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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Pruski verkaufte in den letzten dreißiger Jahren des Jahrhunderts Zahlenau
an einen wohlhabenden deutschen Landwirth und behielt nach Abzahlung der
Schulden von dem Kaufgelde noch so viel übrig, um bei Warschau größere
Güter zu kaufen und ihren Töchtern bei ihrer bald erfolgenden Verheirathung
mit größeren Gutsbesitzern eine nicht unerhebliche Kapitalanssteuer mitzugeben.
Wieviel der Kaufpreis von Zahlenau damals betrug, weiß ich nicht, doch
dürfte er 80,000 Thlr. schwerlich erreicht haben, während Herr W. das Gut
heute wohl kaum für eine Million Mark hingeben würde.

Doch kehren wir wieder in die ersten Dreißiger-Jahre zurück und sehen
uns etwas auf dem Gutshof von Zahlenau um. Das Wohnhaus ist im Ver¬
gleich zu andern polnischen Landhäusern jener Zeit sehr geräumig, es dürfte
8 oder 9 Stuben und andere Räume enthalten haben. Es ist zur Hälfte von
Fachwerk, zur andern massiv gebaut und durchweg weiß getüncht, nnr das
Holzwerk trägt einen schwarzen Anstrich. Auch durch das Ziegeldach unter¬
scheidet sich das Gebäude vou den meisten polnischen Gutshäusern, die mit
Stroh gedeckt sind. Unter einem rechten Winkel geht von der linken Ecke ein
langer, schmaler und niedriger Anbau ab, in welchem sich hintereinander be¬
finden ein Stübchen, welches als Schlafzimmer für Gäste benutzt wird, ein
Stübchen für den Koch, der anch etwas Jäger war, eine Gesindestube, die
ihren Eingang durch die Küche, deu letzten Raum im Anbau, hat. In der
Küche werden die Speisen für die Herrschaft von dem Koch und auf einem
andern Herd für das Gesinde von Mägden bereitet. Sie ist die belebteste
Stelle auf dem ganzen Gehöft, zu ihr fühlt sich alles hingezogen, weil es da
immer Gesellschaft und Unterhaltung, auch außer der Kost wohl öfter einen Lecker¬
bissen, von liebevoller Hand bei Seite gestellt, giebt. Ein wichtiges Mitglied
der Gesellschaft ist der Struse (LtroS), ein den polnischen Landhöfen eigen¬
thümlicher Stand, eine Art Hausknecht, aber mit der Besonderheit, daß er der
Knecht der andern Dienstleute ist und alles verrichten muß, was diesen zu
thun nicht ansteht. Dafür dient er ihnen zur Ablagerung aller derben Späße
und Neckereien, mit denen sie sich müssige Stunden verkürzen. Pioch in Zahlenau
eignete sich um so mehr zu diesem Berufe, als er halb blödsinnig war. Außer
diesen mehr oder weniger menschlichen Bewohnern und Gästen der Küche, ge¬
hört dazu, auch ein Rudel Hunde von allerhand Racen, einer und der andere
mit einer Spur von Dressur zur Jagd, die meisten nur brauchbar zur Ver¬
scheuchung der Hasen und zum Ablecken der Teller, worauf sie dann in der
Regel abgewaschen werden. Daß sie vom Struse mit einem Pferdeschwanz
blos nachgewischt würden, um wieder auf deu herrschaftlichen Tisch zu kommen,
diese altväterliche polnische Sitte war in meiner Jugend schon abgekommen.
Dagegen habe ich die harmlosen Grunzthiere noch oft in herrschaftlichen Küchen


Pruski verkaufte in den letzten dreißiger Jahren des Jahrhunderts Zahlenau
an einen wohlhabenden deutschen Landwirth und behielt nach Abzahlung der
Schulden von dem Kaufgelde noch so viel übrig, um bei Warschau größere
Güter zu kaufen und ihren Töchtern bei ihrer bald erfolgenden Verheirathung
mit größeren Gutsbesitzern eine nicht unerhebliche Kapitalanssteuer mitzugeben.
Wieviel der Kaufpreis von Zahlenau damals betrug, weiß ich nicht, doch
dürfte er 80,000 Thlr. schwerlich erreicht haben, während Herr W. das Gut
heute wohl kaum für eine Million Mark hingeben würde.

Doch kehren wir wieder in die ersten Dreißiger-Jahre zurück und sehen
uns etwas auf dem Gutshof von Zahlenau um. Das Wohnhaus ist im Ver¬
gleich zu andern polnischen Landhäusern jener Zeit sehr geräumig, es dürfte
8 oder 9 Stuben und andere Räume enthalten haben. Es ist zur Hälfte von
Fachwerk, zur andern massiv gebaut und durchweg weiß getüncht, nnr das
Holzwerk trägt einen schwarzen Anstrich. Auch durch das Ziegeldach unter¬
scheidet sich das Gebäude vou den meisten polnischen Gutshäusern, die mit
Stroh gedeckt sind. Unter einem rechten Winkel geht von der linken Ecke ein
langer, schmaler und niedriger Anbau ab, in welchem sich hintereinander be¬
finden ein Stübchen, welches als Schlafzimmer für Gäste benutzt wird, ein
Stübchen für den Koch, der anch etwas Jäger war, eine Gesindestube, die
ihren Eingang durch die Küche, deu letzten Raum im Anbau, hat. In der
Küche werden die Speisen für die Herrschaft von dem Koch und auf einem
andern Herd für das Gesinde von Mägden bereitet. Sie ist die belebteste
Stelle auf dem ganzen Gehöft, zu ihr fühlt sich alles hingezogen, weil es da
immer Gesellschaft und Unterhaltung, auch außer der Kost wohl öfter einen Lecker¬
bissen, von liebevoller Hand bei Seite gestellt, giebt. Ein wichtiges Mitglied
der Gesellschaft ist der Struse (LtroS), ein den polnischen Landhöfen eigen¬
thümlicher Stand, eine Art Hausknecht, aber mit der Besonderheit, daß er der
Knecht der andern Dienstleute ist und alles verrichten muß, was diesen zu
thun nicht ansteht. Dafür dient er ihnen zur Ablagerung aller derben Späße
und Neckereien, mit denen sie sich müssige Stunden verkürzen. Pioch in Zahlenau
eignete sich um so mehr zu diesem Berufe, als er halb blödsinnig war. Außer
diesen mehr oder weniger menschlichen Bewohnern und Gästen der Küche, ge¬
hört dazu, auch ein Rudel Hunde von allerhand Racen, einer und der andere
mit einer Spur von Dressur zur Jagd, die meisten nur brauchbar zur Ver¬
scheuchung der Hasen und zum Ablecken der Teller, worauf sie dann in der
Regel abgewaschen werden. Daß sie vom Struse mit einem Pferdeschwanz
blos nachgewischt würden, um wieder auf deu herrschaftlichen Tisch zu kommen,
diese altväterliche polnische Sitte war in meiner Jugend schon abgekommen.
Dagegen habe ich die harmlosen Grunzthiere noch oft in herrschaftlichen Küchen


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[0085] Pruski verkaufte in den letzten dreißiger Jahren des Jahrhunderts Zahlenau an einen wohlhabenden deutschen Landwirth und behielt nach Abzahlung der Schulden von dem Kaufgelde noch so viel übrig, um bei Warschau größere Güter zu kaufen und ihren Töchtern bei ihrer bald erfolgenden Verheirathung mit größeren Gutsbesitzern eine nicht unerhebliche Kapitalanssteuer mitzugeben. Wieviel der Kaufpreis von Zahlenau damals betrug, weiß ich nicht, doch dürfte er 80,000 Thlr. schwerlich erreicht haben, während Herr W. das Gut heute wohl kaum für eine Million Mark hingeben würde. Doch kehren wir wieder in die ersten Dreißiger-Jahre zurück und sehen uns etwas auf dem Gutshof von Zahlenau um. Das Wohnhaus ist im Ver¬ gleich zu andern polnischen Landhäusern jener Zeit sehr geräumig, es dürfte 8 oder 9 Stuben und andere Räume enthalten haben. Es ist zur Hälfte von Fachwerk, zur andern massiv gebaut und durchweg weiß getüncht, nnr das Holzwerk trägt einen schwarzen Anstrich. Auch durch das Ziegeldach unter¬ scheidet sich das Gebäude vou den meisten polnischen Gutshäusern, die mit Stroh gedeckt sind. Unter einem rechten Winkel geht von der linken Ecke ein langer, schmaler und niedriger Anbau ab, in welchem sich hintereinander be¬ finden ein Stübchen, welches als Schlafzimmer für Gäste benutzt wird, ein Stübchen für den Koch, der anch etwas Jäger war, eine Gesindestube, die ihren Eingang durch die Küche, deu letzten Raum im Anbau, hat. In der Küche werden die Speisen für die Herrschaft von dem Koch und auf einem andern Herd für das Gesinde von Mägden bereitet. Sie ist die belebteste Stelle auf dem ganzen Gehöft, zu ihr fühlt sich alles hingezogen, weil es da immer Gesellschaft und Unterhaltung, auch außer der Kost wohl öfter einen Lecker¬ bissen, von liebevoller Hand bei Seite gestellt, giebt. Ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft ist der Struse (LtroS), ein den polnischen Landhöfen eigen¬ thümlicher Stand, eine Art Hausknecht, aber mit der Besonderheit, daß er der Knecht der andern Dienstleute ist und alles verrichten muß, was diesen zu thun nicht ansteht. Dafür dient er ihnen zur Ablagerung aller derben Späße und Neckereien, mit denen sie sich müssige Stunden verkürzen. Pioch in Zahlenau eignete sich um so mehr zu diesem Berufe, als er halb blödsinnig war. Außer diesen mehr oder weniger menschlichen Bewohnern und Gästen der Küche, ge¬ hört dazu, auch ein Rudel Hunde von allerhand Racen, einer und der andere mit einer Spur von Dressur zur Jagd, die meisten nur brauchbar zur Ver¬ scheuchung der Hasen und zum Ablecken der Teller, worauf sie dann in der Regel abgewaschen werden. Daß sie vom Struse mit einem Pferdeschwanz blos nachgewischt würden, um wieder auf deu herrschaftlichen Tisch zu kommen, diese altväterliche polnische Sitte war in meiner Jugend schon abgekommen. Dagegen habe ich die harmlosen Grunzthiere noch oft in herrschaftlichen Küchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/85>, abgerufen am 23.07.2024.