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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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die vom Verfasser vorgezeichneten Wege ginge und damit Erfolg hätte. Aber
wir zweifeln, daß es erhebliche Erfolge erzielen würde. Den Russen steht für
"moralische Eroberungen" in den Balkanländern in der kirchlichen Verwandt¬
schaft ein sehr wichtiges Mittel zu Gebote, welches Oesterreich nicht hat. Auf
eine Unterstützung des continent aler Europa, wobei offenbar in erster Linie
an Deutschland gedacht wird, ist, wie die Verhältnisse jetzt liegen, nicht wohl
zu hoffen, da uns die jetzt türkischen Slaven sehr fern wohnen und Rußland
unser Nachbar ist, in den letzten Jahren ein recht wohlwollender Nachbar war
und für die nächste Zeit allem Anschein nach ein solcher Nachbar bleiben wird.
Wir meinen also, daß die österreichischen Staatslenker sich der vom Verfasser
empfohlenen Politik nicht anschließen, nicht aggressiv werden, sondern es bei
der bisherigen vorsichtigen Politik belassen werden -- natürlich so lange, als
Rußland uicht Annexionen vornimmt, und an solche ist gegenwärtig doch kaum
zu deuten. Was Oesterreich dann thun würde, braucht uns vorläufig nicht zu
beschäftigen. Was für Wege Deutschland, im Falle Oesterreich dann gegen
Rußland zu Felde zöge, einschlagen müßte, wird man auf der berliner Wil¬
helmstraße sich vermuthlich schon überlegt und dabei das Rechte gefunden
haben. Unsrer bescheidenen Meinung nach könnten wir dabei zusehen -- viel¬
leicht bis zu Ende.




Dom deutschen Keichstag.

Das deutsche Volk ist berechtigt, ein Weihnachtslied anzustimmen ob dem
Geschenk, welches der vorgestern geschlossene Reichstag ihm hinterlassen. In
das Weihnachtslied, welches aus der Brust ernster und verständiger Menschen
empvrdringen will, tönen freilich häßliche Töne einer Katzenmusik hinein. Wer
diese Katzenmusik eigentlich veranstaltet und warum sich so viele an ihr bethei¬
ligen, ist uicht leicht zu sagen, wenn wir auch die Musikanten erkennen. --

Um nun ohne Bild zu sprechen, die vier Justizgesetze, welche in der eben
beendeten Session zum Abschluß gelangt, enthalten einen der größten Fort¬
schritte, welchen die deutsche Nation in ihrem Staats- und Culturlebeu jemals
errungen. Das große Werk der nationalen Rechtseinheit ist bis über die Mitte



') Für unser, am 23. December bereits geschlossenes Heft 1. zu spät eingetroffen.
D. Und.

die vom Verfasser vorgezeichneten Wege ginge und damit Erfolg hätte. Aber
wir zweifeln, daß es erhebliche Erfolge erzielen würde. Den Russen steht für
„moralische Eroberungen" in den Balkanländern in der kirchlichen Verwandt¬
schaft ein sehr wichtiges Mittel zu Gebote, welches Oesterreich nicht hat. Auf
eine Unterstützung des continent aler Europa, wobei offenbar in erster Linie
an Deutschland gedacht wird, ist, wie die Verhältnisse jetzt liegen, nicht wohl
zu hoffen, da uns die jetzt türkischen Slaven sehr fern wohnen und Rußland
unser Nachbar ist, in den letzten Jahren ein recht wohlwollender Nachbar war
und für die nächste Zeit allem Anschein nach ein solcher Nachbar bleiben wird.
Wir meinen also, daß die österreichischen Staatslenker sich der vom Verfasser
empfohlenen Politik nicht anschließen, nicht aggressiv werden, sondern es bei
der bisherigen vorsichtigen Politik belassen werden — natürlich so lange, als
Rußland uicht Annexionen vornimmt, und an solche ist gegenwärtig doch kaum
zu deuten. Was Oesterreich dann thun würde, braucht uns vorläufig nicht zu
beschäftigen. Was für Wege Deutschland, im Falle Oesterreich dann gegen
Rußland zu Felde zöge, einschlagen müßte, wird man auf der berliner Wil¬
helmstraße sich vermuthlich schon überlegt und dabei das Rechte gefunden
haben. Unsrer bescheidenen Meinung nach könnten wir dabei zusehen — viel¬
leicht bis zu Ende.




Dom deutschen Keichstag.

Das deutsche Volk ist berechtigt, ein Weihnachtslied anzustimmen ob dem
Geschenk, welches der vorgestern geschlossene Reichstag ihm hinterlassen. In
das Weihnachtslied, welches aus der Brust ernster und verständiger Menschen
empvrdringen will, tönen freilich häßliche Töne einer Katzenmusik hinein. Wer
diese Katzenmusik eigentlich veranstaltet und warum sich so viele an ihr bethei¬
ligen, ist uicht leicht zu sagen, wenn wir auch die Musikanten erkennen. —

Um nun ohne Bild zu sprechen, die vier Justizgesetze, welche in der eben
beendeten Session zum Abschluß gelangt, enthalten einen der größten Fort¬
schritte, welchen die deutsche Nation in ihrem Staats- und Culturlebeu jemals
errungen. Das große Werk der nationalen Rechtseinheit ist bis über die Mitte



') Für unser, am 23. December bereits geschlossenes Heft 1. zu spät eingetroffen.
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[0072] die vom Verfasser vorgezeichneten Wege ginge und damit Erfolg hätte. Aber wir zweifeln, daß es erhebliche Erfolge erzielen würde. Den Russen steht für „moralische Eroberungen" in den Balkanländern in der kirchlichen Verwandt¬ schaft ein sehr wichtiges Mittel zu Gebote, welches Oesterreich nicht hat. Auf eine Unterstützung des continent aler Europa, wobei offenbar in erster Linie an Deutschland gedacht wird, ist, wie die Verhältnisse jetzt liegen, nicht wohl zu hoffen, da uns die jetzt türkischen Slaven sehr fern wohnen und Rußland unser Nachbar ist, in den letzten Jahren ein recht wohlwollender Nachbar war und für die nächste Zeit allem Anschein nach ein solcher Nachbar bleiben wird. Wir meinen also, daß die österreichischen Staatslenker sich der vom Verfasser empfohlenen Politik nicht anschließen, nicht aggressiv werden, sondern es bei der bisherigen vorsichtigen Politik belassen werden — natürlich so lange, als Rußland uicht Annexionen vornimmt, und an solche ist gegenwärtig doch kaum zu deuten. Was Oesterreich dann thun würde, braucht uns vorläufig nicht zu beschäftigen. Was für Wege Deutschland, im Falle Oesterreich dann gegen Rußland zu Felde zöge, einschlagen müßte, wird man auf der berliner Wil¬ helmstraße sich vermuthlich schon überlegt und dabei das Rechte gefunden haben. Unsrer bescheidenen Meinung nach könnten wir dabei zusehen — viel¬ leicht bis zu Ende. Dom deutschen Keichstag. Das deutsche Volk ist berechtigt, ein Weihnachtslied anzustimmen ob dem Geschenk, welches der vorgestern geschlossene Reichstag ihm hinterlassen. In das Weihnachtslied, welches aus der Brust ernster und verständiger Menschen empvrdringen will, tönen freilich häßliche Töne einer Katzenmusik hinein. Wer diese Katzenmusik eigentlich veranstaltet und warum sich so viele an ihr bethei¬ ligen, ist uicht leicht zu sagen, wenn wir auch die Musikanten erkennen. — Um nun ohne Bild zu sprechen, die vier Justizgesetze, welche in der eben beendeten Session zum Abschluß gelangt, enthalten einen der größten Fort¬ schritte, welchen die deutsche Nation in ihrem Staats- und Culturlebeu jemals errungen. Das große Werk der nationalen Rechtseinheit ist bis über die Mitte ') Für unser, am 23. December bereits geschlossenes Heft 1. zu spät eingetroffen. D. Und.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/72>, abgerufen am 23.07.2024.