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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Zustandes der bulgarischen Districte dnrch eine Specialcommission, Untersuchung
der letzten Greuelthaten in Bulgarien und Bestrafung der wirklichen Uebel¬
thäter, endlich directe Controle der Verwaltung von Seiten der Mächte durch
die Consularcommissionen gefordert. -- Auch diese Vorschläge gefallen dem Verfasser
nicht. Denn "die ersten vier Punkte enthalten nnr eine versteckte Wiederholung
der auf Occupation gerichteten Vorschläge" (was wir beim besten Willen nicht
begreifen) und im Zusammenhange mit den andern sieben Punkten, und falls
diese Vorschläge von der Pforte angenommen und ausgeführt würden, bedeutet
die dadurch zu eonstituirende lokale und administrative Autonomie nichts ge¬
ringeres als die officielle Erhebung der bisherigen türkischen Provinzen zu
suzeränen Vasallenstaaten". Er will, wenn wir ihn recht verstehen, keine solchen
Vasallenstaaten, sondern völlige Loslösung der genannten drei Provinzen von der
Herrschaft derPforte, womit wir einverstanden wären, wenn er uns die Durchführ¬
barkeit dieser Maßregel ohne einen großen Krieg nachwiese. Die Localisirung der
orientalischen Krisis sagt er, ist unmöglich, so lange der Begriff der Integrität der
Türkei von den Katarakten des Nil bis an die Donau reicht, und so lange Europa
sich für verpflichtet hält, für die Erhaltung dieses Begriffs unter allen Umstünden
der Türkei beizustehen. "Nur durch die factische Beschränkung dieser Integrität
auf jene Gebiete, für deren Wahrung und Erhaltung die heutige Macht und
die innere Reorganisationskraft des türkischen Staatswesens ausreicht, und
durch allmähliche Loslösung der zur Selbständigkeit reifen Provinzen des
heutigen Osmcmenreiches (eine solche allmähliche Loslösung liegt unzweifel¬
haft in den russischen Garantieforderungen) wird man wirklich die Localisirung
der Krisis erreichen.

"Die Rolle, welche Oesterreich bei der Begründung jenes inneren Gleichge¬
wichtssystems zu übernehmen hat, scheint" -- dem Verfasser -- "klar vorgezeichnet.
Oesterreich sollte fortan im Namen und im Interesse der continentalen
Mächte die Führung in den Angelegenheiten der Balkanhalbinsel übernehmen.
Ans der submissen, oder gelinde gesagt, zweiten Rolle des blos geduldeten
Nachbars und Großstaates muß Oesterreich ^endlich heraustreten und sich wieder
die volle Gleichberechtigung einer leitenden Großmacht neben Rußland er¬
ringen. Wo im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte die Alleinherrschaft des
Moskowiterthnms sich festzusetzen suchte, da muß nun unsere Staatskunst
bemüht sein, jeden Zoll breit an Einfluß und Macht dem Russenthum abzuringen."

Das klingt alles recht gut, obwohl es ein wenig dunkel und in Betreff
des Wie sehr allgemein gehalten ist. Wird Rußland sich die Ersetzung seines
Protektorats durch ein österreichisches gefallen lassen? Wir denken durchaus
nicht so klein von Oesterreichs Macht und Bedeutung als manche Andere, wir
wünschen ihm alles Gute und würden sicher nichts dagegen haben, wenn es


Zustandes der bulgarischen Districte dnrch eine Specialcommission, Untersuchung
der letzten Greuelthaten in Bulgarien und Bestrafung der wirklichen Uebel¬
thäter, endlich directe Controle der Verwaltung von Seiten der Mächte durch
die Consularcommissionen gefordert. — Auch diese Vorschläge gefallen dem Verfasser
nicht. Denn „die ersten vier Punkte enthalten nnr eine versteckte Wiederholung
der auf Occupation gerichteten Vorschläge" (was wir beim besten Willen nicht
begreifen) und im Zusammenhange mit den andern sieben Punkten, und falls
diese Vorschläge von der Pforte angenommen und ausgeführt würden, bedeutet
die dadurch zu eonstituirende lokale und administrative Autonomie nichts ge¬
ringeres als die officielle Erhebung der bisherigen türkischen Provinzen zu
suzeränen Vasallenstaaten". Er will, wenn wir ihn recht verstehen, keine solchen
Vasallenstaaten, sondern völlige Loslösung der genannten drei Provinzen von der
Herrschaft derPforte, womit wir einverstanden wären, wenn er uns die Durchführ¬
barkeit dieser Maßregel ohne einen großen Krieg nachwiese. Die Localisirung der
orientalischen Krisis sagt er, ist unmöglich, so lange der Begriff der Integrität der
Türkei von den Katarakten des Nil bis an die Donau reicht, und so lange Europa
sich für verpflichtet hält, für die Erhaltung dieses Begriffs unter allen Umstünden
der Türkei beizustehen. „Nur durch die factische Beschränkung dieser Integrität
auf jene Gebiete, für deren Wahrung und Erhaltung die heutige Macht und
die innere Reorganisationskraft des türkischen Staatswesens ausreicht, und
durch allmähliche Loslösung der zur Selbständigkeit reifen Provinzen des
heutigen Osmcmenreiches (eine solche allmähliche Loslösung liegt unzweifel¬
haft in den russischen Garantieforderungen) wird man wirklich die Localisirung
der Krisis erreichen.

„Die Rolle, welche Oesterreich bei der Begründung jenes inneren Gleichge¬
wichtssystems zu übernehmen hat, scheint" — dem Verfasser — „klar vorgezeichnet.
Oesterreich sollte fortan im Namen und im Interesse der continentalen
Mächte die Führung in den Angelegenheiten der Balkanhalbinsel übernehmen.
Ans der submissen, oder gelinde gesagt, zweiten Rolle des blos geduldeten
Nachbars und Großstaates muß Oesterreich ^endlich heraustreten und sich wieder
die volle Gleichberechtigung einer leitenden Großmacht neben Rußland er¬
ringen. Wo im Lauf der letzten zwei Jahrhunderte die Alleinherrschaft des
Moskowiterthnms sich festzusetzen suchte, da muß nun unsere Staatskunst
bemüht sein, jeden Zoll breit an Einfluß und Macht dem Russenthum abzuringen."

Das klingt alles recht gut, obwohl es ein wenig dunkel und in Betreff
des Wie sehr allgemein gehalten ist. Wird Rußland sich die Ersetzung seines
Protektorats durch ein österreichisches gefallen lassen? Wir denken durchaus
nicht so klein von Oesterreichs Macht und Bedeutung als manche Andere, wir
wünschen ihm alles Gute und würden sicher nichts dagegen haben, wenn es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/71>, abgerufen am 23.07.2024.