Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.des Baues hinaus aufgeführt. Es darf nun nicht mehr gezweifelt werden, Es sollte kaum eines Wortes bedürfen über den unendlichen Segen, welcher Und doch Hütten wir Grund, über noch anderes uns zu freuen, als über Grenzboten I. 1877. 9
des Baues hinaus aufgeführt. Es darf nun nicht mehr gezweifelt werden, Es sollte kaum eines Wortes bedürfen über den unendlichen Segen, welcher Und doch Hütten wir Grund, über noch anderes uns zu freuen, als über Grenzboten I. 1877. 9
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137246"/> <p xml:id="ID_283" prev="#ID_282"> des Baues hinaus aufgeführt. Es darf nun nicht mehr gezweifelt werden,<lb/> daß auch die Herstellung des großen Gesetzbuches für das gesammte bürgerliche<lb/> Recht etwa binnen eines Lustrums gelungen sein wird. Schon die nächste<lb/> Reichslegislatur wird eine Anwaltsordnung, Notariatsordnung und Gebühren¬<lb/> ordnung sür das gesammte Reich unzweifelhaft zu Stande bringen. Auf dem<lb/> gelegten Grunde der Einheit des Gerichtsverfahrens wird- sich das schon gel¬<lb/> tende einheitliche Strafrecht und später das noch auszuarbeitende einheitliche<lb/> bürgerliche Recht wirksam und segensreich aufstellen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_284"> Es sollte kaum eines Wortes bedürfen über den unendlichen Segen, welcher<lb/> dem bürgerlichen Verkehr nicht nur, sondern dem gesammten Staatsleben, der<lb/> Sicherheit der Gesellschaft, der Characterreife der Nation und ihrem sittlichen<lb/> Vorstellungskreis aus einem einheitlichen, der lebendigen Bildung unseres Jahr¬<lb/> hunderts entsprungenen und entsprechenden Recht erwachsen muß. Und doch<lb/> sind es wohl nur wenige selbst unter den Gebildeten, die sich den Umfang und<lb/> die tiefreichende Bedeutung dieses Segens klar machen. Spätere Geschlechter<lb/> werden vielleicht wünschen, die Zeit erlebt zu haben, wo die deutsche Rechts¬<lb/> einheit geschaffen wurde. Sie würden diese Sehnsucht mäßige», wenn die Zeug¬<lb/> nisse auf die Nachwelt übergehen sollten, wie wenig die Bedeutung des Werkes<lb/> bei seiner Entstehung verstanden wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_285" next="#ID_286"> Und doch Hütten wir Grund, über noch anderes uns zu freuen, als über<lb/> die Schaffung der Rechtseinheit. Nächst dem „Daß" kommt das „Wie" in Be¬<lb/> tracht. Wenn wir fragen, wie ist das geschaffene Recht beschaffen, fo dürfen<lb/> wir getrost behaupten, daß von den vier jetzt vollendeten Gesetzen zwei in<lb/> ihrer Art beinahe vollendete Kunstwerke sind. Es läßt sich dies sagen von der<lb/> Coneursordnung, ist aber von größter Bedeutung bei der Civilprozeßordnung.<lb/> Bei dieser ist mit einer Folgerichtigkeit, wie es noch von keiner Gesetzgebung<lb/> gewagt worden, das Prinzip der Mündlichkeit oder der unmittelbaren Auf¬<lb/> nahme des gesammten Thatbestandes durch das entscheidende Gericht durchge¬<lb/> führt. Es muß einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben, nachzuweisen,<lb/> welcher Fortschritt in diesem Prinzip nicht nur für die bürgerliche Rechtspflege,<lb/> sondern für die gesammte geistige Cultur liegt oder wenigstens liegen kann.<lb/> Denn allerdings setzt die fruchtbare und sachentsprechende Ausführung desselben<lb/> einen Grad von Durchbildung und Geistesgegenwart bei den Richtern und<lb/> Anwälten voraus, die wohl erst durch längere Uebung vollständig zu erreichen<lb/> sind. Daß aber unsere Gesetzgebung unserm Richter- und Anwaltsstand die<lb/> Befähigung zutraut, eine solche Höhe der Berufsübung zu erreichen, ist ein<lb/> glänzendes Zeichen für das, was in einem ihrer wichtigsten Stände unsere<lb/> Nation sich selbst zutrauen darf. Wir zweifeln nicht, daß der Richterstand</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1877. 9</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
des Baues hinaus aufgeführt. Es darf nun nicht mehr gezweifelt werden,
daß auch die Herstellung des großen Gesetzbuches für das gesammte bürgerliche
Recht etwa binnen eines Lustrums gelungen sein wird. Schon die nächste
Reichslegislatur wird eine Anwaltsordnung, Notariatsordnung und Gebühren¬
ordnung sür das gesammte Reich unzweifelhaft zu Stande bringen. Auf dem
gelegten Grunde der Einheit des Gerichtsverfahrens wird- sich das schon gel¬
tende einheitliche Strafrecht und später das noch auszuarbeitende einheitliche
bürgerliche Recht wirksam und segensreich aufstellen lassen.
Es sollte kaum eines Wortes bedürfen über den unendlichen Segen, welcher
dem bürgerlichen Verkehr nicht nur, sondern dem gesammten Staatsleben, der
Sicherheit der Gesellschaft, der Characterreife der Nation und ihrem sittlichen
Vorstellungskreis aus einem einheitlichen, der lebendigen Bildung unseres Jahr¬
hunderts entsprungenen und entsprechenden Recht erwachsen muß. Und doch
sind es wohl nur wenige selbst unter den Gebildeten, die sich den Umfang und
die tiefreichende Bedeutung dieses Segens klar machen. Spätere Geschlechter
werden vielleicht wünschen, die Zeit erlebt zu haben, wo die deutsche Rechts¬
einheit geschaffen wurde. Sie würden diese Sehnsucht mäßige», wenn die Zeug¬
nisse auf die Nachwelt übergehen sollten, wie wenig die Bedeutung des Werkes
bei seiner Entstehung verstanden wurde.
Und doch Hütten wir Grund, über noch anderes uns zu freuen, als über
die Schaffung der Rechtseinheit. Nächst dem „Daß" kommt das „Wie" in Be¬
tracht. Wenn wir fragen, wie ist das geschaffene Recht beschaffen, fo dürfen
wir getrost behaupten, daß von den vier jetzt vollendeten Gesetzen zwei in
ihrer Art beinahe vollendete Kunstwerke sind. Es läßt sich dies sagen von der
Coneursordnung, ist aber von größter Bedeutung bei der Civilprozeßordnung.
Bei dieser ist mit einer Folgerichtigkeit, wie es noch von keiner Gesetzgebung
gewagt worden, das Prinzip der Mündlichkeit oder der unmittelbaren Auf¬
nahme des gesammten Thatbestandes durch das entscheidende Gericht durchge¬
führt. Es muß einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben, nachzuweisen,
welcher Fortschritt in diesem Prinzip nicht nur für die bürgerliche Rechtspflege,
sondern für die gesammte geistige Cultur liegt oder wenigstens liegen kann.
Denn allerdings setzt die fruchtbare und sachentsprechende Ausführung desselben
einen Grad von Durchbildung und Geistesgegenwart bei den Richtern und
Anwälten voraus, die wohl erst durch längere Uebung vollständig zu erreichen
sind. Daß aber unsere Gesetzgebung unserm Richter- und Anwaltsstand die
Befähigung zutraut, eine solche Höhe der Berufsübung zu erreichen, ist ein
glänzendes Zeichen für das, was in einem ihrer wichtigsten Stände unsere
Nation sich selbst zutrauen darf. Wir zweifeln nicht, daß der Richterstand
Grenzboten I. 1877. 9
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