
leiblicher als geistiger Beziehung. Aber abgesehen hiervon kann man schon in
früher Jugend auf den gewaltigen geistigen Unterschied beider Geschlechter
schließen, wenn man nur die charakteristischen Spieläußerungen beobachtet, die
sich bei allen Völkern über den ganzen Erdball gleich bleiben.

Die Knaben sind aktiver, lieben den Lärm, kriegerische Spiele, Pferde,
spielen Soldaten, Räuber u. dergl., ja selbst der kleinste greift zur Pickelhaube,
wie der als Mädchen verkleidete Achilles zum Schwert. Puppen, Spiegel,
Putz sind die Attribute der Mädchen, und bei den meisten Naturvölkern finden
wir Puppen, wie bei uns, für die Mädchen — nicht für die Knaben.
Spielt eine Drehorgel auf der Straße und versammeln sich die Kinder um
dieselbe, so wird man überall die Beobachtung machen können, daß es vor¬
zugsweise die Mädchen sind, welche nach deren Tönen tanzen.

Aber wie gesagt, der große Unterschied tritt erst hervor zur Zeit der
Mannbarkeit. Während der Mann nun, das nachreisen abgerechnet, in phy¬
sischer Beziehung fertig dasteht, ist das Weib zwanzig oder dreißig Jahre lang
der wunderbare Apparat für den Reproduktionsprozeß. Ob die Menstruation
dem Weibe eigen ist, oder ob sie dieselbe noch mit anderen Säugethieren theilt,
gleichviel, sie charakterisirt die Frauen aller Rassen, wenn auch dieser Prozeß
je nach Rasse, nach Temperament und Gesundheit in Bezug auf seine Dauer
verschieden ist. So viel aber ist sicher, daß während dieses Prozesses, der
lo ganzen Jahre zusammengerechnet mindestens einen Monat in Anspruch nimmt,
das Weib zu großer geistiger oder Physischer Arbeit ungeeignet erscheint. In
dieser Periode bezeichnet Michelet das Weib geradezu als „invalide", und so
ist es auch im Vergleiche mit dem Manne. Noch mehr treten diese Erwä¬
gungen auf, wenn man das Weib in der Schwangerschaft betrachtet, wo es
am ersten des Schutzes und der Hilfe des Mannes bedarf, und gewiß thun jene
der Frau einen größeren Dienst, welche an den großen physiologischen Unter¬
schied erinnern und danach die Stellung des Weibes in der Gesellschaft bemessen
haben wollen, als jene, die den natürlichen Unterschied ignoriren. Mit Dekla¬
mationen wie: „Nur die größere physische Kraft des Mannes hat ihn zur
Herrschaft gebracht" ist gar nichts gethan; läge es an dieser allein, dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/119>, abgerufen am 29.06.2024.