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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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verkehren sehen, nicht aber in Zahlenau, wo sich nur Hühner und Enten viel
davor und darin zu schaffen machten. Im Ganzen war dies Leben und Treiben
noch recht polnisch; auch die Abgelegenheit der Küche vom herrschaftlichen
Wohnhaus war es, nur daß die Entfernung, die hier etwa 40--50 Schritte
betrug, sonst noch viel größer war. Die Polen wissen als einen Vortheil
dieser Einrichtung zu rühmen, daß dadurch die Abkühlung der Speisen be¬
wirkt werde, ehe sie auf den herrschaftlichen Tisch kommen, und daß deswegen
sie (die Polen) meistens viel gesundere Zähne haben als die Deutschen, bei
deuen die Suppen kochend heiß auf den Tisch kommen und auf das Andringen
der Hausfrau gleich gegessen werden. So ist der Geschmack verschieden. Wir
Deutschen ziehen es vor, die Suppen im Teller, der sich durch Augen- und
Tastprüfung als durchaus rein erweist, erst etwas abkühlen zu lassen, ehe wir
sie essen, anstatt aus eiuer Küche zu speisen, über deren Schwelle die Haus¬
frau nie den Fuß setzt und in der schmierige Mägde, der Struse und Hunde
so viel Sauberkeit herstellen, als in ihren Kräften liegt. Die guten Zähne be¬
ruhen auf polnischer Selbstberühmung.

Gehen wir nun in Zahlenau weiter. Hinter der Küche führte eine Pforte
dnrch einen niedrigen Lattenzann in den Garten. Nicht auf allen polnischen
Gütern, die ich gesehen, habe ich Gärten angetroffen, man müßte grade einige
Beete Gemüseland, auf denen Frühkartoffel, Mohrrüben, Wrucken (Unterrüben)
und Weißkohl kunstlos gebaut wurden, als solchen ansehen. Wo aber Obst¬
uno Blumengärten vorhanden waren, da konnte man allenfalls erkennen, daß
sie in graden rechtwinkligen Linien, mit Gängen von Beerensträuchern oder
sehr alltäglichen Blumen eingefaßt, angelegt waren, ihr Zustand aber war ein
vollkommen verwahrloster. Von Beerensträuchern gaben nnr die Himbeeren
erkleckliche Früchte, weil sie weite Wanderungen unternahmen und sich den
Boden aufsuchten. Von den Obstbäumen thaten desgleichen die sauren Kirschen,
indem sie in Wnrzelschvslingen wucherten. Auch Blumen, Gartenblumen,
fanden sich vor, wenn sie selbst Beharrlichkeit und Geschick genug besaßen, um
das Feld !zu behaupten. Ringelrosen (Vg-Ienäula), auch Stinkpeter genannt
spielten unter ihnen eine hervorragende Rolle; Schwertlilien, Akelei, auch wohl
Eisenhut, gehörten zu diesen standhaften Blumengeistern. Man ist versucht,
Stechapfel ebenfalls dazu zu rechnen, denn er findet sich, so selten er in deutschen
Gegenden kommt, in jeder Art von Gärten, so weit die polnische Zunge reicht
und bringt dort Jahr aus Jahr ein manch' spielendem Kinde den Tod. Das
Fortdauern dieses gefährlichen Unkrauts ist bezeichnend für die slawische Träg¬
heit, weil nichts leichter ist, als es auszurotten. Mitten in dem wildesten
Gestrüpp traf ich wohl hin und wieder die reizendste Rose in voller Blüthen¬
pracht. Im Großen und Ganzen ist hiermit auch der Garten in Zahlenau


verkehren sehen, nicht aber in Zahlenau, wo sich nur Hühner und Enten viel
davor und darin zu schaffen machten. Im Ganzen war dies Leben und Treiben
noch recht polnisch; auch die Abgelegenheit der Küche vom herrschaftlichen
Wohnhaus war es, nur daß die Entfernung, die hier etwa 40—50 Schritte
betrug, sonst noch viel größer war. Die Polen wissen als einen Vortheil
dieser Einrichtung zu rühmen, daß dadurch die Abkühlung der Speisen be¬
wirkt werde, ehe sie auf den herrschaftlichen Tisch kommen, und daß deswegen
sie (die Polen) meistens viel gesundere Zähne haben als die Deutschen, bei
deuen die Suppen kochend heiß auf den Tisch kommen und auf das Andringen
der Hausfrau gleich gegessen werden. So ist der Geschmack verschieden. Wir
Deutschen ziehen es vor, die Suppen im Teller, der sich durch Augen- und
Tastprüfung als durchaus rein erweist, erst etwas abkühlen zu lassen, ehe wir
sie essen, anstatt aus eiuer Küche zu speisen, über deren Schwelle die Haus¬
frau nie den Fuß setzt und in der schmierige Mägde, der Struse und Hunde
so viel Sauberkeit herstellen, als in ihren Kräften liegt. Die guten Zähne be¬
ruhen auf polnischer Selbstberühmung.

Gehen wir nun in Zahlenau weiter. Hinter der Küche führte eine Pforte
dnrch einen niedrigen Lattenzann in den Garten. Nicht auf allen polnischen
Gütern, die ich gesehen, habe ich Gärten angetroffen, man müßte grade einige
Beete Gemüseland, auf denen Frühkartoffel, Mohrrüben, Wrucken (Unterrüben)
und Weißkohl kunstlos gebaut wurden, als solchen ansehen. Wo aber Obst¬
uno Blumengärten vorhanden waren, da konnte man allenfalls erkennen, daß
sie in graden rechtwinkligen Linien, mit Gängen von Beerensträuchern oder
sehr alltäglichen Blumen eingefaßt, angelegt waren, ihr Zustand aber war ein
vollkommen verwahrloster. Von Beerensträuchern gaben nnr die Himbeeren
erkleckliche Früchte, weil sie weite Wanderungen unternahmen und sich den
Boden aufsuchten. Von den Obstbäumen thaten desgleichen die sauren Kirschen,
indem sie in Wnrzelschvslingen wucherten. Auch Blumen, Gartenblumen,
fanden sich vor, wenn sie selbst Beharrlichkeit und Geschick genug besaßen, um
das Feld !zu behaupten. Ringelrosen (Vg-Ienäula), auch Stinkpeter genannt
spielten unter ihnen eine hervorragende Rolle; Schwertlilien, Akelei, auch wohl
Eisenhut, gehörten zu diesen standhaften Blumengeistern. Man ist versucht,
Stechapfel ebenfalls dazu zu rechnen, denn er findet sich, so selten er in deutschen
Gegenden kommt, in jeder Art von Gärten, so weit die polnische Zunge reicht
und bringt dort Jahr aus Jahr ein manch' spielendem Kinde den Tod. Das
Fortdauern dieses gefährlichen Unkrauts ist bezeichnend für die slawische Träg¬
heit, weil nichts leichter ist, als es auszurotten. Mitten in dem wildesten
Gestrüpp traf ich wohl hin und wieder die reizendste Rose in voller Blüthen¬
pracht. Im Großen und Ganzen ist hiermit auch der Garten in Zahlenau


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[0086] verkehren sehen, nicht aber in Zahlenau, wo sich nur Hühner und Enten viel davor und darin zu schaffen machten. Im Ganzen war dies Leben und Treiben noch recht polnisch; auch die Abgelegenheit der Küche vom herrschaftlichen Wohnhaus war es, nur daß die Entfernung, die hier etwa 40—50 Schritte betrug, sonst noch viel größer war. Die Polen wissen als einen Vortheil dieser Einrichtung zu rühmen, daß dadurch die Abkühlung der Speisen be¬ wirkt werde, ehe sie auf den herrschaftlichen Tisch kommen, und daß deswegen sie (die Polen) meistens viel gesundere Zähne haben als die Deutschen, bei deuen die Suppen kochend heiß auf den Tisch kommen und auf das Andringen der Hausfrau gleich gegessen werden. So ist der Geschmack verschieden. Wir Deutschen ziehen es vor, die Suppen im Teller, der sich durch Augen- und Tastprüfung als durchaus rein erweist, erst etwas abkühlen zu lassen, ehe wir sie essen, anstatt aus eiuer Küche zu speisen, über deren Schwelle die Haus¬ frau nie den Fuß setzt und in der schmierige Mägde, der Struse und Hunde so viel Sauberkeit herstellen, als in ihren Kräften liegt. Die guten Zähne be¬ ruhen auf polnischer Selbstberühmung. Gehen wir nun in Zahlenau weiter. Hinter der Küche führte eine Pforte dnrch einen niedrigen Lattenzann in den Garten. Nicht auf allen polnischen Gütern, die ich gesehen, habe ich Gärten angetroffen, man müßte grade einige Beete Gemüseland, auf denen Frühkartoffel, Mohrrüben, Wrucken (Unterrüben) und Weißkohl kunstlos gebaut wurden, als solchen ansehen. Wo aber Obst¬ uno Blumengärten vorhanden waren, da konnte man allenfalls erkennen, daß sie in graden rechtwinkligen Linien, mit Gängen von Beerensträuchern oder sehr alltäglichen Blumen eingefaßt, angelegt waren, ihr Zustand aber war ein vollkommen verwahrloster. Von Beerensträuchern gaben nnr die Himbeeren erkleckliche Früchte, weil sie weite Wanderungen unternahmen und sich den Boden aufsuchten. Von den Obstbäumen thaten desgleichen die sauren Kirschen, indem sie in Wnrzelschvslingen wucherten. Auch Blumen, Gartenblumen, fanden sich vor, wenn sie selbst Beharrlichkeit und Geschick genug besaßen, um das Feld !zu behaupten. Ringelrosen (Vg-Ienäula), auch Stinkpeter genannt spielten unter ihnen eine hervorragende Rolle; Schwertlilien, Akelei, auch wohl Eisenhut, gehörten zu diesen standhaften Blumengeistern. Man ist versucht, Stechapfel ebenfalls dazu zu rechnen, denn er findet sich, so selten er in deutschen Gegenden kommt, in jeder Art von Gärten, so weit die polnische Zunge reicht und bringt dort Jahr aus Jahr ein manch' spielendem Kinde den Tod. Das Fortdauern dieses gefährlichen Unkrauts ist bezeichnend für die slawische Träg¬ heit, weil nichts leichter ist, als es auszurotten. Mitten in dem wildesten Gestrüpp traf ich wohl hin und wieder die reizendste Rose in voller Blüthen¬ pracht. Im Großen und Ganzen ist hiermit auch der Garten in Zahlenau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/86>, abgerufen am 23.07.2024.