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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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vor gewissen heiligen Dingen und seine Gleichgültigkeit gegen mit Recht hoch¬
gehaltene Meisterwerke der alten Kunst für ernstlich gemeint hielten, äußerten
sich abfällig. So z. B. das "Saturday Review", dessen Urtheil Mark Twain
Veranlassung zu einer köstlichen Scheinkritik gab, welche die gesammte ameri¬
kanische Presse täuschte und in den literarischen Kreisen von Newyork, Phila¬
delphia und Boston viel Heiterkeit erregte. Auch die "Revue des Deux
Mondes" machte sich in einem langen weisen Artikel durch ein derartiges
Mißverstehen der Absichten des Verfassers zum Gegenstand des Spottes der
Amerikaner.

Im Sommer 1W9 kaufte Mark Twain ein Drittel des Eigenthumsrechts
am "Buffalo Expreß" und wurde Mitredakteur des Blattes. Sein Name
war jetzt wohlbekannt in ganz Amerika, und die Bewohner von Buffalo waren
uicht wenig stolz darauf, daß der beliebte Humorist sich ihre Stadt zu seiner
künftigen Heimstätte ersehen hatte. Die Journale der Union begannen bald,
deu "Expreß" als Fundgrube für Komik zu betrachten, mit der sie ihre eignen
Spalten schmücken und beleben konnten. Sie brauchten nicht lange zu warten.
Mehrere der prächtigsten Geschichten unseres Autors und eine Fülle komisch
gehaltener kürzerer Aufsätze erschienen zuerst in diesem Blatte, die sofort uach
ihrem Erscheinen die Runde durch die amerikanische Presse machten, dann in
die englische übergingen, um in den mit "Varict^" oder "Mwdilm" über-
schriebneu Spalten derselben zu glänzen und zu ergötzen, bis sie endlich in
Indien und Australien anlangten und fast allenthalben von neuem auftauchten,
soweit auf dem Erdball eine englische Zeitung in englischer Sprache erscheint.

Clemens hatte noch kein Jahr in Buffalo gewohnt, als er einen weiteren
Beweis gab, daß er den Wunsch hegte, das Vagabnndenleben an den Nagel
zu hiiugen und ein seßhafter Bürger zu werden. Er nahm sich eine Frau.
Der Gegenstand seiner Wahl war erstens eine schöne, dann eine auch in
andern Beziehungen für ihn sehr passende Dame. Sie besaß ein erhebliches
Vermögen und hatte noch mehr zu erwarten, ihre Verwandten waren wohl¬
habende und einflußreiche Leute, und da Twain jetzt selbst sehr reichliche Einnahmen
hatte, so waren seine Aussichten in die, Zukunft so gut, als er sie sich irgend
wünschen konnte. Während des Winters von 1M9 zu 1870 hielt er wieder
in verschiedenen Orten Vorlesungen. Das System solcher öffentlichen Vorlesungen
ist in Amerika weit ausgebildeter als bei uns. Fast jeder Mann von Ruf in
der Wissenschaft oder der Literatur findet sich dort über kurz oder lang be¬
wogen, mit Vorträgen zur Belehrung oder Erheiterung vor das Publikum zu
treten, und stets versammelt ein solcher eine aufmerksame und dankbare Zu¬
hörerschaft von Hunderten vor sich. Am besten aber lohnen sich humoristische
Vorträge, und vou alleu Humoristen, die jetzt in Amerika als "Lecturer" auf-


vor gewissen heiligen Dingen und seine Gleichgültigkeit gegen mit Recht hoch¬
gehaltene Meisterwerke der alten Kunst für ernstlich gemeint hielten, äußerten
sich abfällig. So z. B. das „Saturday Review", dessen Urtheil Mark Twain
Veranlassung zu einer köstlichen Scheinkritik gab, welche die gesammte ameri¬
kanische Presse täuschte und in den literarischen Kreisen von Newyork, Phila¬
delphia und Boston viel Heiterkeit erregte. Auch die „Revue des Deux
Mondes" machte sich in einem langen weisen Artikel durch ein derartiges
Mißverstehen der Absichten des Verfassers zum Gegenstand des Spottes der
Amerikaner.

Im Sommer 1W9 kaufte Mark Twain ein Drittel des Eigenthumsrechts
am „Buffalo Expreß" und wurde Mitredakteur des Blattes. Sein Name
war jetzt wohlbekannt in ganz Amerika, und die Bewohner von Buffalo waren
uicht wenig stolz darauf, daß der beliebte Humorist sich ihre Stadt zu seiner
künftigen Heimstätte ersehen hatte. Die Journale der Union begannen bald,
deu „Expreß" als Fundgrube für Komik zu betrachten, mit der sie ihre eignen
Spalten schmücken und beleben konnten. Sie brauchten nicht lange zu warten.
Mehrere der prächtigsten Geschichten unseres Autors und eine Fülle komisch
gehaltener kürzerer Aufsätze erschienen zuerst in diesem Blatte, die sofort uach
ihrem Erscheinen die Runde durch die amerikanische Presse machten, dann in
die englische übergingen, um in den mit „Varict^" oder „Mwdilm" über-
schriebneu Spalten derselben zu glänzen und zu ergötzen, bis sie endlich in
Indien und Australien anlangten und fast allenthalben von neuem auftauchten,
soweit auf dem Erdball eine englische Zeitung in englischer Sprache erscheint.

Clemens hatte noch kein Jahr in Buffalo gewohnt, als er einen weiteren
Beweis gab, daß er den Wunsch hegte, das Vagabnndenleben an den Nagel
zu hiiugen und ein seßhafter Bürger zu werden. Er nahm sich eine Frau.
Der Gegenstand seiner Wahl war erstens eine schöne, dann eine auch in
andern Beziehungen für ihn sehr passende Dame. Sie besaß ein erhebliches
Vermögen und hatte noch mehr zu erwarten, ihre Verwandten waren wohl¬
habende und einflußreiche Leute, und da Twain jetzt selbst sehr reichliche Einnahmen
hatte, so waren seine Aussichten in die, Zukunft so gut, als er sie sich irgend
wünschen konnte. Während des Winters von 1M9 zu 1870 hielt er wieder
in verschiedenen Orten Vorlesungen. Das System solcher öffentlichen Vorlesungen
ist in Amerika weit ausgebildeter als bei uns. Fast jeder Mann von Ruf in
der Wissenschaft oder der Literatur findet sich dort über kurz oder lang be¬
wogen, mit Vorträgen zur Belehrung oder Erheiterung vor das Publikum zu
treten, und stets versammelt ein solcher eine aufmerksame und dankbare Zu¬
hörerschaft von Hunderten vor sich. Am besten aber lohnen sich humoristische
Vorträge, und vou alleu Humoristen, die jetzt in Amerika als „Lecturer" auf-


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[0512] vor gewissen heiligen Dingen und seine Gleichgültigkeit gegen mit Recht hoch¬ gehaltene Meisterwerke der alten Kunst für ernstlich gemeint hielten, äußerten sich abfällig. So z. B. das „Saturday Review", dessen Urtheil Mark Twain Veranlassung zu einer köstlichen Scheinkritik gab, welche die gesammte ameri¬ kanische Presse täuschte und in den literarischen Kreisen von Newyork, Phila¬ delphia und Boston viel Heiterkeit erregte. Auch die „Revue des Deux Mondes" machte sich in einem langen weisen Artikel durch ein derartiges Mißverstehen der Absichten des Verfassers zum Gegenstand des Spottes der Amerikaner. Im Sommer 1W9 kaufte Mark Twain ein Drittel des Eigenthumsrechts am „Buffalo Expreß" und wurde Mitredakteur des Blattes. Sein Name war jetzt wohlbekannt in ganz Amerika, und die Bewohner von Buffalo waren uicht wenig stolz darauf, daß der beliebte Humorist sich ihre Stadt zu seiner künftigen Heimstätte ersehen hatte. Die Journale der Union begannen bald, deu „Expreß" als Fundgrube für Komik zu betrachten, mit der sie ihre eignen Spalten schmücken und beleben konnten. Sie brauchten nicht lange zu warten. Mehrere der prächtigsten Geschichten unseres Autors und eine Fülle komisch gehaltener kürzerer Aufsätze erschienen zuerst in diesem Blatte, die sofort uach ihrem Erscheinen die Runde durch die amerikanische Presse machten, dann in die englische übergingen, um in den mit „Varict^" oder „Mwdilm" über- schriebneu Spalten derselben zu glänzen und zu ergötzen, bis sie endlich in Indien und Australien anlangten und fast allenthalben von neuem auftauchten, soweit auf dem Erdball eine englische Zeitung in englischer Sprache erscheint. Clemens hatte noch kein Jahr in Buffalo gewohnt, als er einen weiteren Beweis gab, daß er den Wunsch hegte, das Vagabnndenleben an den Nagel zu hiiugen und ein seßhafter Bürger zu werden. Er nahm sich eine Frau. Der Gegenstand seiner Wahl war erstens eine schöne, dann eine auch in andern Beziehungen für ihn sehr passende Dame. Sie besaß ein erhebliches Vermögen und hatte noch mehr zu erwarten, ihre Verwandten waren wohl¬ habende und einflußreiche Leute, und da Twain jetzt selbst sehr reichliche Einnahmen hatte, so waren seine Aussichten in die, Zukunft so gut, als er sie sich irgend wünschen konnte. Während des Winters von 1M9 zu 1870 hielt er wieder in verschiedenen Orten Vorlesungen. Das System solcher öffentlichen Vorlesungen ist in Amerika weit ausgebildeter als bei uns. Fast jeder Mann von Ruf in der Wissenschaft oder der Literatur findet sich dort über kurz oder lang be¬ wogen, mit Vorträgen zur Belehrung oder Erheiterung vor das Publikum zu treten, und stets versammelt ein solcher eine aufmerksame und dankbare Zu¬ hörerschaft von Hunderten vor sich. Am besten aber lohnen sich humoristische Vorträge, und vou alleu Humoristen, die jetzt in Amerika als „Lecturer" auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/512>, abgerufen am 23.07.2024.