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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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1867 tauchte in Newyork der Plan auf, einen großartigen Verguügungsausflug
zu armngiren. Die Unternehmer wollten einen Dampfer miethen, der im
Sommer diesen Hasen verlassen, über das Atlantische Meer nach dem Mittel¬
ländischen gehen und an den Haupthafeuplätzeu von Spanien, Frankreich,
Italien, Griechenland, der europäischen Türkei, Syrien und Aegypten so lange
halten sollte, bis die Passagiere genügend Zeit gehabt hätten, Touren durch die in¬
teressantesten Gegenden dieser Länder zu machen und Rom, Paris, Konstanti-
nopel, Jerusalem und Kairo zu besuchen. Die Rückkehr sollte vor Einbruch
des Winters erfolgen. Der berühmte (später ebenso berüchtigte) Kanzelredner
Ward Beecher ans Brovklyn sollte die Gesellschaft begleiten, sah sich aber ab¬
gehalten. Statt seiner ging in Mark Twaius Gestalt der amerikanische Humor
mit, was doppelt komisch war, da die Passagiere zum größten Theil ans
frommen Pilgern bestanden, die vor allem das heilige Land sehen wollten. Für
unsern jungen Humoristen, der frisch ans dem rauhen Leben des jungen,
rührigen, hart arbeitenden Westens kam, war die östliche Welt mit ihrem Ur-
alterthnpl, ihrer Ruhe, ihrem trägen Vegetiren und ihren hundert anderen
Gegensätzen voll anziehender Dinge. Es war der Mühe werth, nachzu¬
sehen, wie weit Rom Sacramento glich, und ob Kairo einige Aehnlichkeit mit
Sau Francisco hatte. Ueberdies war anzunehmen, daß die Gewohnheiten und
Anschauungen der Bewohner von Paris und Neapel sich einigermaßen von
denen unterschieden, welche nnter den Goldgräbern von Calaveras und den Silber¬
bergleuten vou Nevada herrschten. Die Beobachtungen und Erlebnisse dieser
Reise hat Mark Twain in zwei Büchern niedergelegt, von denen das eine,
"IKe Innoesnts ^trog.ä", die Tour von Newhvrk bis nach Neapel, das andere,
"Ine Am?ilMM8 ?rei-;re88" die Weiterreise nach Griechenland, Konstanti¬
nopel, der Krim, Syrien, Palästina und Aegypten und die Rückfahrt in die
Heimat beschreibt, und die beide der Grnnowschen Sammlung "Amerikanische
Humoristen" (übersetzt von Moritz Busch) einverleibt sind. Der Titel
Junon<zue8 ^broaÄ", die Arglosen, Unvorbereiteten, naiven ans Reisen war
sehr passend gewählt, wenigstens was den Verfasser selbst betrifft. Er besuchte
Europa und Asien, ohne sich dnrch Studien darauf vorbereitet zu haben. Er
wollte die Dinge sehen, wie sie sich in seiner Seele spiegelten, und über den
Eindruck berichten, den sie auf einen Mann von humoristischer Weltanschauung
machten, welcher Europa und die Länder der biblischen Geschichte zum ersten
Male und ohne einen Mentor in Gestalt eines Reisehandbuchs, ohne gelehrte
Bildung und ohne einen Reisesack vollgestopft mit herkömmlicher Sentimen¬
talität durchwandert. Die ganze Reise über betrachtete er sich die Dinge so,
wie man es von einem noch nicht gereisten Amerikaner erwarten mußte, und
legte überall an Menschen und Sitten den Maßstab, den er sich während seines


1867 tauchte in Newyork der Plan auf, einen großartigen Verguügungsausflug
zu armngiren. Die Unternehmer wollten einen Dampfer miethen, der im
Sommer diesen Hasen verlassen, über das Atlantische Meer nach dem Mittel¬
ländischen gehen und an den Haupthafeuplätzeu von Spanien, Frankreich,
Italien, Griechenland, der europäischen Türkei, Syrien und Aegypten so lange
halten sollte, bis die Passagiere genügend Zeit gehabt hätten, Touren durch die in¬
teressantesten Gegenden dieser Länder zu machen und Rom, Paris, Konstanti-
nopel, Jerusalem und Kairo zu besuchen. Die Rückkehr sollte vor Einbruch
des Winters erfolgen. Der berühmte (später ebenso berüchtigte) Kanzelredner
Ward Beecher ans Brovklyn sollte die Gesellschaft begleiten, sah sich aber ab¬
gehalten. Statt seiner ging in Mark Twaius Gestalt der amerikanische Humor
mit, was doppelt komisch war, da die Passagiere zum größten Theil ans
frommen Pilgern bestanden, die vor allem das heilige Land sehen wollten. Für
unsern jungen Humoristen, der frisch ans dem rauhen Leben des jungen,
rührigen, hart arbeitenden Westens kam, war die östliche Welt mit ihrem Ur-
alterthnpl, ihrer Ruhe, ihrem trägen Vegetiren und ihren hundert anderen
Gegensätzen voll anziehender Dinge. Es war der Mühe werth, nachzu¬
sehen, wie weit Rom Sacramento glich, und ob Kairo einige Aehnlichkeit mit
Sau Francisco hatte. Ueberdies war anzunehmen, daß die Gewohnheiten und
Anschauungen der Bewohner von Paris und Neapel sich einigermaßen von
denen unterschieden, welche nnter den Goldgräbern von Calaveras und den Silber¬
bergleuten vou Nevada herrschten. Die Beobachtungen und Erlebnisse dieser
Reise hat Mark Twain in zwei Büchern niedergelegt, von denen das eine,
„IKe Innoesnts ^trog.ä", die Tour von Newhvrk bis nach Neapel, das andere,
„Ine Am?ilMM8 ?rei-;re88" die Weiterreise nach Griechenland, Konstanti¬
nopel, der Krim, Syrien, Palästina und Aegypten und die Rückfahrt in die
Heimat beschreibt, und die beide der Grnnowschen Sammlung „Amerikanische
Humoristen" (übersetzt von Moritz Busch) einverleibt sind. Der Titel
Junon<zue8 ^broaÄ", die Arglosen, Unvorbereiteten, naiven ans Reisen war
sehr passend gewählt, wenigstens was den Verfasser selbst betrifft. Er besuchte
Europa und Asien, ohne sich dnrch Studien darauf vorbereitet zu haben. Er
wollte die Dinge sehen, wie sie sich in seiner Seele spiegelten, und über den
Eindruck berichten, den sie auf einen Mann von humoristischer Weltanschauung
machten, welcher Europa und die Länder der biblischen Geschichte zum ersten
Male und ohne einen Mentor in Gestalt eines Reisehandbuchs, ohne gelehrte
Bildung und ohne einen Reisesack vollgestopft mit herkömmlicher Sentimen¬
talität durchwandert. Die ganze Reise über betrachtete er sich die Dinge so,
wie man es von einem noch nicht gereisten Amerikaner erwarten mußte, und
legte überall an Menschen und Sitten den Maßstab, den er sich während seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/510>, abgerufen am 23.07.2024.