Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

treten, füllt keiner seinen Saal und solchen Menschenmassen als Mark Twain.
Vor Kurzem sprach er in New port in der Steinwciy Hall, und bei dieser Ge¬
legenheit wurden vor Oeffnung der Thüren schon zweitausend Dollars sür Bil¬
lets eingenommen, und mehrere hundert Leute mußten sich wieder entfernen,
da kein Platz für sie übrig war.

Wir haben schon einmal bemerkt, daß humoristische Lecturer ihren Vor¬
trägen sonderbare Titel zu geben Pflegen. Artemus Warth Vortrag "Die
Kinder im Walde" war ein Beispiel. "Warum wühlten Sie diesen Titel?",
fragte ihn ein Freund, der gesehen hatte, daß in demselben nichts über das
Märchen enthalten war, welches diesen Namen führt. "Weil der Titel gut zu
klingen schien. Ich wollte das Ding vorher "Meine sieben Großmütter"
nennen", antwortete Artemus. Ein anderer Humorist neunte seinen Vor¬
trag einfach "Milch", er kam daun, als es zum Sprechen ging, mit einem
Kruge voll Milch und einem Glase auf die Rednerbühne, goß die Milch aus
dem Kruge in das Glas, setzte dieses auf den Tisch vor sich und begann hier¬
auf zu sprechen, ohne auch nur mit einem Worte dieser oder irgend welcher
andrer Milch Erwähnung zu thun. Verblüffender Unsinn als Element des
Scherzes ist ein Gedanke, der im Gemüthe eines transatlantischen Humoristen
stets oben aufschwimmt. Eine der beliebtesten Vorlesungen Mark Twains war
die über die Sandwichinseln, wo er sich erbot, den Zuhörern zu zeigen, wie
die Kanibalen ihre Speisen zu sich nähmen, wenn eine Dame die Güte haben
wollte, ihm zu dem Zwecke ein lebendiges Kind einzuhändigen, und wo er die
Bemerkung machte, daß der Hundebraten der Sandwichsinsnlcmer "nichts An¬
deres sei, als unsere beliebte amerikanische Wurst nach Entfernung des Geheim¬
nisses." Ein Lieblingsgegenstand war ihm bei dieser Thätigkeit Artemus
Ward, und in seinem Vortrag über diesen verstorbenen Humoristen Pflegte er
die komische Geschichte von dem Manne zu erzählen, der Artemus eine Weile
mit Fragen nach noch lebenden Berühmtheiten quälte. Der Humorist ant¬
wortete auf alle diese Fragen: "Hab' in meinem ganzen Leben nichts von ihm
gehört", bis der Quälgeist endlich alle Geduld verlor und Artemus anfuhr:
"Nun, Sie verwünschter Nichtswisser, dann haben Sie wohl auch nichts von
Adam gehört?" -- "Was war nur gleich sein andrer Name?", fragte Artemus,
indem er mit einem Gesichte fo harmlos als möglich emporblickte.

Im Frühjahr 1870 gewann der Herausgeber der "New Aork Galaxy"
unsern Autor zu Beitrügen für diese Monatsschrift, in welcher ihm ein eignes De¬
partement eingeräumt wurde, in dem er dann eine Fülle der lustigsten Schnurren
und Schwänke veröffentlichte. Im November 1870 wurde unserm Humoristen
ein Sohn geboren, und als ihm um diese Zeit von der "Tribune" die drin¬
gende Bitte um einen Bericht über den Ausfall der Wahlen in der Gegend


Grenzl'oder I. 1877. 64

treten, füllt keiner seinen Saal und solchen Menschenmassen als Mark Twain.
Vor Kurzem sprach er in New port in der Steinwciy Hall, und bei dieser Ge¬
legenheit wurden vor Oeffnung der Thüren schon zweitausend Dollars sür Bil¬
lets eingenommen, und mehrere hundert Leute mußten sich wieder entfernen,
da kein Platz für sie übrig war.

Wir haben schon einmal bemerkt, daß humoristische Lecturer ihren Vor¬
trägen sonderbare Titel zu geben Pflegen. Artemus Warth Vortrag „Die
Kinder im Walde" war ein Beispiel. „Warum wühlten Sie diesen Titel?",
fragte ihn ein Freund, der gesehen hatte, daß in demselben nichts über das
Märchen enthalten war, welches diesen Namen führt. „Weil der Titel gut zu
klingen schien. Ich wollte das Ding vorher „Meine sieben Großmütter"
nennen", antwortete Artemus. Ein anderer Humorist neunte seinen Vor¬
trag einfach „Milch", er kam daun, als es zum Sprechen ging, mit einem
Kruge voll Milch und einem Glase auf die Rednerbühne, goß die Milch aus
dem Kruge in das Glas, setzte dieses auf den Tisch vor sich und begann hier¬
auf zu sprechen, ohne auch nur mit einem Worte dieser oder irgend welcher
andrer Milch Erwähnung zu thun. Verblüffender Unsinn als Element des
Scherzes ist ein Gedanke, der im Gemüthe eines transatlantischen Humoristen
stets oben aufschwimmt. Eine der beliebtesten Vorlesungen Mark Twains war
die über die Sandwichinseln, wo er sich erbot, den Zuhörern zu zeigen, wie
die Kanibalen ihre Speisen zu sich nähmen, wenn eine Dame die Güte haben
wollte, ihm zu dem Zwecke ein lebendiges Kind einzuhändigen, und wo er die
Bemerkung machte, daß der Hundebraten der Sandwichsinsnlcmer „nichts An¬
deres sei, als unsere beliebte amerikanische Wurst nach Entfernung des Geheim¬
nisses." Ein Lieblingsgegenstand war ihm bei dieser Thätigkeit Artemus
Ward, und in seinem Vortrag über diesen verstorbenen Humoristen Pflegte er
die komische Geschichte von dem Manne zu erzählen, der Artemus eine Weile
mit Fragen nach noch lebenden Berühmtheiten quälte. Der Humorist ant¬
wortete auf alle diese Fragen: „Hab' in meinem ganzen Leben nichts von ihm
gehört", bis der Quälgeist endlich alle Geduld verlor und Artemus anfuhr:
„Nun, Sie verwünschter Nichtswisser, dann haben Sie wohl auch nichts von
Adam gehört?" — „Was war nur gleich sein andrer Name?", fragte Artemus,
indem er mit einem Gesichte fo harmlos als möglich emporblickte.

Im Frühjahr 1870 gewann der Herausgeber der „New Aork Galaxy"
unsern Autor zu Beitrügen für diese Monatsschrift, in welcher ihm ein eignes De¬
partement eingeräumt wurde, in dem er dann eine Fülle der lustigsten Schnurren
und Schwänke veröffentlichte. Im November 1870 wurde unserm Humoristen
ein Sohn geboren, und als ihm um diese Zeit von der „Tribune" die drin¬
gende Bitte um einen Bericht über den Ausfall der Wahlen in der Gegend


Grenzl'oder I. 1877. 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137686"/>
          <p xml:id="ID_1632" prev="#ID_1631"> treten, füllt keiner seinen Saal und solchen Menschenmassen als Mark Twain.<lb/>
Vor Kurzem sprach er in New port in der Steinwciy Hall, und bei dieser Ge¬<lb/>
legenheit wurden vor Oeffnung der Thüren schon zweitausend Dollars sür Bil¬<lb/>
lets eingenommen, und mehrere hundert Leute mußten sich wieder entfernen,<lb/>
da kein Platz für sie übrig war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1633"> Wir haben schon einmal bemerkt, daß humoristische Lecturer ihren Vor¬<lb/>
trägen sonderbare Titel zu geben Pflegen. Artemus Warth Vortrag &#x201E;Die<lb/>
Kinder im Walde" war ein Beispiel. &#x201E;Warum wühlten Sie diesen Titel?",<lb/>
fragte ihn ein Freund, der gesehen hatte, daß in demselben nichts über das<lb/>
Märchen enthalten war, welches diesen Namen führt. &#x201E;Weil der Titel gut zu<lb/>
klingen schien. Ich wollte das Ding vorher &#x201E;Meine sieben Großmütter"<lb/>
nennen", antwortete Artemus. Ein anderer Humorist neunte seinen Vor¬<lb/>
trag einfach &#x201E;Milch", er kam daun, als es zum Sprechen ging, mit einem<lb/>
Kruge voll Milch und einem Glase auf die Rednerbühne, goß die Milch aus<lb/>
dem Kruge in das Glas, setzte dieses auf den Tisch vor sich und begann hier¬<lb/>
auf zu sprechen, ohne auch nur mit einem Worte dieser oder irgend welcher<lb/>
andrer Milch Erwähnung zu thun. Verblüffender Unsinn als Element des<lb/>
Scherzes ist ein Gedanke, der im Gemüthe eines transatlantischen Humoristen<lb/>
stets oben aufschwimmt. Eine der beliebtesten Vorlesungen Mark Twains war<lb/>
die über die Sandwichinseln, wo er sich erbot, den Zuhörern zu zeigen, wie<lb/>
die Kanibalen ihre Speisen zu sich nähmen, wenn eine Dame die Güte haben<lb/>
wollte, ihm zu dem Zwecke ein lebendiges Kind einzuhändigen, und wo er die<lb/>
Bemerkung machte, daß der Hundebraten der Sandwichsinsnlcmer &#x201E;nichts An¬<lb/>
deres sei, als unsere beliebte amerikanische Wurst nach Entfernung des Geheim¬<lb/>
nisses." Ein Lieblingsgegenstand war ihm bei dieser Thätigkeit Artemus<lb/>
Ward, und in seinem Vortrag über diesen verstorbenen Humoristen Pflegte er<lb/>
die komische Geschichte von dem Manne zu erzählen, der Artemus eine Weile<lb/>
mit Fragen nach noch lebenden Berühmtheiten quälte. Der Humorist ant¬<lb/>
wortete auf alle diese Fragen: &#x201E;Hab' in meinem ganzen Leben nichts von ihm<lb/>
gehört", bis der Quälgeist endlich alle Geduld verlor und Artemus anfuhr:<lb/>
&#x201E;Nun, Sie verwünschter Nichtswisser, dann haben Sie wohl auch nichts von<lb/>
Adam gehört?" &#x2014; &#x201E;Was war nur gleich sein andrer Name?", fragte Artemus,<lb/>
indem er mit einem Gesichte fo harmlos als möglich emporblickte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1634" next="#ID_1635"> Im Frühjahr 1870 gewann der Herausgeber der &#x201E;New Aork Galaxy"<lb/>
unsern Autor zu Beitrügen für diese Monatsschrift, in welcher ihm ein eignes De¬<lb/>
partement eingeräumt wurde, in dem er dann eine Fülle der lustigsten Schnurren<lb/>
und Schwänke veröffentlichte. Im November 1870 wurde unserm Humoristen<lb/>
ein Sohn geboren, und als ihm um diese Zeit von der &#x201E;Tribune" die drin¬<lb/>
gende Bitte um einen Bericht über den Ausfall der Wahlen in der Gegend</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzl'oder I. 1877. 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] treten, füllt keiner seinen Saal und solchen Menschenmassen als Mark Twain. Vor Kurzem sprach er in New port in der Steinwciy Hall, und bei dieser Ge¬ legenheit wurden vor Oeffnung der Thüren schon zweitausend Dollars sür Bil¬ lets eingenommen, und mehrere hundert Leute mußten sich wieder entfernen, da kein Platz für sie übrig war. Wir haben schon einmal bemerkt, daß humoristische Lecturer ihren Vor¬ trägen sonderbare Titel zu geben Pflegen. Artemus Warth Vortrag „Die Kinder im Walde" war ein Beispiel. „Warum wühlten Sie diesen Titel?", fragte ihn ein Freund, der gesehen hatte, daß in demselben nichts über das Märchen enthalten war, welches diesen Namen führt. „Weil der Titel gut zu klingen schien. Ich wollte das Ding vorher „Meine sieben Großmütter" nennen", antwortete Artemus. Ein anderer Humorist neunte seinen Vor¬ trag einfach „Milch", er kam daun, als es zum Sprechen ging, mit einem Kruge voll Milch und einem Glase auf die Rednerbühne, goß die Milch aus dem Kruge in das Glas, setzte dieses auf den Tisch vor sich und begann hier¬ auf zu sprechen, ohne auch nur mit einem Worte dieser oder irgend welcher andrer Milch Erwähnung zu thun. Verblüffender Unsinn als Element des Scherzes ist ein Gedanke, der im Gemüthe eines transatlantischen Humoristen stets oben aufschwimmt. Eine der beliebtesten Vorlesungen Mark Twains war die über die Sandwichinseln, wo er sich erbot, den Zuhörern zu zeigen, wie die Kanibalen ihre Speisen zu sich nähmen, wenn eine Dame die Güte haben wollte, ihm zu dem Zwecke ein lebendiges Kind einzuhändigen, und wo er die Bemerkung machte, daß der Hundebraten der Sandwichsinsnlcmer „nichts An¬ deres sei, als unsere beliebte amerikanische Wurst nach Entfernung des Geheim¬ nisses." Ein Lieblingsgegenstand war ihm bei dieser Thätigkeit Artemus Ward, und in seinem Vortrag über diesen verstorbenen Humoristen Pflegte er die komische Geschichte von dem Manne zu erzählen, der Artemus eine Weile mit Fragen nach noch lebenden Berühmtheiten quälte. Der Humorist ant¬ wortete auf alle diese Fragen: „Hab' in meinem ganzen Leben nichts von ihm gehört", bis der Quälgeist endlich alle Geduld verlor und Artemus anfuhr: „Nun, Sie verwünschter Nichtswisser, dann haben Sie wohl auch nichts von Adam gehört?" — „Was war nur gleich sein andrer Name?", fragte Artemus, indem er mit einem Gesichte fo harmlos als möglich emporblickte. Im Frühjahr 1870 gewann der Herausgeber der „New Aork Galaxy" unsern Autor zu Beitrügen für diese Monatsschrift, in welcher ihm ein eignes De¬ partement eingeräumt wurde, in dem er dann eine Fülle der lustigsten Schnurren und Schwänke veröffentlichte. Im November 1870 wurde unserm Humoristen ein Sohn geboren, und als ihm um diese Zeit von der „Tribune" die drin¬ gende Bitte um einen Bericht über den Ausfall der Wahlen in der Gegend Grenzl'oder I. 1877. 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/513>, abgerufen am 23.07.2024.